Ingrid Brodnig
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Facebook: Dokumente mit Sprengkraft

Interne Unterlagen zeigen, dass Facebook die eigenen Schattenseiten genau kennt. Der Konzern gerät zunehmend unter Druck. Zu Recht.

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Hattest du im letzten Monat das Gefühl, dass du unattraktiv bist? Hattest du das Gefühl, dass du nicht genügend Freund:innen hast? Wolltest du dich selbst umbringen – und haben diese Gefühle jeweils auf Instagram begonnen?

Derartige Fragen stellte Facebook Jugendlichen.  Nicht weniger als 13 Prozent der befragten Teenager in Großbritannien gaben dabei an, dass der Gedanke, sich selbst umzubringen, ihnen auf Instagram kam. In den USA war das bei sechs Prozent der Befragten der Fall. Rund vier von zehn Jugendlichen meinten, dass das Gefühl, unattraktiv zu sein, auf der Plattform Instagram startete (in Großbritannien gaben das 43 Prozent an, in den USA 41 Prozent).

Das sind nur ein paar jener Erkenntnisse, die  Facebook nicht der Öffentlichkeit mitteilte – und die nun dank der früheren Mitarbeiterin Frances Haugen und des „Wall Street Journal“  öffentlich wurden. Diese Enthüllungen zeichnen das düstere Bild eines Konzerns, dem einige seiner Schattenseiten sehr wohl bewusst sind, aber der diese Information vor der Öffentlichkeit geheim hält. Facebook habe „astronomische Profite vor Menschen gestellt“, wirft die Whistleblowerin Haugen dem Unternehmen vor, in dem sie früher als Produktmanagerin  tätig war. Besondere Sprengkraft haben jene Daten, die Jugendliche betreffen – ein wichtiger Markt für das Unternehmen. 2012 hat Facebook die Foto-App Instagram um eine Milliarde US-Dollar gekauft. Eine clevere Investition, denn heute ist Instagram eine der wichtigsten Plattformen für die jüngere Zielgruppe. 84 Prozent der Jugendlichen in Österreich geben an, dass sie Instagram nutzen. Nur 34 Prozent sagen das in der Altersgruppe der 11- bis 17-Jährigen über Facebook, so der Jugend-Internet-Monitor 2021 der Beratungseinrichtung SaferInternet.at.

Doch ein Teil der Jugendlichen spürt die Belastung der schönen Instagram-Welt, in der man häufig Menschen mit perfekten Körpern, perfekten Wohnungen, einem scheinbar perfekten Leben sieht. „Wir machen bei einem von drei Teenager-Mädchen das Körperbild schlimmer“, steht in einem internen Facebook-Memo. Insbesondere unter 30-Jährige und Mädchen scheinen ihr Aussehen auf Instagram mit dem von anderen zu vergleichen: „Es führt dazu, dass sich Menschen schlecht fühlen: Mehr als ein Viertel (26 %) berichten, dass sie oft oder immer Beiträge sehen, die dazu führen, dass sie sich schlechter im Hinblick auf ihren Körper oder ihr Aussehen fühlen. Mehr als ein Drittel (37 %) der Teenager-Mädchen geben das an.“ Manche Daten betreffen übrigens nicht nur die USA – auch in Deutschland scheinen Mädchen stärker als Jungen ihr Aussehen auf Instagram mit anderen zu vergleichen.

Facebook vertritt die Ansicht, diese internen Daten würden falsch dargestellt. So betont das Unternehmen, dass die Forschungsergebnisse zeigen würden, wie ernsthaft man sich mit Problemen von Jugendlichen auseinandersetzt. In einem Blog-Eintrag fasst Instagram die eigenen Befragungsergebnisse beispielsweise so zusammen: „Viele gaben an, dass Instagram Dinge besser macht oder dass es keinen Effekt hat, aber manche, speziell jene, die sich ohnehin schon schlecht fühlten, gaben an, dass Instagram das noch verschlechtern könnte.“

Schauen wir uns diese Argumentation kurz näher an: Es stimmt, dass nur eine Minderheit von solch negativen Effekten berichtet – so gab laut den Unterlagen eines von drei Mädchen an, dass Instagram Probleme mit dem eigenen Körperbild verschlimmert. Es ist durchaus naheliegend, dass eher jene Kids die heile Instagram-Welt belastend finden, die keine heile Welt um sich haben, die vielleicht eine schwierige familiäre Situation erleben oder die ohnehin bereits mit ihrem mentalen Wohlbefinden ringen. Ein Teenager zu sein, ist oft belastend. Aber wenn eine App wie Instagram in der Eigenwahrnehmung mancher Jugendlicher das Gefühl fördert, sie seien unattraktiv, sie seien nichts wert, dann sollten wir das ernstnehmen. Mich irritiert, wie sehr das Unternehmen betont, nur eine Minderheit berichte über solche Probleme: Was ist das für ein Argument? Ist nicht jeder und jede einzelne Jugendliche schützenswert?

Unvorteilhaft für Facebook ist, dass es der Öffentlichkeit die eigenen Daten vorenthielt. So wollten die Senator:innen Richard Blumenthal und Marsha Blackburn schon im August von Facebook  wissen, was seine internen Untersuchungen über das mentale Wohlbefinden Jugendlicher sagen. Facebook weigerte sich, diese Daten mit den Abgeordneten zu teilen. Gegenüber Medien wurde ein rosiges Bild gezeichnet. Noch im Mai 2021 hat Instagram-Chef Adam Mosseri gegenüber der Presse erklärt, dass der Effekt der App auf das Wohlbefinden von Jugendlichen „recht klein“ sei.

Mittlerweile hat die Whistleblowerin Frances Haugen vor dem US-Senat ausgesagt. Man sieht: Es gibt Mitarbeiter:innen bei Facebook, die sich eine andere Unternehmenspolitik wünschen. Die frühere Mitarbeiterin Haugen spricht sich für eine strengere staatliche Aufsicht des Konzerns aus. Auch plädiert sie dafür, dass Facebook unabhängigen Wissenschafter:innen Zugang zu seinen Daten gewähren soll. All das sind gute Ideen – auch für uns in Europa. Es ist wichtig, dass die EU strengere Vorgaben für die großen Plattformen erlässt. Wir sollten nicht blind darauf vertrauen, dass große Plattformen im Sinne der Allgemeinheit handeln. Oder wie es Haugen vor dem US-Senat formulierte: „Vertrauen wird verdient und Facebook hat unser Vertrauen nicht verdient.“

 

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.