Wer hat Kobane im Stich gelassen?

Terror: Wer hat Kobane im Stich gelassen?

Terror. Wie die Uneinigkeit dem "Islamischen Staat" in die Hände spielt

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US-Außenminister John Kerry ließ keinen Zweifel daran, wie ernst es ihm war, als er am 17. September vor dem Auslands-Ausschuss des Senats darlegte, wie der Krieg zu gewinnen sei: "Wir haben eine klare Strategie, wie wir den IS schwächen, schlagen und zerstören werden." Das klang wie das ersehnte Ende des Albtraums, der sich "Islamischer Staat" nennt.

War es aber nicht.

Stattdessen kam es zu einer Schlacht um Kobane, die absurder nicht hätte sein können. Die 50.000-Einwohner-Stadt mit mehrheitlich kurdischer Bevölkerung, direkt an der türkisch-syrischen Grenze gelegen, wurde Mitte September von den Milizen des "Islamischen Staates" angegriffen. Die hatten die Stadt schon seit Monaten einnehmen wollen, waren aber an der Verteidigung der kurdischen Kämpfer gescheitert. Nun unternahmen sie einen neuerlichen Anlauf, ausgerüstet mit schweren Waffen und Humvees aus amerikanischer Produktion, die sie von der irakischen Armee erbeutet hatten.


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Ihnen gegenüber jedoch hatte sich eine übermächtige Koalition formiert: Mehr als 60 Staaten listet das US State Department auf, darunter neben den USA auch die Europäische Union, Kanada, die Nato, Saudi-Arabien, die Türkei Die militärische Potenz der beiden Konfliktparteien zu vergleichen, ist überflüssig. Und doch: Die IS-Kämpfer rückten trotz Luftschlägen von US-Bombern immer weiter vor und besetzten bis Ende der Woche Teile im Osten der Stadt.

Wir haben Kobane nicht fallen gelassen...

... sagen die USA. Amerikanische Kampfflugzeuge bombardierten während der vergangenen Woche Stellungen des IS. Allerdings schien das nicht auszureichen, um die Einnahme der Stadt durch die Dschihadisten zu verhindern. Einen Einsatz von Bodentruppen allerdings zog das Weiße Haus nicht in Betracht - diesen Job sollte die Türkei erledigen. Außerdem sind die USA darauf bedacht, militärisch ausschließlich gegen die Kämpfer des "Islamischen Staates" vorzugehen, nicht aber gegen die Truppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. Vergangenen Mittwoch kommentierte US-Außenminister John Kerry den Vormarsch des IS so: den Fall der Stadt zu verhindern, sei "kein strategisches Ziel".

Wir würden Bodentruppen einsetzen...

... sagt die Türkei - und stellt Bedingungen. So sollen die USA nicht nur die kurdischen Kämpfer im Widerstand gegen den IS unterstützen, sondern auch die Rebellen gegen das Assad-Regime. Weiters verlangt Ankara die Errichtung einer No-Fly-Zone und einer Puffer-Zone. All das verweigern die USA, die sich nicht in einen Krieg in Syrien hineinziehen lassen wollen. Die Türkei will ihrerseits nicht allein in einen schwierigen, gefährlichen und wohl auch langwierigen Krieg ziehen. Die Patt-Situation führt dazu, dass türkisches Militär die Schlacht um Kobane untätig von der Grenze aus beobachtet.

Wir sind für Kriege nicht zuständig...

... gibt die EU zu verstehen. Die Außenbeauftragte Federica Mogherini bezeichnete in ihrem Hearing vor dem Europäischen Parlament den IS als "bedeutende globale Bedrohung" und als "Bedrohung für uns alle". Einen Auftrag für die EU leitet sie daraus nicht ab. Die Führungsrolle in einem Krieg sollen muslimische Länder übernehmen. Die sogenannten Battle Groups - multinationale Kriseninterventionstruppen, die binnen weniger Tage in einem Radius von 6000 Kilometern rund um Brüssel eingesetzt werden können, bleiben auch in dieser Krise - wie immer seit 2005 - verlässlich zu Hause. Sie seien mit einer Stärke von 1500 Mann - davon rund 500 Kampfsoldaten - für die Verteidigung von Kobane zu schwach, sagt ein Militärexperte gegenüber profil.

Wir wollen keinen Alleingang riskieren...

... lässt Frankreich wissen. Staatspräsident François Hollande gab zwar bekannt, dass er die Idee einer Pufferzone zwischen Syrien und der Türkei für unterstützenswert hält, die dazu erforderlichen Bodentruppen zu stellen, schloss Außenminister Laurent Fabius jedoch umgehend aus.

Wir wissen nicht, was wir tun sollen...

... gesteht Deutschland. Außenminister Frank-Walter Steinmeier fand vergangenen Mittwoch ehrliche Worte: "Die Bilder, die uns dieser Tage aus Kobane erreichen, schreiben die syrische Tragödie leider fort. Wir müssen bekennen, dass wir das geeignete Mittel noch nicht gefunden haben."

Wir würden den IS angreifen, aber man lässt uns nicht...

... behauptet Syrien. Ein Einsatz der Luftwaffe sei unmöglich, weil die Kampfbomber der türkischen Grenze zu nahe kämen und Gefahr liefen, von der Türkei unter Beschuss genommen zu werden. Tatsächlich nützt Syrien die Ablenkung der restlichen Welt dazu, wieder heftiger gegen Rebellen vorzugehen.

Das Ergebnis ist...

... ein Desaster. Eine Kleinstadt an der syrisch-türkischen Grenze gegen geschätzt 3000 Angreifer einer Terror-Miliz zu verteidigen, ist eine machbare Aufgabe für eine internationale Koalition - wenn auch eine gefährliche. Das Risiko, sich im syrischen Kriegsgewirr zu verstricken, ist groß. Doch als Entschuldigung für Tatenlosigkeit taugt dies nur bedingt. Die USA und ihre Verbündeten haben die Öffentlichkeit getäuscht. Sie haben keine klare Strategie, wie der IS zu vernichten sei. Für die Terroristen ist die Schlacht um Kobane - egal, wie sie ausgeht - ein enormer Prestigegewinn. Sie haben der ganzen Welt die Stirn geboten.

Mitarbeit: Milena Jovanovic

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur