Eine Frau schwenkt eine Georgien-Flagge, sie hat eine EU-Flagge umgehängt.
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Warum dieser Samstag zum Schicksalstag für Georgiens Demokratie werden könnte

Die Lokalwahlen am Samstag in Georgien könnten fatale Folgen haben: Die Regierung will danach die Opposition verbieten.

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Akaki Makatsaria wählt, seit er 18 ist. Keine Wahl hat er ausgelassen. „Aber das wird die erste Mal sein, dass ich nicht meine Stimme abgeben werde“, sagt der Georgier im Telefoninterview mit profil „Die Lokalwahlen werden nicht fair sein. Die Opposition kann nicht gewinnen.“

Ein Mann in Ritterrüstung haltet einen Keks hoch, dahinter eine Menschenmenge und Weihnachtsschmuck.
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Akaki Makatsaria, der bei einem lokalen Museum mithilft, ist dafür bekannt in Ritterrüstungen auf Protesten zu erscheinen.

Fast ein Jahr ist seit der Parlamentswahl vergangen, die Georgiens Oppositionsparteien als „gefälscht“ betrachten, und die zur Folge hatten, dass Georgiens EU-Beitritt auf Eis gelegt wurde. Seit November 2024 sind die Gespräche mit Brüssel pausiert. OSZE-Wahlbeobachter konnten damals keine direkten Fälschungen feststellen, kritisierten aber unfaire Wahlkampfverhältnisse.

An diesem Samstag stehen in Georgien Lokalwahlen an, und das mag nicht sehr bedeutsam klingen, doch es geht um viel: Die rechtskonservative Regierungspartei „Georgischer Traum“ kündigte an, ein gutes Wahlergebnis als grünes Licht für ein Verbot der vier größten Oppositionsparteien zu sehen. Eine parlamentarische Kommission arbeitet bereits an Parteiverboten.

Die Lokalwahlen werden nicht fair sein. Die Opposition kann nicht gewinnen.

Akaki Makatsaria

Unterstützer der Opposition

Georgien, vor wenigen Jahren noch ein Vorreiter der Demokratie in der Region und Schwerpunktland der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, rutscht immer mehr in Richtung Autokratie ab.

Die Opposition ist sich uneins, wie sie am besten die antidemokratischen Pläne des „Georgischen Traums“ bekämpfen soll: Nur zwei der vier großen Oppositionsparteien, die liberale Partei „Lelo“ und die sozialdemokratische Partei „Für Georgien“, treten bei den Wahlen an. „Wer antritt, legitimiert nur die Wahlfälschungen“, glaubt Makatsaria, der die zwei Parteien als „bezahlte Agenten“ der Regierung bezeichnet.

Im Visier

Tamar Kekenadze tritt trotzdem an. „Wir können die Lokalwahlen nützen, um das Regime zu schwächen“, glaubt die Politikerin der Partei „Für Georgien“, die hauptsächlich aus Aussteigern des „Georgischen Traums“ besteht. „Gerade in den großen Städten, wie Tbilisi, haben wir gute Chancen.“ Kekenadze selbst ist Bürgermeisterkandidatin in Rustawi, Georgiens viertgrößter Stadt, wo sie eigentlich gar nicht lebt, wie sie erzählt: „Wir hatten ursprünglich zwei Bürgermeisterkandidaten für Rustawi, doch nach Einschüchterungen treten beide nicht mehr an.“

Porträtfoto einer Frau mit schwarzen Haaren und rotem Blazer.
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„Für Georgien“ nominierte Tamar Kekenadze für den Bürgermeisterwahlkampf in Rustawi.

Eine Reihe von oppositionellen Bürgermeisteranwärtern zogen ihre Kandidatur zurück, darunter auch mindestens zehn „Für Georgien“-Kandidaten. „Ihnen wurde mit Kündigungen oder Ärger für ihre Familien gedroht“, erzählt Kekenadze. Einer von ihnen, Davit Margoshvili, der in der Kleinstadt Achmeta für „Für Georgien“ antritt, soll von einem Parlamentsabgeordneten des „Georgischen Traums“ und dem Bürgermeisterkandidaten der Regierungspartei aufgefordert worden sein, sich zurückzuziehen, sagen Politiker der Partei „Für Georgien“. Weil Margoshvili sich geweigert habe, sei er auf Druck der Regierungspartei von seinem Arbeitgeber gekündigt worden. „Wir werden den Fall nach den Wahlen vor Gericht bringen“, sagt Kekenadze.

Besucher von Wahlveranstaltungen wurden ebenfalls bedroht, erzählt Kekenadze. Die Partei würde ihre Events mittlerweile nicht mehr vorab medial ankündigen.

Wir können die Lokalwahlen nützen, um das Regime zu schwächen.

Tamar Kekenadze

Bürgermeisterkandidatin in Rustawi für die Partei „Für Georgien“

Die Opposition konnte nur in etwas mehr als der Hälfte der Gemeinden Georgiens Bürgermeisterkandidaten aufstellen. In den restlichen 28 Gemeinden kann der „Georgische Traum“ quasi ungehindert Bürgermeister einsetzen. Als umkämpftes Kronjuwel gilt die Oppositionshochburg und Hauptstadt Tbilisi, die seit 2017 von Kacha Kaladse regiert wird, einem Politiker des „Georgischen Traums“ und ehemaligem Spieler des italienischen Fußballvereins AC Milan.

Ein Bus mit einem Wahlplakat biegt in eine Straße mit einem größeren Wahlplakat ein. AUf dem Plakat sieht man ein Porträt eines mittelalten Mannes.
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Tbilisi-Bürgermeister Kacha Kaladse tritt zum dritten Mal an.

Boykott

Die beiden größten Oppositionsgruppierungen, darunter das Mitte-Rechts-Bündnis „Coalition 4 Change“ (C4C), das bei der Parlamentswahl 2024 als stimmenstärkste Oppositionspartei hervorging, boykottieren die Lokalwahlen. „Wir werden nicht mit dem Regime kooperieren“, sagt Marika Mikiashvili, die die Auslandsbeziehungen von C4C betreut.

Eine Frau steht vor einer EU-Flagge und der Aufschrift "Council of Europe - Parliamentary Assembly"
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„Georgiens Regime ist eine sich rasch festigende Diktatur. Es kann aber noch gestoppt werden“, sagt Marika Mikiashvili.

profil erreicht sie per Telefon im französischen Strasbourg. Sie lobbyiert dort vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates für härtere Maßnahmen gegen den „Georgischen Traum“. Den Flug nach Frankreich habe sie sich nur dank Spenden von ihren X-Followern (ehemals Twitter) finanzieren können, erzählt sie: „Wir haben unsere Freunde in Europa um gezielte Sanktionen gegen Funktionäre des ‚Georgischen Traums‘ gebeten. Die Sanktionen wirken.“

Laut einer Studie des unabhängigen Instituts ISSA vom Juni unterstützen nur 20 Prozent der Wähler der Oppositionsparteien deren Teilnahme bei den Lokalwahlen. „Mit unserem Boykott machen wir das, was unsere Wähler wollen“, sagt Mikiashvili. Doch unter allen Georgiern befürwortet eine knappe Mehrheit, dass die Opposition Kandidaten aufstellt, während 20 Prozent unentschlossen sind. „Ich weiß noch nicht, ob ich an diesem Zirkus teilnehmen werde oder nicht. Die Wahl wird nicht echt sein“, sagt der Georgier Gigi Janashia gegenüber profil.

Wir haben unsere Freunde in Europa um gezielte Sanktionen gegen Funktionäre des ‚Georgischen Traums‘ gebeten.

Marika Mikiashvili

Politikerin vom Bündnis „Coalition 4 Change“

Laut Prognosen des Instituts GORBI wird der „Georgische Traum“ die Lokalwahlen mit über 60 Prozent gewinnen. Doch die Umfragen des regierungsnahen Instituts gelten als unzuverlässig. Glaubt man einer ISSA-Studie, käme der „Georgische Traum“ auf 35 Prozent, jedoch nur, wenn alle Oppositionsparteien teilnehmen würden und die Wahlen fair abliefen. „Der ‚Georgische Traum‘ kann, wie der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko, jedes erdenkliche Wahlergebnis einfach erfinden“, glaubt die Oppositionelle Mikiashvili „Sogar, wenn die Opposition Gewinne feiern würde, wären das nur Zugeständnisse.“

Revolution mit Ansage

In Tbilisi wird seit über 300 Tagen, seit der umstrittenen Parlamentswahl, protestiert. Akaki Makatsaria, der bei einem lokalen Museum mithilft und dafür bekannt ist, die Demos in mittelalterlichen Rüstungen zu besuchen, war beim 300. Protestzug dabei. „Die Menge von rund 1.000 bis 5.000 Menschen war trotz allem hoffnungsvoll“, sagt er.

Doch die tägliche Protestzüge, die mittlerweile zur Routine geworden sind, sollen am Samstag ganz anders werden. „Es gibt nur die Alternative eines friedlichen Umsturzes, eine friedliche Revolution!“, schrieb Levan Khabeishvili von der früheren Regierungspartei „Vereinte Nationale Bewegung“, die ebenfalls die Bürgermeisterwahlen boykottiert, auf Facebook. Über den Sommer, genährt von Reden der Opposition, hat sich eine Erwartungshaltung aufgebaut: Der 4. Oktober als Befreiungsschlag. Das Wort „Revolution“ wird wohl auf den Zungen vieler liegen, die an diesem Samstag auf die Demonstration gehen werden.

Wenn diese Deadline scheitert, wird die Regierung das wieder als Versagen der Opposition in ihrer Propaganda präsentieren.

Tamar Chergoleishvili

Gründerin der Partei „Föderalisten“

„Wir sind fertig, wenn wir gewonnen haben. Diese Deadlines ergeben keinen Sinn“, kritisiert Tamar Chergoleishvili. Sie ist Gründerin der pro-europäischen Kleinpartei „Föderalisten“, die die Wahl ebenfalls boykottieren, und leitet deren Sektion in Tbilisi. „Wenn diese Deadline scheitert, wird die Regierung das wieder als Versagen der Opposition in ihrer Propaganda präsentieren“, prophezeit sie.

Eine Frau hält auf einer Demo ein Schild hoch, dahinter EU-Flaggen.
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„Das Regime verunmöglicht gleiche Chancen für alle Parteien. Wir können die Stimmen unserer Wähler nicht vor Manipulation schützen“, sagt Tamar Chergoleishvili.

 „Dies ist ein freundlicher Ratschlag: Tun Sie nichts, was dazu führen könnte, dass Sie viele Jahre hinter Gittern verbringen müssen“, warnte Georgiens Premier Irakli Kobachidse vom „Georgischen Traum“ am Freitag. Für Samstag wird ein großes Polizeiaufgebot erwartet. „Wir wissen nicht, wie die Regierung reagieren wird, wenn sie sich in die Enge gedrängt fühlt“, sagt Chergoleishvili.

Immer wieder kam es bei den täglichen Demos zu Polizeigewalt und Ausschreitungen: Laut Zahlen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International aus Ende 2024 wurden bei den Demonstrationen mehr als 300 Menschen verletzt.

Nasse Demostrierende, die sich aneinander drängen. Darüber Laser.
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Die Polizei setzte auch Wasserwerfer gegen Protestierende ein.

„Ich weiß gar nicht, wie oft ich von Polizisten und Schlägern verfolgt wurde“, erzählt Makatsaria. Auf die Demo am Samstag will er trotzdem gehen. Um seine „Freunde zu unterstützen“, wie er sagt. Doch er sei skeptisch. „Ich habe jeden Tag mehr Angst, dass die Proteste in Gewalt enden könnten“, sagt er. „Ein Umsturz? Dafür bräuchte es mehr gezielte Organisation von der Opposition.“

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

seit Juli 2025 im Außenpolitik-Ressort. Davor freier Journalist für APA, Kurier und die deutsche Nahostfachzeitschrift zenith. Schwerpunkt Nahost / Kaukasus / Osteuropa.