„Bis Polizisten vor der Tür stehen“

Bülent Kenes: „Bis Polizisten vor der Tür stehen”

Interview. Bülent Kenes, Chefredakteur der türkischen Zeitung Today´s Zaman, über die Razzien gegen sein Medienhaus

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Sie kamen am frühen Morgen: Am 14. Dezember nahmen Sicherheitskräfte bei einer landesweiten Razzia 23 Journalisten und angebliche Regierungsgegner fest, unter ihnen Ekrem Dumanli, den Chefredakteur der islamisch-konservativen Tageszeitung „Zaman“ – der mit einer Million verkaufter Exemplare auflagenstärksten Tageszeitung der Türkei.

„Today´s Zaman“ ist die englischsprachige Ausgabe des Blattes. Beide Titel gehören zu einer Mediengruppe, die im Einflussbereich der so genannten Gülen-Bewegung steht. Der 73-jährige Prediger Fethullah Gülen, der heute im Exil in den USA lebt, war einst Wegbegleiter des heutigen türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, ging aber in den vergangenen Jahren auf Distanz.

Unter Chefredakteur Ekrem Dumanli, Gülens Sprachrohr in der Türkei, enthüllte „Zaman“ jenen Korruptionsskandal, der Erdogans engstes politisches Umfeld und schließlich auch seine Familie erfasste. Im profil-Interview erklärt Bülent Kenes, Chefredakteur von „Today’s Zaman“, warum er damit rechnet, ebenso verhaftet zu werden wie sein Kollege Dumanli.

profil: Wie haben Sie die Verhaftung ihres Kollegen erlebt?
Kenes: Als die Polizei kam, haben wir dagegen protestiert, dass sie unsere Redaktionen betreten. Daraufhin haben sie sich zunächst zurückgezogen, sind später aber mit hunderten Beamten und Wasserwerfern wiedergekommen. Die Demokratie in der Türkei ist an einem Tiefpunkt angekommen. Die Razzien sind ein Schlag gegen unabhängige Medien. Präsident Erdogan will nun jede abweichende Stimme zum Schweigen bringen und jede Opposition im Keim ersticken.
profil: Hatten Sie Angst?
Keneş: Ich mache mir Sorgen – weniger um mich selbst, als um meine Familie. Aber wir sind insofern entspannt, als wir uns nichts vorzuwerfen haben.

profil: Zaman berichtete in den vergangenen Jahren über Korruption und Machtmissbrauch, wie geht die Berichterstattung nun weiter?

Keneş: Wir bringen jeden Tag einen Teil, der im Zeichen dieses despotischen und hinterhältigen Angriffs auf die Meinungs- und Pressefreiheit steht, wir berichten über den zivilgesellschaftlichen Protest dagegen, über die Reaktionen der Europäischen Union und der ausländischen Medien.

profil: Wie ist es um die Solidarität der türkischen Medien bestellt?

Keneş: Nicht so gut, nachdem ein großer Teil inzwischen dem direkten Einfluss von Erdoğan untersteht, wird hier nur seine Sicht propagiert.

profil: Gab es vor den Razzien auch schon Repressionen?

Kenes: Nicht von Seiten der Polizei, aber es wurde kein Tag ausgelassen, um uns zu dämonisieren. Unsere Journalisten wurden als Bazillen bezeichnet, als Unterstützer des Terrorismus, Agenten des Mossad oder Handlanger Deutschlands. Inserenten wurden unter Druck gesetzt, nicht bei uns zu schalten.
profil: Wie lange geht das schon so?
Kenes: Seit Dezember 2013, als Erdogan in den Sog des Korruptionsskandals geriet, ist es ganz schlimm. Begonnen haben die Feindseligkeiten aber schon früher, als wir die Proteste rund um den Gezi Park verteidigt haben.
profil: Laut einem mysteriösen Twitter-Informanten mit dem Pseudonym „Fuat Avni“ sollen noch 400 Regierungskritiker verhaftet werden, unter ihnen 150 Journalisten. Stehen Sie auch im Visier?
Kenes: Ich war auf der ersten Liste auf dem 16. Platz. Allerdings konnte man gegen mich keinen Vorwurf konstruieren, der zu dem Szenario eines geplanten Umsturzes passt – dieses hat die Regierung entworfen, um die Razzien und Verhaftungen zu rechtfertigen. Ich wurde schließlich wieder von der Liste gestrichen. Tatsächlich sind aber weitere Polizeiaktionen zu befürchten, und ich rechne damit, wieder drauf zu stehen.
profil: Was wissen Sie von Ihren verhafteten Kollegen?
Kenes: Ein Teil von ihnen ist noch im Gefängnis. Laut den Anwälten sind sie in keinem schlechten Zustand, man hat ihnen allerdings noch keine einzige Frage gestellt.
profil: Was wirft die Staatsanwaltschaft ihnen vor?
Kenes: 2009 gab es Ermittlungen gegen die radikal-islamische Gruppe Tahsiye, die Anschläge im Namen von Al Kaida vorbereitet hatte. Nun behauptet die Regierung, sie wurden zu Unrecht verfolgt und stellt die Pläne als Komplott der Hizmet-Bewegung (des Predigers Fethulla Gülen, Anm.) dar – und damit als Beleg für die Existenz eines Parallelstaats.
profil: Was haben Sie persönlich nun vor?
Kenes: Ich werde mich bemühen, solange ein gutes Blatt zu machen, bis die Polizisten vor meiner Tür stehen.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges