Demonstrierende halten bei einem Protest ihre erleuchteten Smartphones hoch.
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10 Monate Proteste in Serbien: Was wollen die Studierenden?

Ihre Generation galt als unpolitisch, dann hat ihr Protest ein ganzes Land infiziert. Werden Serbiens Studierende Aleksandar Vučić zu Fall bringen?

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Am Morgen des 1. November 2024, einem Freitag, fühlt sich Jelena Stanković krank und schlapp. Eigentlich sollte die 23-jährige Studentin an diesem Tag Klavierunterricht in einer Musikschule in Stara Pazova geben, eine halbe Stunde von ihrer Universitätsstadt Novi Sad entfernt. Stanković fährt normalerweise mit dem Zug in die Arbeit, immer gegen Mittag. Rückblickend sagt sie, dass sie an besagtem Freitag „aus Faulheit“ zu Hause geblieben ist, hat ihr vielleicht das Leben gerettet.

Denn am 1. November passiert ein Unglück, bei dem 16 Menschen sterben. Um 11.52 Uhr bricht plötzlich das frisch renovierte Vordach des Bahnhofs von Novi Sad zusammen. Nach dem Unglück werden immer mehr Details bekannt, etwa dass es beim Bau zu Schlampereien und Korruption gekommen sein könnte. Ein Ingenieur, der auf der Baustelle tätig war, erzählt im Fernsehen, wie er die Behörden wiederholt auf Mängel hingewiesen habe. Anstatt sie zu beheben, wurde sein Vertrag gekündigt und der Bahnhof von Präsident Aleksandar Vučić im Eiltempo eröffnet.

Einsatzkräfte stehen vor dem kollabierten Bahnhofs-Vordach in Novi Sad.
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Korruption bei Bauprojekten ist auf dem Balkan keine Seltenheit. Dasselbe gilt für Behörden, die ihren Aufsichtspflichten nicht nachkommen. Doch anstatt zur Tagesordnung überzugehen, wie das in den Nachbarländern oft der Fall ist, gehen in Serbien seit zehn Monaten jeden Tag Menschen auf die Straße. Am Höhepunkt der Proteste am 15. März waren es geschätzt über 325.000 Menschen, also so viele wie seit dem Sturz des serbischen Machthabers Slobodan Milošević im Jahr 2000 nicht mehr. 

Zu sehen ist, im grauen Anzug, der Präsident Serbiens Aleksandar Vučić.
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Studierende spielten beim Sturz von Milošević damals eine zentrale Rolle. Wird es bei Vučić, der in den 1990er-Jahren sein Informationsminister war, ähnlich sein?

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.