Manipulation

Informationskrieg: Wie Brüssel gegen Russlands Propaganda kämpft

Die EU wappnet sich gegen Manipulationen aus Russland. In Brüssel wird Österreichs Rolle heiß diskutiert: Heimische Medien sollen die Kreml-Propagandisten unterstützen. profil traf Lutz Güllner, den obersten EU-Kämpfer gegen Desinformation.

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Vielleicht lesen Sie das ab und zu auf Social Media: „Die Wahlen sind vorherbestimmt und Wählen macht keinen Unterschied.“; „Demokratien sind heuchlerisch, denn politische und wirtschaftliche Eliten kontrollieren alles“. „Das sind gängige Narrative“, weiß Jacob Lolck vom Sprecherdienst des EU-Parlaments. Hinter ihm eine riesige Glasfront mit Blick über die Dächer der belgischen Hauptstadt. Ausgerechnet im Zentrum Europas, das kein Mensch ohne Akkreditierung betreten kann, dringen täglich bewusste Falschinformationen ein.

In Brüssel stellt man sich auf einen langen Krieg ein. Ein Krieg, der nicht nur auf ukrainischem Boden ausgetragen wird, sondern die Demokratie Europas schwächen will – und bereits vor dem 24. Februar 2022 begann.

Europaabgeordnete und Topdiplomaten warnen im Vorfeld der EU-Wahlen im kommenden Jahr vor Versuchen aus dem Ausland, diese zu beeinflussen. Neben Attacken auf Hochrechnungscomputern und Wählerverzeichnissen werden jedoch vor allem Schäden eines anderen Gutes befürchtet: Das Vertrauen in die EU.

Rüsten gegen Desinformation

Der Sturm aufs Kapitol war ein Weckruf. Im Jahr 2021 attackierten rechtsextreme Anhänger des damals noch amtierenden US-Präsidenten den Kongress der Vereinigten Staaten in Washington. Der Fall zeigt deutlich: Es bleibt nicht beim Meinungsaustausch in realitätsfernen Online-Foren. Es hat reale Konsequenzen, wenn Bürgerinnen manipuliert werden.

Doch Desinformation einzudämmen, ohne die Meinungsfreiheit anzukratzen ist ein schwieriges Unterfangen. Wie kann das gelingen?

profil hat bei Lutz Güllner, dem Leiter der Abteilung für Strategische Kommunikation vom Europäischen Auswärtigen Dienst, nachgefragt. Er ist für die Anti-Desinformationskampagne EUvsDisinfo verantwortlich. Sein etwa 40-köpfiges Team dokumentiert bereits seit 2016 Praktiken, derer sich ausländische Akteure bedienen, um politische Entscheidungen zu beeinflussen. Dazu zählen insbesondere die Desinformationskampagnen Russlands. Die Ansätze seien vielfältig – von sogenannten Troll-Farmen bis hin zu Taktiken, um die Reichweite der Narrative zu erhöhen.

„Wir sind keine Zensurbehörde der EU.“

Lutz Güllner, Leiter der Anti-Desinformationskampagne EUvsDisinfo im Europäischen Auswertigen Dienst

„Da werden Narrative ganz bewusst konstruiert und verbreitet“, beobachtet Güllner. „Wir sehen, dass diese Informationsmanipulation oftmals auch parallel mit anderen Instrumenten genutzt wird. Das sind zum Beispiel Cyberattacken, gezielte Korruption und Maßnahmen, die manchmal weit in den Spionagebereich hineingehen“, berichtet er.

Kommando-Zentrale gegen Fake News

Im Gebäude des Europäischen Auswärtigen Diensts befinden sich auch Büroräumlichkeiten der Anti-Desinformations-Kampagne EUvsDisinfo

Doch was will der Kreml mit der absichtlichen Verdrehung von Fakten erzielen? Ist die Europäische Union so schwach, dass sie einige Falschinformationen erschüttern kann? Und warum sollten sich Bürgerinnen damit beschäftigen, wo es doch die Aufgabe von Journalistinnen wäre, gründlich zu recherchieren?

Informationskriege

Das europäische Parlament geht davon aus, dass es im Vorfeld der Europawahlen 2024 zu gezielter Desinformation kommen könnte und ist besorgt über die Einmischung Russlands, aber auch Chinas. Russische Sender wie „Russia Today“ und „Sputnik“ sind bereits EU-weit verboten.

Empfohlen wurde ebenfalls ein TikTok-Verbot auf allen Regierungsebenen, das davor schützen soll, dass sensible Daten auf ausländischen Servern landen. In den EU-Organen halte man sich bereits strikt daran, heißt es gegenüber profil. Die Abgeordneten, darunter Andreas Schieder (SPÖ) und Lukas Mandl (ÖVP) aus Österreich fordern auch ein Paket zur Verteidigung der Demokratie, das die Kommission diesen Sommer noch vorbereiten will. Damit hätte man ein Jahr Zeit, sich für die Wahlen aufzurüsten, wobei der Zeitraum von drei Monaten vor dem Termin im Juni als kritisch gesehen wird. Die Rede ist von Geldern aus Drittstaaten über verbotene Transaktionen, die in das politische System der EU gelangen, gezielter Sabotage und Spionage. Sicher ist kein Mitgliedstaat.

Neu ist die Sorge vor einer russischen Einflussnahme auf die EU-Wahl nicht. Bereits 2019 hat die EU-Kommission im Kampf gegen gezielte Falschinformationen Facebook, Google und Twitter dazu verpflichtet, dass sie politische Werbung kennzeichnen müssen. „Die Wahlen müssen fair und frei sein“, sagt Věra Jourová, Vizepräsidentin der Europäischen Kommission. Auch die EU-Behörde für Strategische Kommunikation, geleitet von Lutz Güllner, wurde im Jahr 2015 gegründet, um Russlands laufenden Desinformationskampagnen entgegenzuwirken. Mittlerweile wurden rund 16.000 Fälle dokumentiert – ein Potpourri der russischen Taktiken.

Desinformation ist aber nicht nur das Setzen von Narrativen. „Die Manipulationstätigkeit beginnt zum Beispiel, wenn Identitäten gefälscht und Netzwerke aufgebaut werden, sodass eine Stimme viel größer wirkt, als sie in Wirklichkeit ist. Das geht weit über eine einzelne Behauptung hinaus, die im Vorteil des Kremls ist. Das Problem liegt in der staatlichen Aktivität dahinter – eine, die koordiniert, finanziert und klar auf Manipulation ausgerichtet ist. Wir wollen Bewusstsein dafür schaffen, was die Methoden, Inhalte und Strategien des russischen Staatsapparates sind.“ Einen Anspruch auf Vollständigkeit habe man nicht – darum gehe es auch nicht. Sondern darum, Risiken aufzuzeigen und die Mitgliedsstaaten dabei zu unterstützen, sich selbst zu schützen.

Güllner erzählt im profil-Gespräch ausführlich über den Kampf gegen Informationsmanipulation und die Angriffe aus dem Ausland: „Gegen diese Informationsmanipulation gibt es kein Patentrezept.“ Zuerst gelte es, herauszufinden, wer und in welcher Frequenz Informationen manipuliert. Kurzfristig muss die Manipulation verstanden und entlarvt werden, damit man darauf mit eigener Kommunikation reagieren kann. Langfristige Strategien beinhalten auch Bildungsinitiativen für digitale Kompetenz und Stärkung von unabhängigen Faktencheckern. „Manchmal sind auch schärfere außenpolitische Instrumente notwendig, beispielsweise Sanktionen“, so Güllner.

Gefakte Wahlen und Kokain

Es gehe jedoch nicht nur um Wahlen, sondern auch um die Zeit dazwischen, warnt Güllner. „Wenn nämlich eine öffentliche Debatte von außen manipuliert wird und einige Stimmen auf einmal sprichwörtlich ein Megafon haben und mit zweifelhaften Absichten Einfluss nehmen, dann haben wir ein echtes Problem.“

Wie Falschinformationen ihren Weg erfolgreich in den öffentlichen Diskurs finden, sei anhand einiger Beispiele veranschaulicht:

Doppelgänger
Immer beliebter sei laut Jacob Lolck, Sprecher des EU-Parlaments, Websites von Nachrichtenmagazinen zu klonen. Diese schauen für den Leser genau aus wie die offizielle Seite, inhaltlich sind sie jedoch mit fabrizierten Artikeln befüllt. Die vom EU-DisinfoLab aufgedeckten Operationen eines russischen Netzwerks sollen mindestens seit Mai 2022 aktiv sein. „Doppelganger“, der Name, der dieser Kampagne gegeben wurde, kopierte mindestens 17 Medienanbieter, darunter die deutsche „Bild“-Zeitung, den britischen „TheGuardian“ und das Magazin „Der Spiegel“. Zu diesem Zweck haben die Akteure Dutzende Internet-Domänennamen gekauft, die denen der echten Medien ähneln, und deren Design kopiert.
Bildmanipulation
Jacob Lolck schildert die vermeintliche Story in sozialen Medien von einem Europaabgeordneten, der während einer Sitzung Kokain geschnupft haben soll. Der russische Außenminister Dmitry Polyanskiy hätte die Geschichte aufgegriffen, die sich als Falschnachricht herausstellte: Bei dem angeblichen Europaabgeordneten habe es sich in Wirklichkeit um einen Parlamentarier in Deutschland gehandelt, der Schnupftabak – aber keine illegalen Drogen – konsumiert habe.

Angst vor manipulierten Wahlen

Das europäische Parlament geht davon aus, dass es im Vorfeld der Europawahlen 2024 zu gezielter Desinformation kommen könnte.

„Cherry-Picking“
Bei Cherry-Picking wird eine Tatsache verzerrt, bis nach einer Reihe von Berichten ein Narrativ entsteht, welches am Ende nichts mehr Ursprungsnachricht zu tun hat. Hier wirft Lolck einen Blick auf Österreich. Nach dem deutschen Focus veröffentlichte auch das Boulevard-Medium „eXXpress“ einen Artikel mit dem Titel „Ukraine-Weizen: Schweinefutter statt Essen für die Ärmsten der Welt“. Dieser Artikel wurde dann zuerst von den russischen Botschaften in Südafrika, Großbritannien, Saudi-Arabien oder auf der Krim retweetet. Der Inhalt habe sich dann zeitnah in den größten russischen, Kreml-nahen Medien wiedergefunden und Millionen an Aufrufen gehabt, so Lolck.

Diese Desinformation kam zur gleichen Zeit, als Russland öffentliche Kritik verringern wollte, weil es die Schwarzmeer-Getreide-Initiative bis Juli 2023 nicht mehr verlängern wollte. Irreführend ist die Story insofern, als dass laut der Datenbank der UN-Schwarzmeer-Getreide-Initiative mit Stand 4. Juli 2023 rund 38 Prozent der Getreide für europäische Länder bestimmt waren. Das heißt, weniger als die Hälfte der ausgeführten Menge erreichte Europa. Der größte Teil ging in Länder in Asien und Afrika.

Richard Schmitt, Chefredakteur von „eXXpress“ antwortet auf profil-Anfrage: „Lernen’s googeln – und belästigen Sie uns in Zukunft einfach nicht mehr mit Ihren schlichten Anfragen“ – und kopiert profil noch den Link von Focus, auf den sich „eXXpress“ bezogen haben will. Und: „Dass irgendeine rechte Drecks-Plattform irgendwann auch über dieses Thema berichtet hat, dafür können wir vom eXXpress wirklich nix. Falls Sie uns damit schaden wollen, werden wir unser Anwälte eine Klage prüfen lassen.“ Auf die Frage, ob er diesen Artikel entfernen wird, antwortete Schmitt nicht. Er war zu Redaktionsschluss noch immer online.

Narrative erkennen

Auf dem Spiel steht einiges – im Endeffekt sind die Bürgerinnen im Visier staatlicher Netzwerke. Am häufigsten drehen sich manipulierte Falschinformationen laut EU-Parlamentssprecher Lolck um den Angriffskrieg Russlands in der Ukraine, Gesundheit und Covid, Migration und Gleichstellungsfragen. „Manipulation kann viele Formen annehmen“, erklärt Lolck weiter: „eine falsche Überschrift auf einem echten Text, ein Bild, das etwas darstellen soll, was es so nicht gibt.“

Lutz Güllner beobachtet auch Fortschritte. Immer weniger Menschen würden einer obskuren Desinformationskampagne, etwa auf Facebook, sofort glauben. „Es gibt mittlerweile einen Reflex zu schauen, wo die Information herkommt und zu hinterfragen, ‚warum kommt diese genau zu mir?‘. Gerade Plattformen wie TikTok, Facebook oder Twitter haben eine gewisse Verpflichtung, gegen Desinformation und Informationsmanipulation vorzugehen.“

Sorgenkind Österreich?

Dass österreichische Medien und Parteien sich an der Verbreitung von Falschnachrichten beteiligen, macht in Brüssel die Runde – Jacob Lolcke spricht vor Journalistinnen noch einmal explizit das Medium „eXXpress“ an, der immer wieder verdächtigt wird, russlandfreundliche Desinformation zu verbreiten und mitunter vom Bundeskanzleramt durch Werbeschaltungen finanziert wird.

In einem Café im Europa-Parlament trifft profil Andreas Schieder (SPÖ) zwischen Terminen*. Gegenüber wird Haare geschnitten – im eigenen Friseursalon des Parlaments. „Nur eine Apotheke gibt es hier nicht“, scherzt ein Pressesprecher. Schieder hat den Bericht zu Desinformation und die dazugehörigen Empfehlungen mitverhandelt. Er blickt besorgt auf Ungarn, Polen, aber auch Österreich: „Das ganze System ist nur so stark wie das schwächste Glied. Es genügt ein Land mit einer schwachen Demokratie und schlechten Überwachungen.“ Ganz im Sinne Russlands: „Deswegen unterstützen sie die antieuropäischen, nationalistischen Parteien mit Geld und Know-How“, so der SPÖ-Abgeordnete.

„Das ganze System ist nur so stark wie das schwächste Glied.“

Andreas Schieder, Delegationsleiter der SPÖ im EU-Parlament

„Wir erleben auch in Österreich gerade eine Stärkung der Links- und Rechtsextreme. Jeder Staat muss vor seiner eigenen Tür kehren“, sagt Lukas Mandl (ÖVP), Mitglied des Sonderausschusses gegen ausländische Einflussnahme im EU-Parlament. Er meint „den Linksruck der Bundes-SPÖ und den Rechtsruck der Bundes-FPÖ“ und habe Sorge vor einem „Schwarz-Weiß-Denken“, denn: „Wer Europa schwächen will, führt uns in eine Sackgasse: Es entsteht die Atmosphäre, es gäbe eigentlich keine Wahl, sondern es gibt nur die Wahl zwischen Gut und Böse.“

„Wer Europa schwächen will, führt uns in eine Sackgasse.“

Lukas Mandl, ÖVP-Abgeordneter zum Europäischen Parlament

Optimistisch ist Schieder „ganz und gar nicht“. „Wenn wir davon ausgehen, dass Putins Strategie der letzten Jahrzehnte ist, die europäische Demokratie von außen und von innen zu gefährden, dann ist Budapest und die Nähe von Orban zu Putin eine große Gefahr.“ Wo er jedoch wenig Sorge habe, sei die technische Sicherheit bei der Abwicklung der Wahlen, also die dazugehörigen Server, Hochrechnungscomputer und Wählerverzeichnisse. „Da ist Österreich auf der sicheren Seite.“

Kampf mit unterschiedlichen Waffen

Doch zurück aufs Desinformations-Schlachtfeld. Es sei wichtig, nicht die gleichen „hochproblematischen Methoden des Täuschens“ zu benutzen: „Wir versuchen daher auf der Grundlage von freier Meinungsbildung zu arbeiten, nicht um zu beeinflussen, sondern Argumente zu liefern“, erklärt Güllner.

In Russland hat man längst Notiz von der Gegenwehr aus Brüssel genommen: „Russische Stellen haben sich auch vor dem Krieg immer über unsere Arbeit beklagt, sie sei parteiisch und beruhe auf falschen Prämissen. Das ist auch ein gewisser Beweis, dass unsere Arbeit anscheinend wahrgenommen wird. Daher ist nicht erstaunlich, dass unsere Webseite in Russland verboten wurde und nicht abrufbar ist. Es gibt ein Desinformations-Ökosystem in Russland, das versucht, mit den gleichen Erklärungsansätzen, wie wir sie vorbringen, gegen uns zu argumentieren. Es ist erstaunlich, wie durch sogenannte Faktenchecks vorgetäuscht wird, dass es angeblich auch Informationsmanipulation vonseiten der EU gebe.“

Es werde auch immer schwieriger, sich mit russischen Journalistinnen und Journalisten auszutauschen. „Die Zensur in Russland lässt mittlerweile gar keinen Zweifel mehr zu“, sagt Güllner. Er betont: „Wir sind keine Zensurbehörde der EU.“ Es gehe darum, die Bürgerinnen und Bürger mit Informationen zu versorgen: „Die Ertüchtigung der Bürgerinnen und Bürger ist daher, aus meiner Perspektive, das Allerwichtigste.“

*Transparenzhinweis: profil nahm Ende Juni an einer von der EU-Kommission und dem Europäischen Parlament finanzierten Pressereise teil.

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.