
Marko Arnautovic (mit 45 Toren der neue Rekordtorschütze in der Nationalmannschaft) am Donnerstag, 09. Oktober 2025, nach Ende des Spiels zur WM-Qualifikation zwischen Österreich und San Marino in Wien.
Arnautovic: Vom Rotzbuben zum Rekordmann
„Den Marko Arnautovic“, sagte Hans Krankl vor 14 Jahren, „kannst du bald vergessen. Aus dem wird nie ein Großer.“ Das Problem an der Sache: Die Zeit ist ein Hund. Krankls Spruch hält heute keinem Faktencheck mehr Stand. Spätestens seit gestern, nach dem 10:0 (!) gegen San Marino, ist Arnautovic der König des heimischen Fußballs. Der größte aller Zeiten. Rekordhalter aller Disziplinen. Man darf es sich aussuchen. Arnautovic hat den bisherigen Rekordtorschützen Toni Polster, der fast drei Jahrzehnte an der Spitze thronte, überholt. Arnautovic hält nun bei 45 Toren, Polster bei einem weniger (wiewohl dieser auf dem Feld nicht mehr nachlegen kann).
Die Geschichte des Marko Arnautovic ist außergewöhnlich – auch, weil ihm von vielen Fußballlegenden des Landes lange ein frühes Scheitern vorhergesagt wurde.
Zu Unrecht unterschätzt
Anfang des Jahrtausends beklagte die heimische Branche noch das Fehlen echter Typen, wie sie einst Toni Polster, Hans Krankl oder Peter Pacult gewesen waren. Also rebellische Schmähbrüder mit goldenem Fuß. Dann tauchte mit Arnautovic endlich einer auf – und es passte auch nicht. Seine auffälligen Frisuren wurden kritisiert, sein Macho-Gehabe – und: dass er die österreichische Nationalhymne nie mitsang. Er hätte als Fußballer viel Talent, meinte Krankl, „aber der schafft das im Kopf einfach nicht“.
Marko Arnautovic, serbische Wurzeln, war einer der ersten Migranten-Kicker des Landes. Ein Junge zwischen Genie und Wahnsinn. Zwischen Feingeist und Frechdachs. Und dazu eine Biografie, als hätte sie Herbert Prohaska erfunden. Aufgewachsen in einer 20-Quadratmeter-Wohnung im Arbeiterbezirk Floridsdorf, ohne Badezimmer, das WC am Gang. Ein Straßenkicker, der aber im zunehmend professionalisierten heimischen Fußballbetrieb überall weggeschickt wurde: bei Rapid, der Austria, der Vienna. „Wenn der Trainer gesagt hat, er soll passen, hat er geschossen“, erzählte sein Bruder Danijel vor wenigen Jahren dem profil.
Karriere im Ausland
Der junge Marko ging bereits mit 17 Jahren ins Ausland und macht Karriere: in den Niederlanden, Deutschland, England und Italien. Vor allem in jungen Jahren fällt er aber auch mit Skandalen auf. Bei Inter Mailand wird er von Starcoach José Mourinho als „Kindskopf“ bezeichnet. Seinen Klub Werder Bremen bezeichnet Arnautovic 2010 als „Saftladen“ und gerät in Polizeikontrollen. In Interviews fabuliert er von Silikonbrüsten und wechselt in autoritäre Regime wie China – für 12 Millionen Euro Jahresgehalt netto. In den sozialen Medien präsentiert er sich wie ein Popstar. Man sieht ihn auf Yachten und in seiner Protz-Villa. Im bodenständigen Österreich kommt das nicht gut an.
Nach zwei schwächeren Länderspielen vor drei Jahren bezeichnet Ex-Teamspieler Peter Pacult den ÖFB-Stürmer als „überbewertet“: „Der wird bei uns verkauft wie der Superstar und das größte Talent überhaupt. Bis jetzt hat er aber nur bei Stoke City, West Ham, Werder Bremen und in China unten gespielt.“ Und: „Für das wie er verkauft wird, hat er uns weder zu einer WM, noch zu einer EM geschossen, so wie ein Herbert Prohaska, ein Toni Polster oder ein Andi Herzog – und trotzdem wird er über die gestellt.“
Retourkutsche von Arnautovics Bruder
Die Familie Arnautovic ließ sich derlei selten gefallen. Vom Talent her habe es „nie etwas Besseres in Österreich gegeben als Marko“, erklärte sein Bruder Danijel vor zwei Jahren im profil. „Aber dass ein Peter Pacult über Marko redet, ist ein Wahnsinn. Der hat für den österreichischen Fußball nichts geleistet. Ein Länderspieltor! Peter Pacult ist nicht einmal der linke Fuß von Marko.“
Arnautovic selbst ließ sich nicht beirren. Als Pacult ihn 2022 kritisierte, schlug dieser beim FC Bologna ein, erzielte Tor um Tor, 15 Treffer in einer Saison. Die italienischen Gazetten verglichen ihn mit Arnold Schwarzenegger. 2023 wechselt Arnautovic zum Topklub Inter Mailand.
Magister Arnautovic
In Österreich wird er dennoch gerne belächelt. Als er via TV-Kamera einen Teamkollegen loben wollte, sagte er statt Chapeau kurzerhand „Shampoo“. Im ORF verriet er: „Ich habe immer das gemacht, was in meinem Kopf war und das war natürlich der Fehler.“ Dirk Stermann und Christoph Grissemann nannten ihn scherzhaft „Magister Arnautovic“, in Anspielung an seine Versprecher und die klischeehafte Kicker-Attitüde.
In Österreichs Nationalteam wurde Arnautovic zur unverzichtbaren Konstante. Ein Kicker, den das Land bislang nicht gesehen hatte: ein Bling-Bling-Mann und Zauberer auf dem Feld. „Bis ich nicht tot bin, werde ich spielen“, erklärte er einst im Nationaltrikot.
Zweiter Frühling unter Rangnick
Als Ralf Rangnick 2022 Teamchef wurde, unkten Experten: Das war es mit der ÖFB-Karriere von Arnautovic. Ein verspielter Ballartist sei nicht nach dem Geschmack des ehemaligen Lehrers und Taktikprofessors, hieß es. Das Gegenteil trat ein. Rangnick braucht für seinen nahezu maschinellen Angriffsfußball Ausnahmekönner wie Arnautovic, die das schablonenhaft inszenierte Spiel mit Toren vollenden. Arnautovic erlebt nun mit 36 Jahren seinen zweiten Frühling. Unter Rangnick greift Österreich bedingungslos an – das kommt dem Stürmer zugute.
Eigentlich spielt Österreich gerade darum, sich erstmals seit 28 Jahren wieder für eine Weltmeisterschaft zu qualifizieren. Aber in Wahrheit ging es gestern gegen San Marino um viel mehr: Das Duell der beiden Allzeit-Torjäger Toni Polster und Marko Arnautovic, das seit Wochen die Gazetten beherrscht.
Die Ausgangslage: Arnautovic benötigte gegen den Weltranglisten-Letzten drei Treffer um die 44-Tore-Marke von Polster zu egalisieren. Er traf viermal.
Toni Polster gezeichnet
Der übertrumpfte Toni Polster verfolgte das Spiel in der Kantine des SC Wiener Viktoria in Wien-Meidling, wo er von einem ORF-Kamerateam begleitet wurde und sichtlich gezeichnet wirkte „Das ist eine Auswahl von Pizzabäckern und kein Nationalteam“, kritisierte er. „Die haben auf internationalem Parkett nichts verloren. So eine schwache Mannschaft hat es zu meiner Zeit nicht gegeben.“
Arnautovic lief Ehrendrunden, lachte, jubelte, weinte. „Ich bin sprachlos“, erklärte er. „Nach der Geburt meiner Kinder kommt das gleich danach.“ Und Toni Polster richtete er aus: „Riesengroßen Respekt, dass er so lange an der Spitze war – und ich hoffe, dass wir einmal zusammen einen trinken“. Arnautovic wirkte in dieser Situation nicht wie der lange geschmähte Rotzbub – sondern wie ein Rekordmann, mit Klasse.