Nein, Wiener Spitäler haben den Begriff „Muttermilch“ nicht verboten

Ein Ex-Nationalratsabgeordneter des Team Stronach behauptet, dass der Begriff „Muttermilch“ durch „Humanmilch“ ersetzt werden soll. Er wittert einen gender-ideologisch motivierten Akt – liegt aber falsch.

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„Der Terminus technicus für diese Art Milch ist #Muttermilch. In der gesamten deutschsprachigen Medizin bzw. in allen Bereichen, die sich näher damit befassen. [Das] beweist, wie manche mit Begriffen ideologisch über die Hintertür ‚im Namen des Guten und Modernen‘ bestimmte Bereiche für sich arrogieren wollen.“

Marcus Franz, Ex-Nationalratsabgeordneter vom Team Stronach

Twitter

Falsch

Als der Arzt und frühere Team-Stronach-Nationalratsabgeordnete Marcus Franz einen seiner Patienten im Klinikum Floridsdorf besuchte, wunderte er sich über ein Schild im Spital: „Humanmilchbank“ stand da in silbernen Lettern. Humanmilch? Franz hatte eine These, wie er erzählt: „Ich hatte einen Woke-Verdacht. Der Begriff passt in diese neue Sprachregelung, die am realen Leben vorbeigeht.“ Also postete er das Foto des Schriftzugs auf Twitter und erklärte: „Man will einfach die Biologie verbiegen beziehungsweise neue Begriffe erfinden, um die Realität zu manipulieren.“

faktiv gibt Entwarnung: Der Begriff „Humanmilch“ wird in der Wissenschaft seit Jahrzehnten verwendet. Es findet sich eine Vielzahl an Beiträgen in Fachzeitschriften, die von „Humanmilch“ handeln; schon in den 1970er-Jahren wurde der Begriff in der Forschung verwendet, zum Beispiel bei einer Untersuchung der Kontamination von Humanmilch. In der Studie wurden „164 Humanmilchproben von 96 Müttern“ der Universitäts-Frauenklinik Greifswald untersucht.

Keine ideologische Aktion

An der Semmelweis-Frauenklinik in Wien-Währing wurde 1908 die erste „Frauenmilchsammelstelle“ eingerichtet. 2017 wurde vom Gesundheitsministerium die „Leitlinie für Errichtung und Betrieb einer Humanmilchbank sowie von Institutionen zur Bearbeitung von Muttermilchspenden“ erstellt. Als die Frauenmilchsammelstelle 2019 an die Klinik Floridsdorf übersiedelte, wurde sie gemäß der Leitlinie „Humanmilchbank“ genannt. Martina Liesing, Administrative Leiterin der Humanmilchbank an der Klinik Floridsdorf, sieht darin keine ideologische Aktion. Sie sagt: „Es kann nur eine Frau laktieren.“

Haben die Autorinnen und Autoren der Leitlinie des Gesundheitsministeriums den Begriff „Humanmilchbank“ aus ideologischen Gründen gewählt? Nadja Haiden, Vorstand der Klinik für Neonatologie am Kepler-Universitätsklinikum in Linz und Mitglied des Autorenteams der Leitlinie, verneint. Sie sagt, dass die Begriffe „Muttermilchbank“ oder „Frauenmilchbank“ missverständlich waren. Ersterer bezeichne ausschließlich Milch der Mutter für das eigene Kind, Letzterer die Milch von Spenderinnen. Humanmilch würde als Überbegriff beide Arten einschließen, so Haiden, die einräumt: „Man kann es nie allen recht machen.“

International üblich

In der Schweiz gibt es ebenfalls eine Leitlinie „zur Organisation und Arbeitsweise einer Frauenmilchbank“. Darin enthalten sind nebst genauen Anforderungen an eine Milchbank auch Begriffsdefinitionen. Der Unterpunkt „Frauenmilch und Spendermilch“ führt folgende Spezifikation an: „Frauenmilch ist humane Milch.“ Und: Auch in Deutschland gibt es eine „Humanmilchbank“, etwa im Kinderklinikum Passau.

Auf profil-Anfrage räumt Franz ein: „Vielleicht wollen sie besonders politisch korrekt sein. Es kann aber auch sein, dass es ein akademisches Wording ist. Ich weiß es nicht. Dass die Biologie mit dem Begriff verbogen werden soll, war eine überspitzte Formulierung. Ich kenne allerdings niemanden, der diesen Begriff verwendet.“

Tatsächlich ist es so: In der Medizin und in Spitälern werden seit vielen Jahren alle drei Begriffe verwendet: Mutter-, Frauen- und Humanmilch.

„In den Wiener Kliniken gehen Mails an Mitarbeiter raus, dass sie Menschenmilch und nicht mehr Muttermilch sagen sollen.“

Twitter-Userin „Frau Zora Floridsdorfer Fachproletin“

Falsch

Unter dem Tweet von Marcus Franz wird kolportiert, dass Mitarbeiter in Wiener Kliniken per Mail dazu angehalten werden, fortan „Menschenmilch“ statt „Muttermilch“ zu sagen. Sowohl der Wiener Gesundheitsverbund (Wigev) als auch die Ärztekammer betonen allerdings, dass keine offiziellen Mails im Umlauf sind – dabei sind die Interessensvertreter der Ärzteschaft üblicherweise nicht um Kritik am Wigev verlegen. Auch diese Behauptung stimmt also nicht. Der Wigev weist zudem darauf hin, dass auf der Website der Humanmilchbank in Floridsdorf zusätzlich die Begriffe „Muttermilch“ und „Frauenmilch“ verwendet werden.

Fazit

Muttermilch ist einer der in der deutschsprachigen Medizin geläufigen Begriffe, aber nicht der einzige. Auch Frauenmilch und Humanmilch sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz gängige Bezeichnungen. Die Aussage, dass durch die Verwendung des Begriffs eine Ideologisierung „durch die Hintertür“ passiere, ist somit falsch. Auch für die Behauptung, Mitarbeiter in Krankenhäusern in Wien würden dazu aufgefordert, „Menschenmilch“ zu sagen, gibt es keinerlei Anhaltspunkte.

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv. Derzeit in Karenz.