Glosse: Kraut und Lügen

Glosse: Kraut und Lügen

Drucken

Schriftgröße

„Kopf gegen Tischplatte“: So sagt man im Internet, wenn man überhaupt nicht packt, was das Gegenüber gerade behauptet. Mir ging es neulich so. Schuld war die österreichische Website fischundfleisch.at und ihr seltsames Verständnis von Meinungsfreiheit.

Von Broccoli bis zur Börse

fischundfleisch.at will ein möglichst vielstimmiges Meinungsblog sein, verschiedenste Autoren sollen über alles Mögliche schreiben: von Rezepten über Broccoli bis hin zu Prognosen für das Aktienjahr. Sowohl namhafte Journalisten wie Anneliese Rohrer als auch ganz normale User schreiben dort. Viel Aufmerksamkeit entsteht allein dadurch, dass jeder der engagierten Autoren online Werbung für die Seite macht.

So wurde fischundfleisch.at ziemlich schnell bekannt. Jedoch: In diesem wilden Mischmasch von Kraut und Rüben ist etwas faul. Man findet dort dubiose Texte. Ein Esoteriker schreibt, dass „falsches“ Denken krank mache und man durch pures Umdenken Krankheiten vermeiden könne. Eine Userin erklärt, warum Impfungen unnötig seien, und das kurz, nachdem ein Kind in Berlin an Masern starb. fischundfleisch.at kann also Spuren von wissenschaftsfeindlichem Fanatismus enthalten.

Die Gründerin der Site, die Journalistin Silvia Jelincic, reagiert pampig auf derartige Kritik. Sie beruft sich auf Meinungsfreiheit und schreibt: „Jeder redet von Meinungsfreiheit, doch offenbar hört für viele die Meinungsfreiheit anderer dort auf, wo die eigene beginnt.“

Meinungsfreiheit ist keine Narrenfreiheit

Ein klassischer „Kopf meets Tischplatte“-Moment. Diese Argumentation ist verlogen. Es gibt im Web Tausende Sites, in denen Verschwörungstheoretiker ihre Weltsicht verbreiten können. Wir laufen wirklich nicht Gefahr, dass uns die skurrilen Texte im Internet ausgehen.

Meinungsfreiheit ist eben keine Narrenfreiheit. Es gibt sie, damit Menschen vor staatlicher Verfolgung geschützt werden. Meinungsfreiheit garantiert aber nicht, dass einem die anderen immer und überall Gehör schenken müssen, egal, wie skurril oder gefährlich die eigenen Worte sind. Deswegen dürfen sich Medien auch aussuchen, welchen Menschen sie Platz bieten.

Silvia Jelincic kündigt nun einen Diskussionsprozess an, wirft ihren Kritikern aber Zensurgelüste vor. Nein, es ist eben keine Zensur, wenn ein Medium klar Haltung einnimmt. Zensur wäre es, wenn diese Verschwörungstheoretiker und Impfgegner verhaftet würden oder sie nirgendwo im Netz mehr publizieren dürften. Also bitte: Keine verlogenen Debatten über die Meinungsfreiheit. Wer vernunftresistenten Menschen einen Platz einräumen will, soll dies weiter tun dürfen, muss sich dann aber auch gefallen lassen, ein „Schmuddelblog“ geschimpft zu werden. Dass ich das jetzt behaupte, erlaubt übrigens meine Meinungsfreiheit.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.