Flüchtlinge in Traiskirchen, Anfang Juni: Kampieren unter einem Stiegenaufgang

Flüchtlingslager Traiskirchen: Journalisten unerwünscht

Geführte Exkursionen, Betretungsverbote, Auflagen: Für Journalisten ist es kaum noch möglich, sich im Flüchtlingslager Traiskirchen ein unverfälschtes Bild der Lage zu machen.

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Ein paar Syrer, alle um die 30, sind ins Ortszentrum unterwegs, um SIM-Karten zu kaufen. Am Vortag kamen sie im Flüchtlingslager Traiskirchen an, wo es für die Männer kein Bett mehr gab. Vis-à-vis von der Eingangspforte des Erstaufnahmezentrums Ost vertreiben sich Somalier, Palästinenser und Afghanen den Vormittag damit, im Schatten am Zaun zu lehnen. Einer zieht einen Zettel aus der Hosentasche und tippt aufgeregt auf das Wort "Zelt“. "Very cold“ sei es hier in der Nacht. Zwei Burschen fallen ihm ins Wort: Er schlafe wenigstens nicht "on the grass“.

Ein Afghane würde Journalisten gerne zeigen, wo dieser Tage sogar "alte Leute und kleine Kinder“ auf dem Boden liegen. "Zwei Stunden stehen wir in der Schlange für Essen“, sagt sein Freund. Doch Medien sind im Flüchtlingslager nicht willkommen. Auf profil-Anfrage hieß es vergangene Woche im Innenministerium, wegen des Überbelags und des Medienandrangs sei es "derzeit nicht möglich“, vor Ort zu recherchieren. Außerdem müsse man auf die Privatsphäre der Menschen achten. Man bemühe sich um einen Termin, sobald es wieder ruhiger sei.

Keine Besucherbewilligung

Das hören Reporter und Kameraleute ebenso wie NGO-Delegationen und Politiker seit Jahren. Irene Brickner, Journalistin der Tageszeitung "Der Standard“, musste sich in den vergangenen Monaten mehrmals mit einem "Jetzt nicht“ abfinden. Als die Journalistin vor Jahren den Schriftsteller Gerhard Roth zu einer Vor-Ort-Recherche für eine Asyl-Serie begleitete, wanderte sie von einem leeren Raum zum nächsten: "Vielleicht ist an diesem Tag Taschengeld ausbezahlt worden, jedenfalls sind wir kaum einem Menschen begegnet.“ Vergangenen Herbst versuchte Anna Thalhammer, damals "Heute“-Journalistin, inzwischen "Die Presse“, "fast jede Woche hineinzukommen“. Im Innenministerium beschied man ihr mit stoischer Regelmäßigkeit, dass es für kein Medium eine Besucherbewilligung gebe. Begründung: "Wenn wir zu einem Ja sagen, müssen wir auch das FPÖ-TV hineinlassen.“ Mit diesem Argument wurde vergangene Woche auch profil draußen gehalten.

Das Recht der freien Meinungsäußerung laut Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist freilich nicht auf eine politische Richtung beschränkt. Journalistengewerkschafter Franz C. Bauer sagt: "Schon den Zutritt zu verwehren ist verdächtig.“Dass das Innenministerium den Zeitpunkt der Vorort-Recherchen bestimmt und oder nur geführte Exkursionen auf dem Areal zulässt, ist für Bauer "Zensur“: "Das ist fast wie in Nordkorea und sicher nicht das, was man unter freiem Zugang zu Information versteht.“ Auch der berechtigte Schutz der Privatsphäre kann zur vorgeschobenen Begründung werden, wenn Menschen an die Öffentlichkeit gehen wollen und gegen ihren Willen davor geschützt werden.

In der Regel bleibt schleierhaft, auf welche Grundlage sich das Innenministerium stützt. Josef Barth, Gründer der Plattform "Forum Informationsfreiheit“, rät, einen Bescheid zu verlangen, den man dann vor dem Verwaltungsgericht bekämpfen könne.

Aufklärerische Wirkung könnte auch das Strapazieren von Auskunftspflichten entfalten. profil fragte via fragdenstaat.at, wie viele Anfragen von Medien für das Flüchtlingslager Traiskirchen es in den vergangenen zwei Jahren gab, wie viele mit "Ja“ und "Nein“ beschieden wurden und welche Auflagen für das Verhalten vor Ort erteilt wurden. Acht Wochen hat das Innenministerium Zeit für eine Antwort.

"Was hat man zu verbergen?"

ORF-Reporter Robert Berger nahm seinen vorläufig letzten Anlauf zu einer Drehgenehmigung in Traiskirchen vor etwas mehr als einem halben Jahr. Als 300 Asylwerber aus dem übervollen Erstaufnahmezentrum nach Wien-Erdberg übersiedelten und er ihr neues Quartier besuchen wollte, blitzte er ab. Er fragt sich: "Was hat man zu verbergen?“ Selbst die Caritas bleibt draußen; vor zwei Jahren scheiterte ein Besuch am Veto des Innenministeriums.

Journalisten können nur unabhängig berichten, wenn sie sich einen unverfälschten Eindruck von der Lage vor Ort verschaffen können. Wie gering das Innenministerium diese Aufgabe schätzt, zeigte sich auch im Juli 2011, als die Grüne Abgeordnete Alev Korun dem Leiter der Erstaufnahmestelle, Franz Schabhüttl, per E-Mail eine Visite mit Journalisten ankündigte und prompt ausgerichtet bekam, mediale Begleitung sei nicht möglich: Um eine "parteipolitische Inszenierung“ hintanzuhalten, gebe es für Medien einen eigenen Termin. Als die Grüne am Tag x dennoch mit Reportern auftauchte, brach eine Diskussion los. Erst als der ORF-Kameramann anfing, diese mitzufilmen, durfte die Delegation passieren.

Der Blogger und Kämpfer für Informationsfreiheit, Alex Wacker, vermutet "System hinter der Geheimniskrämerei“. Die Betreuung der Flüchtlinge in Traiskirchen lagerte das Innenministerium an das Schweizer Unternehmen ORS aus, das, wie alle anderen Bieter im Ausschreibungsverfahren, ein Betreuungskonzept vorlegen musste. Dieses ist bis heute unter Verschluss. Die Öffentlichkeit hat nie erfahren, was ORS für das Steuergeld leisten muss. Bei eventuellen Mängeln wäre erst zu klären, ob das Ministerium ein unzureichendes Konzept von ORS angenommen oder sich das Unternehmen nicht an die Vereinbarungen hält. ORS spricht übrigens nicht mit Journalisten, sondern verweist alle an das Ministerium.

Gespräche "nicht statthaft"

Vor zwei Wochen wollte Korun in Traiskirchen wieder einmal mit Flüchtlingen und ihren Betreuern sprechen. Diesmal sollte sie ein Parlamentskollege begleiten, von Journalisten war keine Rede. Prompt mailte der Leiter der Erstaufnahmestelle, Franz Schabhüttl, zurück: "Um Verständnis darf ich werben […], dass wir Medien nicht dabei haben können und unserer auferlegten Verpflichtung gegenüber Asylwerbern gerecht werden dürfen. Dadurch sind Gespräche mit Betreuern der Firma ORS und Asylwerbern innerhalb der Betreuungsstelle nicht statthaft.“ Korun zog es vor, Schabhüttls "wertvolle Zeit“ nicht zu beanspruchen.

Vergangenen Mittwoch brachte die Grüne den Umgang mit der Öffentlichkeit im Menschenrechtsausschuss des Parlaments aufs Tapet. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) rechtfertigte sich, das Erstaufnahmezentrum sei kein "Museum“, in das man einfach hineingehe, man müsse die Privatsphäre der Menschen wahren. Laut Korun sagte die Ressortchefin: "Es hilft uns nichts, wenn man von dort Bilder zeigt.“

Die Falter-Journalistin Nina Horaczek war zuletzt im Oktober 2012 in Traiskirchen. Ihre Reportage über die "vergessenen Kinder von Traiskirchen“ führte dazu, dass eine Klasse für minderjährige Flüchtlinge aufgemacht wurde. Auch sie konnte sich nicht frei bewegen. Den Speisesaal sah sie nur im leeren Zustand. Zur Unterkunft der Burschen ließ man sie nicht vor: "Wir sind ja nicht in Schönbrunn“, hatte Schabhüttl erklärt. In den vergangenen Monaten meldete Horaczek mehrmals Interesse an einem Besuch des Flüchtlingslagers an, bekam aber - erraten - keine Bewilligung.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges