Robert Treichler mit Dmitrij Ljubinskij
profil-Morgenpost

Wie funktioniert Kreml-Propaganda? Genau so!

Die abstruse Welt des russischen Botschafters und: Warum wir Interviews vor Drucklegung autorisieren lassen.

Drucken

Schriftgröße

Nur für den Fall, dass Sie es übersehen haben, lege ich Ihnen gleich eingangs eine dringende Leseempfehlung in diese Morgenpost: das Interview meines Kollegen Robert Treichler mit dem Botschafter der Russischen Föderation in Österreich, Dmitrij Ljubinskij.

Als ich den Text gelesen habe, dachte ich mir: Wie kann dieser Mensch – Ljubinskij, nicht Treichler – in den Spiegel schauen und etwas anderes als Abscheu empfinden? Womöglich grausen Exzellenz eh vor seiner selbst, aber irgendwer muss den Job ja machen.

Being Dmitrij Ljubinskij heißt: Putins Überfall auf die Ukraine ist ein einziges großes Missverständnis, die Invasion dient nur der Verteidigung Verbündeter und in der ukrainischen Regierung sitzen Nazis, die ihre Theater, Krankenhäuser, Städte in die Luft jagen lassen. Die westlichen Sanktionen? „Reine Räuberei“.

Darf man sowas wirklich drucken? Macht man sich damit nicht automatisch zum verlängerten Arm eines mörderischen Regimes? Dazu wurde dieser Tage auf Twitter angeregt debattiert (und der Text sehr oft geklickt).

Robert Treichler hat die Manipulation seines Gegenübers in nahezu jeder Frage als solche entlarvt, argumentativ dagegengehalten, vor allem Beweise für Ljubinskijs abstruses Konstrukt eingefordert (und natürlich nicht bekommen).

Wie funktioniert die Kreml-Propaganda? Genau so. Das hat dieses Interview durchaus eindrücklich gezeigt und damit meines Erachtens seine Existenz legitimiert. Anders verhielte es sich bei einem Gastkommentar – aber den hätte der Botschafter bei uns sowieso nicht bekommen.

Der veröffentlichte Text wurde von Dmitrij Ljubinskij übrigens autorisiert. Das bedeutet, dass er diesen vorab zu lesen bekommen hat. Die Autorisierung ist eine Praxis, die wir seit Jahrzehnten bei reinen Frage-Antwort-Formaten – und nur diesen – anwenden. Warum? Der Platz in einem Printprodukt ist natürlich begrenzt, was dazu führt, dass Antworten von Interviewten (zumal ausschweifend und/oder redundant) zusammengefasst werden müssen. Und damit hinterher niemand sagen kann, da sei eine Aussage missverständlich verkürzt worden, wird die Druckfassung eines jeden Q&A autorisiert.

„Das ist nicht jeden Freitag“

Wie wichtig die Autorisierung ist, zeigt ein Fall aus dem Oktober 2014. Da veröffentlichte Christa Zöchling – sie ist Trägerin des diesjährigen Concordia-Preises in der Kategorie Menschenrechte, wozu ihr heftig gratuliert sei, hochverdient! – ein Interview mit der damaligen stellvertretenden Generalsekretärin des umstrittenen „König-Abdullah-Dialog-Zentrums“ (KAICIID), Claudia Bandion-Ortner.

Auf Zöchlings Feststellung, in Saudi-Arabien werde an Freitagen nach dem Gebet öffentlich geköpft und ausgepeitscht, entgegnete Bandion-Ortner: „Das ist nicht jeden Freitag. Natürlich bin ich gegen die Todesstrafe.“

Das Interview war kaum erschienen, da behauptete das KAICIID auch schon, es sei „nicht autorisiert“ gewesen und die Worte seien „aus dem Zusammenhang gerissen“ worden. Natürlich war die Druckfassung autorisiert – und obendrein hatten wir eine Tonspur, die belegte, dass es auch noch so gesagt worden war (begleitet vom deplatzierten Gelächter der stellvertretenden Generalsekretärin).

Schließen möchte ich mit Bertolt Brecht und dessen „Fünf Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit“, die ich dem Botschafter Russlands widmen möchte: „Wer heute die Lüge und Unwissenheit bekämpfen und die Wahrheit schreiben will, hat zumindest fünf Schwierigkeiten zu überwinden. Er muss den Mut haben, die Wahrheit zu schreiben, obwohl sie allenthalben unterdrückt wird; die Klugheit, sie zu erkennen, obwohl sie allenthalten verhüllt wird; die Kunst, sie handhabbar zu machen als eine Waffe; das Urteil, jene auszuwählen, in deren Händen sie wirksam wird; die List, sie unter diesen zu verbreiten.“

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen einen ereignislosen Tag.

Michael Nikbakhsh

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.