Gurk: Ein Dorf verehrt seinen fragwürdigen Bürgermeister

Gurk: Ein Dorf verehrt seinen fragwürdigen Bürgermeister

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Siegfried Kampl zürnt. Schuld an der Erregung des 78-jährigen Bürgermeisters sind natürlich die Medien, denen es, wie er meint, nur mehr darum gehe, Politiker schlechtzumachen. Bevor er Fragen beantwortet, kredenzt er deshalb in seinem Besprechungszimmer eine einseitige schriftliche „Erklärung“: „Ich bin ein aufrechter Demokrat“, heißt es darin. Und: „Ich stelle sehr gerne unmissverständlich klar, dass ich jegliche historische Missetaten des Nationalsozialismus auf das Schärfste verurteile.“

Kampl ist ein Polit-Urgestein. Der fünffache Vater hat über 50 Jahre Mitgliedschaft bei der FPÖ vorzuweisen, war zwölf Jahre lang Vizebürgermeister, bevor er 1991 schließlich den Bürgermeistersessel der 1300-Seelen-Gemeinde Gurk im Norden Kärntens eroberte.

Popularität ungebrochen

Für sein schriftliches Präventiv-Dementi hat Kampl gute Gründe, stand er doch schon mehrfach wegen mündlicher Aussagen im Kreuzfeuer der Kritik. Vergangenes Jahr sorgte er in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ für Aufsehen, weil er sich keine Distanzierung zum Nationalsozialismus abringen konnte. „Nur von dem, was sie gemacht haben, distanziere ich mich, nicht vom Nationalsozialismus“, sagte er damals. Das reichte selbst in der FPÖ für einen sofortigen Parteiausschluss. Und die Stadt Hallein kündigte die Gemeinde-Partnerschaft mit Gurk auf.

Dessen ungeachtet wurde Kampl am vergangenen Wahlsonntag bei den Kärntner Gemeinderatswahlen zum fünften Mal in Folge mit absoluter Stimmenmehrheit als Bürgermeister bestätigt; mit 58,4 Prozent konnte er im Vergleich zum letzten Urnengang sogar ein zartes Plus verbuchen. Der Gurker Bevölkerung scheinen die ewiggestrigen Ansichten ihres Gemeindechefs kaum etwas auszumachen. Mehr noch: Seine Popularitätswerte sind ungebrochen hoch.

Das wird im Dorfgasthof „Erian“ an der Hauptstraße deutlich. Zwei Bauarbeiter sitzen, umnebelt von Zigarettenqualm, auf der Eckbank und spielen Karten. Mit dem Wahlausgang sind sie „sehr zufrieden“. Es gebe keinen Besseren als Siegfried Kampl, sagen sie. An seinen Äußerungen stören sie sich nicht. Sie sind bekennende Freiheitliche – und damit in guter Gesellschaft.

Das acht Gemeinden zählende Gurktal ist seit jeher eine blaue Hochburg. In vier Kommunen fuhr die FPÖ bei den jüngsten Wahlen ein Ergebnis jenseits der 40-Prozent-Marke ein, in drei stellt sie in der kommenden Periode den Bürgermeister. Die althergebrachten Dorfstrukturen mit ihren national gesinnten Bauernclans bieten fruchtbaren Boden für die blaue Saat.

Haider auf Kampls Schultern

Die Gurktaler waren es auch, die Jörg Haider besonders früh für sich entdeckten, lange bevor er zum Parteichef aufstieg. Schon als Landesparteisekretär galt er dort als Zukunftshoffnung. Unvergessen bleibt die Szene beim Kampfparteitag 1986 in Innsbruck, als Siegfried Kampl den siegreichen Haider auf seinen Schultern durch die Halle trug. Es folgte eine jahrzehntelange, enge Männerfreundschaft. Dorfbewohner bestätigen: Haider sei bei Kampl quasi ein und aus gegangen. Über Kampls Schreibtisch hängt, zwischen dem Bild von Kaiser Josef II. (Kampl: „der Bauernbefreier“) und einem polnischen Geistlichen, bis heute ein Foto von Jörg Haider. „Das bleibt dort, so lange ich Bürgermeister bin.“

Die engen Bande mit dem verehrten Landeshauptmann beförderten die Entwicklung der Gemeinde wie auch die politische Karriere Kampls: Im Jahr 2004 zog er in den Bundesrat ein, zu dessen Präsident er auf Haiders Geheiß aufgebaut werden sollte. Doch es kam anders. Kampl bezeichnete Wehrmachtsdeserteure in einer Parlamentsrede als „Kameradenmörder“, woraufhin Haider ihn zum Rücktritt drängte.

Kampls Weltbild lässt sich aus seiner frühen Kindheit herleiten. Als er acht Jahre alt war, starb die Mutter. Der Vater war schon vor dem „Anschluss“ Nationalsozialist und später als Leutnant im Krieg. Nachdem er heimgekehrt war, schlugen ihn Partisanen aus der Umgebung in der Küche vor den Augen der Kinder nieder. Kampl senior ging blutüberströmt zu Boden. Wenn Kampl junior darüber spricht, wird er immer wieder laut und schaut dann andächtig zu Boden.

Seit der Entgleisung im Bundesrat ist Kampl einfacher Ortsvorsteher, der nicht müde wird, die Schönheit seiner Heimat zu preisen. Tatsächlich bietet Gurk, umgeben von bewaldeten Hügeln, ein idyllisches Ambiente. Schon aus der Ferne ragt der Dom mit seinen Doppeltürmen empor. In dem knapp 900 Jahre alten Bauwerk liegt die heilige Hemma begraben. Die Ruhestätte der Kärntner Landesmutter lockt in den warmen Monaten zahlreiche Pilger in den einstigen Sitz der Diözese.

Seit 2011 kann man in der Kleingemeinde auch dem früheren Landesvater huldigen. Kampl sorgte für die Installierung der Haider-Skulptur „Verbindende Hände“ vor dem Gurker Dom. Mit einer feierlichen Messe wurde sie damals geweiht. Dass der Bischof öffentlich gegen dieses Vorhaben mobilmachte, störte weder den Bürgermeister noch den ortsansässigen Stiftspfarrer, der sich längst mit den politischen Gegebenheiten im Dorf arrangiert hatte. Im Zuge der Feierlichkeiten posierte er lächelnd mit orange-blauer Politprominenz, die zahlreich ihres einstigen Förderers gedachte.

Stolz sind die Gurker auf ihren Dom. Und auf das Denkmal für 
Jörg Haider.

Dieser Tage ziert ein Kranz das Haider-Denkmal. „In ewiger Erinnerung. Deine Gurktaler Freunde“, steht auf der Schlaufe in den Kärntner Landesfarben. Eine Frau stapft daran vorbei. Sie war gerade auf dem Friedhof, Grablichter anzünden. Über ihre Wange kullert eine Träne. Auf den Bürgermeister angesprochen, muss sie lächeln, will ihre Freude über den Wahlsieg Kampls gar nicht verbergen. Und die Aussagen zum Nationalsozialismus? „Hier hat eh jeder gewusst, wie er denkt. Ich halte nichts davon, dass man das immer vor den Wahlen breittritt und ihm damit schaden will.“ Für seine Arbeit in der Gemeinde tue das jedenfalls „nichts zur Sache“.

So denken viele Gurker. Kampl habe „viel für die Gemeinde geleistet“, so der allgemeine Tenor im Dorf. Nicht einmal bei der roten Gemeinderatsopposition regt sich Widerstand. „Mir gegenüber hat er so etwas noch nie gesagt“, gibt der rote Ortsparteiobmann Wolfgang Eberhard zu Protokoll. Er habe immer ein gutes Verhältnis zum Bürgermeister gehabt, ein Nazi sei dieser „sicher keiner“. Für einen, der mit dem Nationalsozialismus nichts am Hut hat, rechtfertigt sich Siegfried Kampl ziemlich häufig, auch ungefragt. „Es ärgert mich, dass ich immer als Ewiggestriger bezeichnet werde. Das bin ich nicht.“

Wenn er versucht, zu beschwichtigen, kommt er erst so richtig in Fahrt. Er zählt seine Errungenschaften auf, etwa das Familienausflugsziel Zwergenpark, an das vier Zwerge in seinem Büro erinnern. Oder seine Besuche beim ehemaligen Papst Johannes Paul II. Einmal durfte die Gemeinde Gurk gar den Weihnachtsbaum für den Vatikan spenden. Kampl verweist stolz auf das Foto, das ihn mit dem Kirchenoberhaupt zeigt. Der Heilige Vater würde sich bestimmt keinen Nazi einladen, so Kampl. Mittlerweile kann sich auch FPK-Obmann Christian Ragger vorstellen, Kampl erneut in die Partei aufzunehmen. Dieser will aber ohnehin nicht mehr. „Die Herren Ragger und Strache waren noch nicht einmal auf der Welt, da habe ich schon für die Partei gearbeitet“, sagt Kampl verbittert.

Der Gurker Amtsleiter sitzt neben dem Bürgermeister, verfolgt das Gespräch mit argwöhnischem Blick und hat zum Schluss zu sagen: „Die Medien suchen die ganze Zeit nach dem braunen Sumpf. Aber den gibt es hier nicht.“ Bei der Verabschiedung kommt noch der Schaukasten des Kärntner Abwehrkämpferbundes zur Sprache, der am Gemeindeamt angebracht ist. Darin wird ganz unverhohlen antislowenische Propaganda betrieben. Es sei „gesetzeswidrig, zu behaupten, dass Kärnten ein zweisprachiges Land ist“, denn die Landessprache sei ausschließlich Deutsch, wird auf einem ausgehängten Flugblatt verkündet. Dem slowenischen Präsidenten wird auf einem zweiten Flugblatt unterstellt, den „nie aufgegebenen Wunschtraum von einem Großslowenien“ zu propagieren. Wieder beschwichtigt Kampl: Als Bürgermeister müsse er über jeden Verein froh sein, der sich in der Gemeinde engagiere, daher auch über den Abwehrkämpferbund.

Siegfried Kampl denkt nicht ans Aufhören. Er will die volle Periode bis 2021 Bürgermeister bleiben – sofern ihm „der liebe Gott die Jahre schenkt“. Dann wäre er 84 Jahre alt.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.