Ingrid Brodnig
#brodnig

#brodnig: Hey, liebe Jugendliche, wir sind jetzt auch cool!

Parteien nutzen zunehmend TikTok - ein Einblick, was gelingt und wo es eher peinlich wird.

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Seit Kurzem ist Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner, eine der mächtigsten Politikerinnen Österreichs, auf TikTok. In einem ihrer ersten Videos sitzt sie am Schreibtisch und beantwortet die Frage, wie ihr Bürotag startet. Die Landeshauptfrau sagt: "Mit einer Menge Arbeit für Niederösterreich, but coffee first." Plötzlich zaubert ein Videoeffekt in das leere Glas in ihrer Hand Kaffee. 

Dieser Gag ist nett gemeint, aber es tut mir leid, solche Bürovideos sind uninteressant. Viele Menschen beginnen ihren Arbeitstag mit Kaffee, das allein bietet nicht genügend Unterhaltungswert für ein Video auf TikTok. Denn bei TikTok zählt jede Sekunde. Verplempern Sie nicht die Zeit des jungen Publikums, das ist meine erste Beobachtung. Ich habe mir viele Videos österreichischer Politiker:innen auf TikTok in den vergangenen Wochen angesehen. Mein Eindruck ist: Es gibt noch Luft nach oben - wobei es grundsätzlich clever ist, dass Parteien diese Plattform für sich testen. Dort kann man gezielt Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen.

57 Prozent der 11-bis 17-Jährigen verwenden TikTok, zeigt eine Befragung von SaferInternet.at. 28 Prozent der 18 bis 24-Jährigen nutzen TikTok, geht aus dem "Digital News Report" hervor. Die chinesische App ist ein vergleichsweise junger Kanal - das macht es für politische Kommunikation schwierig. Die Zielgruppe hat hohe Ansprüche, ist sehr schnell geschnittene, optisch überladene Videos gewohnt. Wenn ein Video auf TikTok nicht besonders relevant, witzig, eigenartig ist, scrollen Nutzerinnen und Nutzer schnell zum nächsten Clip weiter.

Wichtig ist auch: Meinen Sie es ernst mit dem Austausch. Natürlich sind Social-Media-Kanäle für die Politik ein Marketinginstrument, doch wer geschickt soziale Kanäle einsetzen will, sollte zeigen, dass er oder sie in einen Dialog treten möchte. Die Gefahr ist, dass Politiker:innen ihr Publikum von oben herab belehren oder es als "Dialog" missverstehen, wenn sie lapidare Feelgood-Fragen beantworten. So hat etwa Sebastian Kurz, als er noch Bundeskanzler war, einmal auf TikTok die Frage beantwortet: "Was ist Ihr Lieblingsessen?" Kurz und sein Team hätten die Möglichkeit gehabt, Fragen zur Schulpolitik, Klimakrise, ÖVP-Affären, zum Pandemie-Management zu beantworten - und jungen Leuten zu zeigen: Ich nehme eure Überlegungen ernst. Stattdessen lieferte er eine besonders dröge Antwort und meinte, dass er "eigentlich quer durch" vieles mag, "von Schnitzel über Tafelspitz bis hin zu Pizza und Pasta". Seine Antwort ist so generisch, dass man sich fragt, ob er überhaupt normale Nahrung zu sich nimmt oder bereits auf Astronautennahrung umgestiegen ist (auf dem Kanal @francis_citrus gibt es übrigens eine lustige Persiflage, Sie finden sie unter bit.ly/Kurz-TikTok-Satire).

Beantwortet man online als Politiker:in Fragen, sollte man es sich nicht zu leicht machen. Gerade Jugendliche haben ein gutes Gespür dafür, ob sich jemand wirklich ihren Fragen stellt. Auf TikTok darf Politik lustig sein - aber die Gags sollten sitzen. Zum Beispiel gibt es den kleinen Account "spoe_niederoesterreich", wo ein junger Typ unter anderem Witze darüber macht, wie "bum zua" er nach Ende der Corona-Maßnahmen am Wochenende sein wird. Was diese Videos der SPÖ in Niederösterreich bringen sollen, ist mir nicht ersichtlich.

Parteien dürfen sich auf TikTok durchaus erlauben, witzig zu sein, aber die Gags sollten Bezug zu den eigenen Themen oder Kandidat:innen haben. Mutig ist da der Kanal des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig. Zum Beispiel gibt es ein Video von ihm, wo das Gesicht von Ludwig auf ein barockes Gemälde der Habsburgerin Maria Theresia retuschiert wurde - das sieht absurd aus und passt zum schrägen Humor auf TikTok. Gleichzeitig werden auf dem Kanal auch politische Themen wie der Austrofaschismus oder Kritik an Corona-Maßnahmen der Regierung angesprochen.

Die FPÖ ist ein Sonderfall. Während andere Parteien versuchen, die schrille TikTok-Optik in ihre Posts zu inkludieren, laden die Freiheitlichen vergleichsweise spröde Videos hoch. Der Kanal von Parteichef Herbert Kickl umfasst hauptsächlich kurze Szenen von Kickl, wo er gegen die Impfpflicht wettert oder gegen die Regierung spricht. Es gibt keine knackige Musik, keine optischen Spielereien, wie sie auf TikTok üblich sind. Trotzdem spricht die FPÖ eine Nische an: die impfkritische Szene, die auch auf TikTok existiert. Die FPÖ macht auf sozialen Medien eines richtig: Sie konzentriert sich ganz auf ihre Kernthemen und wiederholt diese beharrlich. Auch die NEOS haben schon länger als Partei einen TikTok-Kanal, wo sie in bunter, tiktoktauglicher Weise kommunizieren, aber dabei ihre Themen wiederholen (wie politische Transparenz oder den Umgang mit Steuergeldern).

Stay on the message, wiederhole deine Botschaften, bis sie alle kennen - diese Grundregel politischer Kommunikation gilt auf auch auf TikTok. Sicher läuft Politik auf TikTok Gefahr, dass es cringe wird, also peinlich. Diese zum Teil schrillen Videos sind aber schon eine Chance, dass gerade junge Wählerinnen und Wähler doch eher mit einer Partei oder einem Gesicht in Kontakt kommen.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.