Bonnie Blue in einem blauen Kleid vor blauem Hintergrund. Sie hat blonde lange Haare und lächelt.

Ist das Selbstbestimmung oder kann das weg?

Die britische OnlyFans-Influencerin Bonnie Blue hat Anfang des Jahres innerhalb von 12 Stunden mit 1057 Männern geschlafen. Jetzt will sie ihren eigenen Rekord brechen. Ist das, wie sie sagt, weibliche Selbstermächtigung? Oder doch das absolute Gegenteil?
Eva Sager

Von Eva Sager

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Die Männer tragen königsblaue Sturmhauben und dunkle Sonnenbrillen. Keiner von ihnen möchte später, wenn die Videos vom heutigen Tag im Netz landen, erkannt werden. Gerade eben ist schon eine Mutter in der New Cavendish Street in London aufgetaucht und hat ihren Sohn lautstark nachhause zitiert. Ein Clip davon wird später viral gehen. Spätestens dann ist allen Anwesenden klar: Bei vielen Menschen wird ihr Samstagsausflug zu Bonnie Blue nicht sonderlich gut ankommen. Deswegen: Sturmhauben und Sonnenbrillen, gratis bereitgestellt von der Produktion. In der meterlangen Schlange sehen alle aus wie Bankräuber.

Es ist der 11. Januar 2025. In London ist es kalt, gegen Mittag hat es um die fünf Grad. Tageshöchstwert. Die Pornodarstellerin und Influencerin der Erotikplattform OnlyFans Bonnie Blue (26, Pseudonym) hat heute zu einer ihrer, wie der Boulevard es gerne nennt, „verrückten Sex-Aktionen“ geladen. Nachdem ihre OnlyFans-Kollegin Lily Phillips im Dezember 2024 innerhalb von 24 Stunden Sex mit 101 Männern hatte, will sie es innerhalb von zwölf mit 1000 schaffen – und das tut sie auch. Am Ende des Tages verkündet sie via Social Media, sie habe mit über 1000 Sexpartnern einen neuen Weltrekord aufgestellt – auf dem Foto dazu posiert sie mit einem von 1000, seine blaue Sturmhaube ist verrutscht, verdeckt aber immer noch sein Gesicht.

Ein halbes Jahr später legt Bonnie Blue nach. Neues Konzept, neuer Weltrekord. Dieses Mal will sie mit 2000 Männern schlafen, das Event dazu nennt sie „Bonnie Blue’s petting zoo“ („Bonnie Blues Streichelzoo“). Am 15. Juni 2025 will sie sich 24 Stunden lang in einem Glaskäfig fesseln lassen, irgendwo in der Londoner Oxford Street. Auf der Homepage heißt es: „24 Stunden lang gehöre ich dir. Gefesselt, geknebelt, gebeugt, flehend – ganz wie du mich willst. Keine Grenzen. Keine Pausen. Nur ich, in einer Box, bereit, benutzt zu werden.“

Es folgt eine Debatte in den Sozialen Medien. Am Ende wird „Bonnie Blue’s petting zoo“ abgesagt, ihr Account auf OnlyFans gesperrt. Die Fragen, die die Sexarbeiterin mit ihrem Vorhaben aufgeworfen hat, bleiben allerdings. Schließlich bekräftigt Bonnie Blue in zahlreichen Interviews immer wieder: Sie mache das für sich, es sei allein ihre Entscheidung, sie werde weder gezwungen, noch schäme sie sich – „it empowers me“ („Es gibt mir Selbstbewusstsein“). Knöpft sie dem Patriarchat mit ihren Stunts einfach nur recht gewieft das Geld ab? Oder hat die Hypersexualisierung von Frauen mit ihr ein konkretes Gesicht bekommen?

Eine Frau ist kein Einzelschicksal wie ein Mann. Eine Frau hat kein Ich. Eine Frau steht für alle Frauen. (...) Man gesteht uns nicht zu, Ich zu sagen. Und im Grunde können wir es auch nicht.

Elfriede Jelinek

Schriftstellerin (1997)

Die Sache mit der Eigenständigkeit stimmt jedenfalls. Bonnie Blue erzählte der britischen Wochenzeitung „The Economist“, dass sie auf der Plattform OnlyFans zuletzt bis zu 250.000 US-Dollar im Monat verdient hat. Mittlerweile führt sie ein Team von etwa zehn Personen, darunter Fotografen, Cutter und Securitys. Die meiste Zeit verbringe sie am Schreibtisch, nicht im Schlafzimmer. OnlyFans-Creatorin zu sein, sei nicht so glamourös, wie man glaubt, sagt sie im Interview.

Seit ihrer Gründung im Jahr 2016 hat sich die Plattform zu einem Giganten im Bereich erotischer oder pornografischer Inhalte entwickelt. Das Konzept des Onlinediensts: Für das Ansehen von Videos, die „Creators“ auf der Plattform zur Verfügung stellen, müssen Nutzerinnen und Nutzer Geld zahlen. OnlyFans behält sich dabei 20 Prozent der Einnahmen ein, also einen etwas geringeren Anteil als Uber und etwa so viel wie Airbnb. In den zwölf Monaten bis November 2023, aktuellere Zahlen gibt es nicht, machte die Plattform so einen Umsatz von 1,3 Milliarden Dollar. OnlyFans verdiente dabei so gut, dass fast die Hälfte des Umsatzes als Gewinn übrig blieb – das ist deutlich mehr als bei Meta oder Microsoft.

Auch für „Creators“, also Personen, die Videos hochladen, kann OnlyFans schnell rentabel werden. Die britische Sängerin Lily Allen verkündete letztes Jahr, dass ihr OnlyFans-Account, auf dem sie Fotos ihrer Füße teilt, mehr Geld einspielt als ihre Musik auf Spotify. Bonnie Blue nennt ihre 11.000-Dollar-Rolex „basic“ („einfach“). Wirklich reich werden am Ende trotzdem nur die wenigsten. Im Schnitt verdienen OnlyFans-Darsteller:innen rund 150 Dollar im Monat.

Trotzdem hat die Plattform teils festgefahrene Abhängigkeitsverhältnisse in der Sexarbeit etwas verschoben. Theresa Lachner, Systemische Sexualberaterin und Gründerin des größten deutschsprachigen Sexblogs „Lvstprinzip“, sagt gegenüber der Tageszeitung „Der Standard“: „Grundsätzlich sehe ich die Möglichkeit, autonom Inhalte zu vertreiben und so die Kontrolle über das eigene Bild zu haben, als sehr positiv an.“ Auf anderen Pornoseiten würden Videos oft ohne Zustimmung der Darsteller:innen veröffentlicht und nicht vergütet.

Problematische Vorfälle gab es in der Vergangenheit aber auch auf OnlyFans. Recherchen des NDR-Magazins „STRG_F“ und des Y-Kollektivs der ARD haben unter anderem gezeigt, wie Männer die Plattform nutzen, um Frauen systematisch auszubeuten. 

Für die Debatte rund um Bonnie Blue muss man das wissen. Denn spricht man über sie, diskutiert man in den meisten Fällen auch über Sexarbeit. Konservative, rechte und religiöse Stimmen haben damit  grundsätzlich ein Problem – und also auch mit Bonnie Blue. Ihr Widerstand gegen Aktionen wie den „Streichelzoo“ fußen allerdings mehr in einer moralischen Panik. Sie haben in ihrer Argumentation selten ein Problem mit der patriarchalen Gewalt, der sich Bonnie Blue möglicherweise aussetzt, sondern mit dem Verstoß gegen die bürgerliche Sittlichkeit. Die Kritik, die Bonnie Blue über TikTok erntet, fällt primär in diese Sparte. In den Kommentaren beschimpfen sie Menschen als „Succubus“, also eine lüsterne Dämonin, die Männer im Schlaf heimsucht.

Parallel dazu fragt man sich auch im Feminismus immer wieder: Wie umgehen mit Sexarbeit? Radikalfeministische Ansätze rücken hier Zwang, Ausbeutung und Gewalt in den Vordergrund, fordern gar ein Verbot. Der sex-positive Feminismus dagegen fokussiert sich auf den eigenen Willen und die Entscheidungsfreiheit von Sexarbeiterinnen.

It empowers me!

Bonnie Blue

OnlyFans-Influencerin

Bonnie Blue hat ihren Bürojob in einer Personalabteilung freiwillig aufgegeben, um als Webcam-Model durchzustarten. Mittlerweile besitzt sie mehrere Immobilien, sogar einen blauen Ferrari. Sie ist reich, international bekannt. Emanzipatorisch sind ihre Aktionen trotzdem nicht. In der Vergangenheit ist Bonnie Blue immer wieder mit frauenfeindlichen Aussagen aufgefallen. In einem Video, sie richtete sich dabei direkt an untreue Ehemänner, sagte sie: „Fühle dich niemals verantwortlich, wenn du deine Frau betrügst.“ Es sei die Schuld der Frau, weil sie „faul“ sei und „ihrem Mann“ offenbar zu selten ein „Vergnügen“ bereite. Vor kurzem war Blue zusammen mit Andrew Tate, dem Aushängeschild für toxische Männlichkeit und Frauenhass, in einem Podcast zu hören. Tate steht unter dem Verdacht der Vergewaltigung und des Menschenhandels. Während des zweieinhalbstündigen Gesprächs meinte Bonnie Blue zu ihm: „Imagine how powerful our baby would be“ („Stell dir vor, wie mächtig unser Baby wäre“). In Bonnie Blues Videos geht es immer um die Lust des Mannes, sie reproduziert stringent den male gaze („männlichen Blick“), also ein hierarchisches, heterosexuelles Geschlechterverhältnis – sie das Objekt, hypersexualisiert und passiv, er das Subjekt, kontrollierend und aktiv.

In einem Interview aus dem Jahr 1997 sagt Schriftstellerin Elfriede Jelinek: „Eine Frau ist kein Einzelschicksal wie ein Mann. Eine Frau hat kein Ich. Eine Frau steht für alle Frauen. (...) Man gesteht uns nicht zu, Ich zu sagen. Und im Grunde können wir es auch nicht.“

Bonnie Blues Aktionen haben Auswirkungen. Zum einen auf andere Sexarbeiter:innen, die mit OnlyFans ihr Geld verdienen. Wie überall sonst im Internet gilt nämlich auch dort: Mehr Aufsehen, mehr Aufrufe, mehr Geld. Wer vorne mitmischen will, muss nachziehen, muss ebenfalls schocken. 

Zum anderen machen sie etwas mit dem Frauenbild, besonders bei den Männern, die sich Bonnie Blues Videos ansehen oder gar zu ihren Events kommen. Und wahrscheinlich ist das der eigentliche Knackpunkt, der in dieser Diskussion immer zu kurz kommt. Es gibt einen Markt für Bonnie Blues „Stunts“. Männer geben Geld aus, um an „Bonnie Blue’s petting zoo“ teilzunehmen, um sie „gefesselt, geknebelt, gebeugt, flehend“ zu sehen. 

Hinter den blauen Sturmhauben, den dunklen Sonnenbrillen, verbergen sich Ehemänner, Väter, Brüder, Arbeitskollegen. Elfriede Jelinek würde sagen: „Eine Frau ist kein Einzelschicksal wie ein Mann.“ 

Eva Sager

Eva Sager

seit August 2023 im Digitalteam. Schreibt über Kultur, Gesellschaft und Gegenwart.