Noch vor dem Ersten Weltkrieg konnte Hollenstein erste Werke in Bregenz, Innsbruck, München und Zürich präsentieren. 1915 meldete sie sich freiwillig zum Kriegsdienst. Sie wurde als Mann in den Sanitätsdienst aufgenommen, tat von Mai bis August 1915 an der Südfront Dienst; nach ihrer Enttarnung als Frau bei einer Truppeninspektion im Sommer 1915 wurde sie als Kriegsmalerin für das Kriegspressequartier und das Heeresgeschichtliche Museum eingesetzt. 1917 erhielt Hollenstein wie viele andere Soldaten das Kaiser-Karl-Truppenkreuz.
Schedlmayer, 49, wählt für ihr Lebensbild einen ungewöhnlichen Ansatz. Sie verschneidet in „Hitlers queere Künstlerin“ die Vita Hollensteins mit drängenden Fragen und Debatten unserer Gegenwart. Einerseits ermöglicht dies überraschende Perspektiven auf ein unkonventionelles Frauenleben im 20. Jahrhundert, indem die Biografin die Genderfluidität – jenes Konzept, bei dem sich die Geschlechtsidentität einer Person verändern kann – auf Hollensteins Selbstinszenierung als Soldat Stephan mit Kurzhaarschnitt anwendet.
Andererseits: Der forcierte Blick durch die sozialpolitische Brille des 21. Jahrhunderts rückt die Malerin, die bereits 1934 der in Österreich verbotenen NSDAP beigetreten war, immer wieder in den Hintergrund. Schedlmayer kreiselt um Hollenstein, assistiert von Donald Trump und Dragqueens, AfD-Politikerin Alice Weidel und „Volks-Rock ’n’ Roller“ Andreas Gabalier, den FPÖ-Granden Udo Landbauer und Walter Rosenkranz, Russlands Machthaber Wladimir Putin und der Choreografin Doris Uhlich mit ihrem „Pudertanz“.
Das Spekulative schaut dabei gern um die Ecke, die Tücke der Vereinfachung erzeugt einen Sog der Stereotypen: „Was wäre aus ihr wohl geworden, wenn sie nicht Künstlerin im frühen 20., sondern beispielsweise Managerin im 21. Jahrhundert geworden wäre? Mit ihren Fähigkeiten, ihrer charismatischen Persönlichkeit, die offenbar über eine gewisse Überzeugungskraft verfügte: Wäre sie Konzernboss, Immobilienmagnatin, Vorstandsvorsitzende?“
Bombe explodieren lassen
Hätte. Wäre. Könnte. Wäre es nicht zielführender, den Mythenbaukasten, den Hollenstein zeitlebens um ihre Person herum zimmerte, zu ordnen, als vage Ausschmückungen einzupreisen, die Biografie einer gefallenen Künstlerin zusätzlich aufzumöbeln?
Kein Wunder, dass Hollenstein bei dem Analogien-Ansturm zuweilen zur Marginalie wird – vorgetragen in rustikalem Ton: Das Lustenau des 19. Jahrhunderts, notiert Schedlmayer über Hollensteins frühe Welt dumpfer Engstirnigkeit mit Rind- und Federvieh, sei „kein Bullerbü“ gewesen. Hollenstein und ihre wechselnden Angebeteten lassen einander „heiße Liebesbriefe“ zukommen, während Frau H. „aus Nebensächlichem eine Bombe explodieren“ lassen kann. „Die dunklen Haare sind kurz geschnitten und an den Kopf geklatscht“, kommentiert die Biografin ein Foto, auf dem Hollenstein als Soldat zu sehen ist: „Die Beine können sich nicht entscheiden, welches Stand-, welches Spielbein ist, und die rechte Hand fragt sich, wohin mit ihr.“ Man fragt sich, wohin mit solchen Notizen. Das Pferd, auf dem Landesverteidigerin Hollenstein in einem anderen Bild zu sehen ist, wird unter Schedlmayers Zugriff zum „Drachen“.
Dagegen spannt die Autorin einen kompakten, mit viel Recherche zusammengetragenen Ursache-Wirkung-Bogen, sobald sie historische Belege einbringt, um die Ambivalenzen und Paradoxien in Hollensteins Leben – lesbische Frau und treue Hitler-Adeptin, Expressionistin und Blut-und-Boden-Gläubige – zu verdeutlichen. Zum Beispiel Emil Nolde: Obwohl der 1956 gestorbene Maler als „entarteter Künstler“ verfemt war, agitierte er obszön gegen das Judentum und diente sich dem Nationalsozialismus frivol an.
Abgesehen von der einleitenden Szene des Kapitels „Hollenstein und der Antisemitismus“, die bekennender- und unnötigerweise erfunden ist, gräbt sich Schedlmayer in diesem Abschnitt tief und eindrucksvoll in Hollensteins antisemitische Wahnideen.
Das eigentliche Skandalon wird in „Hitlers queere Künstlerin“ dagegen nur am Rande gestreift. Hollenstein, die von der „Verjudung Mitteleuropas“ und von „artfremden, geschäftstüchtigen Juden“ schrieb, blieb jahrzehntelang eine Zentralfigur des Lustenauer Kulturlebens, unangetastet von öffentlicher Kritik und Widerspruch. Die nach ihr benannte „Galerie Hollenstein“ wurde erst vor fünf Jahren umbenannt.