Interview

Russischer Botschafter zu Ukraine: "Versetzen Sie die Leute nicht unnötig in Unruhe"

Dmitrij Ljubinskij, Russlands Botschafter in Österreich, bestreitet, dass seine Regierung der Ukraine droht.

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profil: Herr Botschafter, warum ist der aktuelle Konflikt um die Ukraine gerade jetzt ausgebrochen? Warum hat Russland im November Truppen und Waffen in die Nähe der Grenze zur Ukraine verlegt?
Ljubinskij: Die Geschichte ist lang, man kann sie nicht an einem bestimmten Tag zu erzählen beginnen. Was wir seit November erleben, ist eine Zuspitzung des Informationskrieges. Russland macht militärische Übungen und bewegt seine Truppen in seinem eigenen Land, wie es will. Das wird jeden Tag durch westliche Medien zuerst als "Aggressionsvorbereitung" und zuletzt sogar als "Angriff" dargestellt. Vorgestern hieß es in manchen Medien, etwa der Nachrichtenagentur Bloomberg, dieser "Angriff" habe bereits begonnen.

profil: Das war ein Fehler und wurde gleich korrigiert.
Ljubinskij: Ja, aber wird es auch das nächste Mal so schnell korrigiert? Das weiß niemand. Russland werden alle möglichen Dinge vorgeworfen: Vorbereitung eines Machtwechsels in der Ukraine, eine Desinformationskampagne-die Fantasie ist groß, und ich glaube, auch im Westen, auch in Österreich, sind alle müde von diesen Geschichten.

profil: Deshalb bitte ich Sie um Aufklärung: Die Truppen, Panzer und schweren Waffen, die Russland an der ukrainischen Grenze positioniert hat, dienen nicht zu Übungszwecken. Was also tun sie da?
Ljubinskij: Man spricht nur von einer Seite dieser Medaille. Es gibt auch die zweite Seite. Ihr Außenminister Alexander Schallenberg war gemeinsam mit Amtskollegen diese Woche in der Ukraine an der Kontrolllinie. Hat er mit einem Wort erwähnt, wie viele militärische Verbände und militante Gruppierungen auf ukrainischer Seite der Frontlinie postiert sind? Nach unseren groben Schätzungen sind es um die 150.000. Was machen sie dort? Wir haben auf keiner Ebene, niemals, eine Drohung in Richtung Kiew ausgesprochen.

profil: Mit Ausnahme der Truppenbewegungen.
Ljubinskij: Ich sage es noch einmal: auf eigenem Boden. Und wer kontrolliert die ukrainischen militanten Verbände?

profil: Gibt es davon auch Satellitenaufnahmen? Von den Verbänden auf russischer Seite haben wir schon viele gesehen.
Ljubinskij: Wenn man so etwas vom russischen Verteidigungsministerium erfährt, versichere ich Ihnen: Diese Information ist absolut zuverlässig.

profil: Warum verlangt Präsident Putin gerade jetzt, dass die Ukraine niemals der NATO beitritt? Die Ukraine hat keinen "Membership Action Plan",den das Aufnahmeprozedere der NATO vorsieht.
Ljubinskij: Wenn Sie die ganze Geschichte aufmerksam verfolgen, wissen Sie: Russland stellt solche Fragen sehr konkret mindestens seit 2007/2008. Was erwarten Sie von Russland, wenn die militärische Infrastruktur der NATO immer näher rückt-direkt an unseren Grenzen? Niemals haben wir eine klare Antwort bekommen.
profil: Es ist das erste Mal, dass Putin nicht bloß verlangt, dass die Ukraine nicht der NATO beitritt. Diesmal droht er mit einer "militärischen Antwort".
Ljubinskij: Droht? Das würde ich nicht so bezeichnen.

profil: Eine "militärische Antwort" ist keine Drohung?
Ljubinskij: Es geht in unseren Vorschlägen gar nicht in erster Linie um die Ukraine. Dieses Problem bekommt die meiste Aufmerksamkeit, aber es geht um viel tiefer liegende Dinge, um die gesamte europäische Sicherheitsarchitektur. Bilden wir eine gemeinsame Sicherheit für alle oder nicht? Wenn nein, dann müssen wir darauf reagieren und eigene Schritte unternehmen. Oder machen wir es doch gemeinsam?

profil: Eine Annäherung Russlands an die NATO?
Ljubinskij: An die NATO? Ich frage mich, was ist die NATO? Eine Gemeinschaft freier demokratischer Staaten mit ausschließlich guten Absichten und dem Bestreben, Frieden auf der ganzen Welt herzustellen?

profil: Das klingt nicht schlecht, oder?
Ljubinskij: Wenn ich Außenminister Schallenberg anlässlich der Aktuellen Stunde im Nationalrat zuhöre, so sagt er, dass "nur eine Stimme für die freie Welt spricht, und das ist die der Amerikaner".

profil: Nun haben wir uns vom Kern der aktuellen Krise-der Ukraine etwas wegbewegt.
Ljubinskij: Die Ukraine ist nicht der Kern. Es ist viel komplexer. Aber derzeit wird die Ukraine von der NATO mit Waffen beliefert. Hunderte Panzerabwehrraketen, mehr als 400.000 Stück Munition, darunter für großkalibrige Waffen. Tonnenweise werden Waffen von Militärflugzeugen der Vereinigten Staaten nach Kiew und zu anderen Flugplätzen gebracht.

profil: Wollen Sie bestreiten, dass Russland damit begonnen hat, Waffen und Truppen in die Nähe der Grenzen zur Ukraine zu verlegen?
Ljubinskij: Ich will das überhaupt nicht besprechen. Das ist unsere interne Angelegenheit.
profil: Präsident Putin hat im vergangenen Jahr einen Artikel veröffentlicht mit dem Titel: "Über die historische Einheit der Russen und Ukrainer".Denkt Moskau in Wahrheit, dass diese Einheit durch die Existenz des ukrainischen Staates zerstört wird?
Ljubinskij: Die Ukraine ist historisch von Russland und von der russischen Geschichte überhaupt nicht zu trennen. Natürlich ist die Ukraine ein souveräner Staat. Ich bin 1967 in der Sowjetunion geboren, ich sage Ihnen, ein Brudervolk ist in meinem Verständnis viel mehr als ein Nachbarstaat. Wir sind slawische Brudervölker. Es ist ein großes Volk, das gezielt getrennt wird.

profil: Aber sie akzeptieren die Trennung?
Ljubinskij: Die Geschichte ist weitergegangen.

profil: Bei der Krim hat Russland nicht akzeptiert, dass die Geschichte die Krim und Russland getrennt hat.
Ljubinskij: Die Krim war niemals von Russland zu trennen.

profil: Nach internationalem Recht war sie Teil der Ukraine und ist es immer noch.
Ljubinskij: Im Rahmen der Sowjetunion nach willkürlicher Entscheidung eines Politikers ukrainischer Herkunft, was damals vollkommen unbedeutend war.

profil: Sie sprechen von Nikita Chruschtschow, dem sowjetischen Parteichef, der die Krim nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Teil der Ukraine gemacht hat...
Ljubinskij: ...und der hier im Kaminsaal nebenan US-Präsident John F. Kennedy getroffen hat, ja. Aber wie kam die Krim wieder an Russland? Es gab 2013/14 einen blutigen Staatsstreich in der Ukraine. Der Westen schwieg und ließ es geschehen. Ein Angriff auf die Krim wurde erklärt. Russland reagierte nur auf Ereignisse und die freie Wahl der Bevölkerung.

profil: Ihre Darstellung bestreite ich, aber ich möchte Ihnen eine Frage stellen, die daran anknüpft: Russland hat die Krim annektiert, weil es sich nach Ihrer Meinung um eine willkürliche Grenze handelte. Gibt es noch andere Gebiete, von denen Sie sagen würden, dass sie im Moment nicht zur Russischen Föderation gehören, tatsächlich aber Teil davon sein sollten?
Ljubinskij: Sie kennen die Antwort. Mir sind keine bekannt, Russland ist riesengroß.

profil: Ihnen ist bewusst, dass die derzeitige Situation vielen Menschen etwa in den baltischen Staaten Sorgen bereitet.
Ljubinskij: Das Baltikum ist eine andere Geschichte. Die USA schicken gerade einige Hundert Militärs ins Baltikum. Ich weiß nicht, ob es gut oder schlecht ist, aber zu Zeiten des Kalten Krieges gab es klare Spielregeln. Jetzt gibt es die nicht mehr. Die USA sind aus allen denkbaren Abrüstungsverträgen ausgetreten. Wieso diese Initiative Russlands? Wir haben keine feste vertragliche Sicherheitsgrundlage für die friedliche Existenz in Europa mehr. Niemand will den Krieg. Wir haben zwei Vertragsentwürfe vorgelegt. Wir brauchen klare, ehrliche Antworten.

profil: Eine Frage beschäftigt viele Österreicher: Wir sind bis zu einem nicht unbeträchtlichen Grad abhängig von russischem Gas. Wird Russland in einem Konflikt den Gashahn zudrehen?
Ljubinskij: Vor einigen Jahren-ich war gerade als Botschafter gekommen-haben wir mit einer schönen Zeremonie hier in Wien 50 Jahre Gasverträge zwischen Russland und Österreich, also Gazprom und OMV, gefeiert. In all diesen Jahren gab es keinen einzigen Tag, wo wir unsere Verpflichtungen nicht erfüllt haben. Wir sind beiderseitig zuverlässige Partner. Versetzen Sie die Leute nicht unnötig in Unruhe.
 

Zur Person

Dmitrij Ljubinskij, 54, ist bereits zum zweiten Mal Botschafter Russlands in Wien. Zunächst von 2005 bis 2008, nun erneut seit 2015. Ljubinskij studierte in Moskau Internationale Beziehungen.
 

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur