Liebe

Die Liebe ist ein seltsamer Deal

Nichts entkommt dem Kapitalismus, schon gar nicht in Datingshows oder sozialen Netzwerken. Über die wahre Liebe zwischen Influencer-Marketing und Trash-TV, Selbstoptimierung und Konsumlogik.
Eva  Sager

Von Eva Sager

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Heute ist euer erster ganzer Tag im Resort, das Wetter wird sonnig mit bis zu 28 Grad Celsius und null Aussicht auf Sex“, sagt Lana. Lana ist ein weißer, kegelförmiger Smart Speaker. Sie klingt ein bisschen wie Amazons Alexa, bimmelt kurz, bevor sie spricht, und leuchtet dabei lila. Das Ding ist: Lana sieht und hört alles. Und interessiert sich ausschließlich für Zwischenmenschliches. Deswegen freut sich bei der Netflix-Reality-Show „Too Hot to Handle“ auch niemand, wenn sie sich morgens im Schlafsaal meldet. Lana hat nämlich allen Teilnehmenden für die nächsten vier Wochen jedwede sexuelle Handlung verboten. Kein Küssen, kein Fummeln, kein Sex; nicht einmal masturbieren dürfen sie. „Ich bin so traurig, als wäre meine Mutter gestorben“, gesteht Kandidatin Francesca. Allerdings gibt es einen Anreiz: 100.000 Dollar. Doch bei jedem Regelverstoß wird das Preisgeld weniger. Es dauert nicht einmal einen Tag, bis die Gruppe die ersten 3000 Dollar verloren hat; Francesca und Harry konnten das Knutschen einfach nicht lassen. Und nein, sie sind damit nicht die letzten.

„Too Hot to Handle“ existiert in einem ganzen Universum von Reality-Formaten, die sich, mehr oder weniger, dem Thema Liebe verschrieben haben. „Love Is Blind“, „Love on the Spectrum“, „Perfect Match“. Daten, ohne einander zu sehen. Daten am autistischen Spektrum. Daten, wenn man bei vorangegangenen Datingshows noch keinen Erfolg einfahren konnte. Liebe ist schon lange nicht mehr nur ein Gefühl, mit Liebe lässt sich heutzutage ganz schön viel Geld verdienen. Nicht zuletzt auch via Social Media. Auf Instagram gibt es da zum Beispiel Marie und Jake. Ein „Influencer Couple“. Oder wie sie sich selbst nennen: „german & aussie lifestyle entrepreneurs.“ Über eine Million Menschen folgen ihnen, denn Marie und Jake sehen gut aus, machen an schönen Orten Urlaub und sind verliebt. Außerdem haben beide lange Haare. In einem Video springen sie einander in einem Schwimmbad in Bali zu einem pathetischen Song in die Arme und spritzen sich gegenseitig Wasser ins Gesicht. Ganz romantisch! „Ich liebte dich, als wir nichts hatten. Ich liebte dich, als wir in einem Van lebten“, heißt es in der Videobeschreibung darunter. Ihr Instagram-Auftritt sieht ein bisschen so aus, als hätte ihn sich ein zynischer Satiriker als Antwort auf die selbstdarstellerischen Bobo-Paare aus Wien-Neubau ausgedacht. Yoga, ein ausgebauter Lieferwagen fürs Reisen, Strandfotos. Alles da. Nur dass Marie und Jake mit der Vermarktung ihrer Beziehung auch eine riesige Online-Reichweite generieren. Und damit ihre Hotels in Bali, ihre Social-Media-Akademie oder ihre Modemarke bewerben.

Die Liebe als Tauschware

Der Konsumkapitalismus macht vor Gefühlen nicht halt. Am besten beschreibt das die israelische Soziologin Eva Illouz, die sich seit Jahren mit der Gefühlswelt, ganz besonders der Liebe, auseinandersetzt und sie in einen Zusammenhang mit Ansätzen aus der Kritischen Theorie stellt. Die Liebe sei durch die Kommerzialisierung des Privatlebens zur Tauschware verkommen. Der individuelle Drang zur Selbstoptimierung führe auch im Liebesleben zu einer marktähnlichen Steigerungslogik. „Während wir uns in eine Individualität, Emotionalität und Innerlichkeit zurückziehen, die uns als Schauplätze der Selbstermächtigung erscheinen mögen, schaffen und erfüllen wir ironischerweise gerade die Voraussetzungen einer ökonomischen und kapitalistischen Subjektivität, die die soziale Welt fragmentiert und ihre Objektivität unwirklich werden lässt“, formuliert Illouz in ihrem Buch „Warum Liebe endet“.

Im Reality-TV wird das besonders deutlich. Liebe ist schon lange nicht mehr das Ziel neuerer Datingshows, sondern ein reines Werkzeug für Ruhm und Geld. Und dafür reicht es, sie in einem performativen Schauspiel, von dem sowohl die Zuschauerinnen als auch die Kandidaten wissen, zu inszenieren. Gefühle sind mittlerweile etwas, das man ruhig als Handelsware begreifen darf, besonders im Fernsehen. Was macht es da noch für einen Unterschied, ob sie real sind oder nicht? Es ist hoffentlich allen bewusst, dass ein kurzer Yoni-Puja-Workshop – den machen die Kandidatinnen bei „Too Hot to Handle“, um die Beziehung zu ihren Genitalien zu verbessern – nicht reicht, um das eigene Selbstbewusstsein langfristig zu verbessern. Die Abläufe und Systematiken der Reality-Datingshows ergeben allerdings Sinn, wenn man sie in eine kapitalistische Marktlogik einbettet: Es geht um schnelle Selbstoptimierung; belohnt wird, wer sich an die Regeln des Systems hält – und ganz am Ende gewinnt jemand einen Batzen Geld. Nachhaltigkeit oder Wahrheit sind im Love-Reality-Fernsehen keine gängigen Kategorien. Hier geht es um das pure Etikett: Wer Liebe will, kauft das, wo „Liebe“ draufsteht; was drinnen ist, ist allen egal. Im Mittelpunkt steht der Konsum. Für dieses Spiel ernten die Teilnehmenden am Ende nicht nur eine gewisse Bekanntheit, eine Gage und, vielleicht, ein Preisgeld, sondern bekommen ihre Show-Liebschaft gleich mit dazu. Von dieser hat niemand behauptet, dass sie eine wahre Liebe wäre, trotzdem hat sie auch abseits der Show-Formate ihren Wert: Mit ihr kann man Geld machen.

Kommerzialisierte Gefühle

Nun fragt man sich natürlich: Kann so eine Liebe halten? Eigentlich ist es sogar besser, wenn sie nicht hält. „Ihr kennt mich vielleicht von Staffel eins von ‚Too Hot to Handle‘, dort habe ich alle Regeln gebrochen“, sagt Kandidatin Francesca. Mittlerweile sitzt sie im Interviewraum von „Perfect Match“, einer Netflix-Datingshow für ehemalige Netflix-Realityshow-Teilnehmende. Villa mit Pool, ein Haufen gut eingespielter Entertainerinnen und Entertainer und garantiert Drama, Drama, Drama. Alles für den richtigen „Match“, also für die perfekte Partie. Dieses Mal aber wirklich. „Ich freue mich so, meinen perfekten Match zu finden. Das hört sich arrogant an, aber ich bekomme immer, was ich will“, meint Francesca. Bei „Too Hot to Handle“ hat sie zwar eine tiefe, emotionale Verbindung zu Harry aufgebaut – Lautsprecher Lana hat es schließlich genehmigt –, gehalten hat die aber nicht besonders lange. Also auf ein Neues. Netflix hat sich mit seinen unterschiedlichen Dating-Formaten schon ein eigenes kleines Cinematic Universe aufgebaut; man kennt die Charaktere, ihre Geschichten und Beziehungen zueinander. Man weiß um die Regeln, die in diesem Universum gelten. Für die Teilnehmenden ist klar: Spielt man hier erst einmal mit, ist die ganz große Social-Media-Präsenz mit all ihren Verheißungen nicht mehr weit. Und auch die große Liebe, mit der man ordentlich Geld verdienen kann.

Netflix hat radikal zugespitzt, was Eva Illouz in ihrer Forschung beschreibt. Man begegnet einander als Konsumentinnen und Konsumenten, die Liebe ist durchkommerzialisiert. Das mag im Streaming um einiges intensiver sein als in der Realität, schließlich werden wir nicht gefilmt, es wartet auch kein Preisgeld auf uns, geschweige denn ein Smart Speaker namens Lana. Spuren hinterlässt der Konsumkapitalismus aber trotzdem. Die Rolle des individuellen Fortkommens, und welchen Einfluss eine Beziehung darauf hat, wird uns immer wichtiger. Durch Dating-Apps sind wir alle austauschbarer geworden. Und auf Social Media leben uns andere Leute ständig ein gesünderes, glücklicheres, perfekteres Leben vor, mit dem unmissverständlichen Auftrag, genauso gesund, glücklich und perfekt zu werden – auch in Beziehungsfragen. Die Ausgangslage für die Liebe könnte wirklich besser sein. Die Hoffnung aufzugeben, wäre wahrscheinlich trotzdem ein falsches Signal. Es gilt, Francesca weiterhin die Daumen zu drücken. Bei „Perfect Match“ hat es nämlich, Achtung Spoiler, auch nicht geklappt: „Mit Dom war es toll. Und ich hatte schöne Tage mit Abbey und Damien. Ich bin dankbar für diese Erfahrung. Am liebsten würde ich jetzt nach Hause gehen und meinem Ex schreiben … aber das sollte ich wahrscheinlich nicht machen.“

Eva  Sager

Eva Sager

seit November 2023 im Digitalteam. Schreibt über Gesellschaft und Gegenwart.