Wachfigurenkabinett

Stadtwache Linz: FPÖ-Vorzeigeprojekt in der Kritik

Stadtwache Linz. Ex-Mitarbeiter berichten von den Praktiken des umstrittenen Ordnungsdienstes

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Stadtwächter ist ein Fulltimejob: Gelockerte Pflastersteine sind zu melden, zerbeulte Verkehrsschilder, unerlaubte Müllablagerungen und Grafittis an Häuserwänden zu protokollieren, Hundehalter zu ermahnen und Trümmerln von Gehsteigen zu räumen - gar nicht zu reden von gesetzlosen Straßenmusikern und Bettlern.

2010 schuf Linz den Ordnungsdienst der Stadt Linz (OSL). Die als 100-prozentige Tochter der Stadt ausgelagerte Gesellschaft mit beschränkter Haftung verdankt sich einem FPÖ-Versprechen vor der Gemeinderatswahl 2009. Die ÖVP unterstützte es, die SPÖ war zunächst dagegen, gab aber - nach Stimmenverlusten - dem schwarz-blauen Drängen nach.

Detlef Wimmer, ehemaliger Obmann der oberösterreichischen FPÖ-Jugend und schlagender Burschenschafter, dem wegen Kontakten zur einschlägigen Szene die Offizierslaufbahn verwehrt worden war, wurde mit Hilfe der SPÖ Stadtrat für Sicherheit und Ordnung - und damit Herr über den Linzer Ordnungsdienst.

"Linz braucht keine Stadtwache"
Seither sorgt die "Stadtwache“, wie Wimmers Truppe genannt wird, regelmäßig für Schlagzeilen. ÖVP und FPÖ wollten sie sogar mit Pfeffersprays und noch mehr Zwangsbefugnissen ausstatten: Die Stadtwache darf derzeit zwar Ausweise kontrollieren, aber keine Taschen durchwühlen oder Menschen festnehmen.

Dass aus der Aufrüstung nichts wurde, liegt vor allem an den Grünen und der Bürgerinitiative "Linz braucht keine Stadtwache“, die das Vorhaben torpedierten, aber auch an der in Linz bestimmenden SPÖ. Die Genossen verwahrten sich gegen die martialische Bezeichnung "Stadtwache“ und setzen auch sonst auf Mäßigung: wenn schon Ordnungsdienst, dann einer, der "freundlich, kompetent und hilfsbereit“ auftritt, mehr wandelndes Bürgerservice als grimmige Sheriff-Truppe.

Konfliktmanagement
Wie es in der Praxis wirklich abläuft, erfuhr profil im Gespräch mit ehemaligen OSL-Mitarbeitern. Peter Greimel* gehörte ein halbes Jahr lang zu den rund 30 Mitarbeitern, die in roten Jacken und schwarzen Hosen durch Einkaufsstraßen und Wohnviertel patroullieren - eine Aufgabe, für die er von Beamten des Magistrats und der Polizei eingeschult worden war. Auf dem Lehrplan standen Konfliktmanagement, Erste Hilfe, Selbstverteidigung und Rechtskunde.

Doch was Greimel in vier Wochen Ausbildungszeit lernte, passte nicht zu dem, was er dann auf der Straße und im Pausenraum erlebte. Jeder Neuling war mit einem erfahrenen Mitarbeiter zusammengespannt worden. "Nach wenigen Wochen hat sich keiner mehr um die juristischen Grundlagen geschert, vor allem, wenn es um Bettler ging“, erzählt Greimel.

"Aggressive Bettler" festhalten
Im Sommer 2011 hatte die Stadt Linz ihren personell aufgestockten Ordnungsdienst ermächtigt, das Bettelverbot zu überwachen, das eben in das Polizeistrafgesetz des Landes geschrieben worden war: Identitäten feststellen und "aggressive Bettler“ festhalten, bis die Polizei kommt. Laut Greimel hätten einige Kollegen - "ich schätze, es waren um die zehn“ - dies als "persönlichen Auftrag verstanden, sich als Bettlerjäger zu betätigen“. Es habe sie auch nicht gekümmert, dass der Verfassungsgerichtshof im Sommer 2012 ausdrücklich festhielt, "stilles“ Betteln sei ein Grundrecht, nur "aufdringliches“ und "aggressives“ Betteln und der Einsatz von Kindern sei zu ahnden.

Die "Bettlerjäger“ seien "auf alle hingefahren, die irgendwie osteuropäisch und arm“ aussahen, und hätten deren "Passport!“ verlangt. Häufig seien Bettler mit wachelnden Handbewegungen und einem gebieterischen "Husch! Husch!“ des Platzes verwiesen worden, selbst dann, wenn sie ruhig an einer Straßenecke standen oder auf einer Parkbank saßen. Einmal habe ein Kollege am Linzer Bahnhof eine Schlägerei provozieren wollen. Greimel: "Die Lage hat sich erst beruhigt, als zufällig zwei weitere Kollegen dazukamen.“

Als Greimel gegenüber Vorgesetzten diese Praktiken kritisierte und den Verdacht erhob, dass sie gesetzlich nicht gedeckt seien, habe man ihm eingeschärft, "dass alles seine Richtigkeit hat und ich mit niemandem von außen sprechen soll“. Nach einigen Monaten gab er den 1800-Euro-brutto-Job auf.

Sophie Leitner* hielt es auch nicht viel länger. Sie fand ihre Stelle über ein Inserat im Internet und wurde zu einem Test in den Linzer Wissensturm eingeladen. Die Bewerber sollten dort zum Beispiel erklären, wie sie sich verhalten würden, käme vor ihrer Nase eine Handtasche aus einem Supermarkt-Wagerl abhanden. Danach trainierte sie im Linzer Rathaus gemeinsam mit anderen Stadtwächtern in spe drei Tage lang den Umgang mit Bettlern.

"Machomäßige Aussagen
Dass es in der Praxis nicht so gesittet zuging wie in der Theorie und einige aus ihrem Kollegenkreis sich mit "machomäßigen Aussagen“ hervortaten, merkte Leitner bald: "Zwei von ihnen haben Bettler teilweise arg beschimpft, ohne Rücksicht darauf, ob Kinder daneben gestanden sind.“ Um Bettler dazuzubringen, ins OSL-Büro nach Linz-Urfahr zu kommen und dort einen Rsa-Brief - unter Kollegen "Vorführer“ genannt - in Empfang zu nehmen, wurden ihnen mitunter ihre Ausweise weggenommen.

"Wir haben uns in Grauzonen bewegt“, sagt Sophie Leitner. Mit Vorgesetzten darüber zu reden, sei sinnlos gewesen: "Das hat nie etwas geändert.“ Es störte Teamleiter und Geschäftsführung auch nicht, dass im Pausenraum das Foto eines Stadtwächters hing. "Flink wie ein Windhund, hart wie Kruppstahl und zäh wie Leder - dass ist ein Deutscher Junge“, stand in Frakturschrift dabei. "Ein Geschenk von Kollegen“, so Leitner. Jemand hatte ein s in "dass“ durchgestrichen.

Äußerst interessiert habe sich FPÖ-Stadtrat Detlef Wimmer gezeigt. Der OSL-Aufsichtsrat und regelmäßige Besucher im Büro an der Donau habe sich stets erkundigt, wie es bei den Touren so laufe, sich mit rabiaten Wortmeldungen jedoch zurückgehalten. Auch profil gegenüber tritt Wimmer samtpfötig auf. Inzwischen sähen selbst anfängliche Kritiker ein, dass der Ordnungsdienst seine Arbeit gut mache, sagt Wimmer: "Von der Bevölkerung wird er sehr gut angenommen.“

2015 werden in Oberösterreich die Gemeinderäte neu gewählt. In Wels, wo die FPÖ beim vergangenen Mal stark zulegte, könnte eine Stadtwache ebenfalls zum Thema werden. Da hilft es, wenn das freiheitliche Pilotprojekt einstweilen keine negativen Schlagzeilen erzeugt.

"Die Polizei muss sparen"
Seit Kurzem überwachen OSL-Streifen auch die gebührenfreien Kurzparkzonen in Linz. "Die Polizei muss sparen, deshalb wandern immer mehr Befugnisse in private Hand“, warnt Hermann Krenn, SPÖ-Polizeisprecher und im Brotberuf Vize-Polizeikommandant in Vöcklabruck: "Wir brauchen keine Ersatzpolizei, sondern eine gut ausgestattete Polizei.“ Der Grünen-Gemeinderat Markus Pühringer, nebenbei Mitglied des OSL-Aufsichtsrates, würde die Einrichtung, die jährlich mehr als eine Million Euro kostet, lieber heute als morgen zusperren: "Sie ist sinnlos und teuer und verletzt das Grundrecht auf Betteln.“

Im Vorjahr hatten sich ambitionierte OSL-Mitarbeiter inkognito aufgemacht, um Hinterleute auszuspionieren - drei Tage lang. Dann fuhr Bürgermeister Franz Dobusch ihnen per Weisung in die Parade. "Präsenz zeigen schafft Sicherheit, eine quasi geheimpolizeiliche Überwachung ist nicht in unserem Sinn“, sagt SPÖ-Gemeinderat Franz Leidenmühler.

Freiheitliche und Volkspartei sehen das anders. Harald Gruber, Sprecher der ÖVP Linz: "Zivilstreifen sind sehr erfolgreich im Kampf gegen illegales Betteln. In Bern ist es gelungen, Geldübergaben zu fotografieren und die gemeinsame Anfahrt und Nächtigung zu dokumentieren.“

Die Debatte endete kürzlich in einem Kompromiss: Die umstrittenen Stadtwächter dürfen ihre roten Jacken und schwarzen Hosen anbehalten. Dafür soll eine achtköpfige Erhebungseinheit des Magistrats, die unter anderem für die Überwachung der Sperrstunde zuständig ist, künftig auch ein Auge auf die "illegale Bettelei“ werfen.

* Name von der Redaktion geändert

Foto: Sebastian Reich

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges