Ingrid Brodnig
#brodnig

Lasst den Wolf auf TikTok tanzen!

Ist es Unsinn oder unfair, dass die „Zeit im Bild“ nun auch auf TikTok ist? Nein, der ORF soll solche Kanäle bespielen – um auch die eigene Zukunft zu sichern.

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Reichweitentechnisch ist es ein großer Erfolg: Die „Zeit im Bild“ zelebriert ihren TikTok-Auftritt, und alle reden darüber. Ausschlaggebend für die große Aufmerksamkeit war, dass Moderator Armin Wolf in der „ZIB 2“ mit einem Tanz den neuen Account bekannt gab – genau genommen hat er den „Chopping Dance“ aufgeführt, bei dem man hauptsächlich mit den Händen im Takt klopft –  eine typische Geste auf TikTok.

Prompt wurde das Video im ganzen deutschen Sprachraum diskutiert: Die „Süddeutsche Zeitung“ befragte Armin Wolf, ob ihm das Erlernen der Moves schwergefallen sei. Die Schweizer Boulevard-Zeitung „20 Minuten“ berichtete: „ORF-Moderator belustigt Publikum mit seiner Tiktok-Einlage.“ Und „funk“ (es handelt sich dabei um das junge Online-Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland) nutzte das Video für einen Gag: Man sieht Armin Wolf, wie er konzentriert in der „ZIB 2“ die TikTok-Geste aufführt, und dazu postete „funk“ auf Instagram den Satz: „Wenn Papa mit meinen Freund:innen bonden will.“

Aber nicht alle lachten oder freuten sich über dieses Video. Ein Teil der österreichischen Medienlandschaft reagierte verschnupft. Der „Kurier“ schreibt beispielsweise, dass private Medienhäuser irritiert seien, dass die „Zeit im Bild“ nun auf TikTok ist. Zeitungsverleger:innen haben schon länger die Sorge vor einer Übermacht des ORF, dem mit Abstand größten Medienkonzern des Landes – denn mit seiner blauen orf.at-Seite bietet der ORF geschriebene Nachrichten und gräbt damit klassischen Printverlagen Reichweite und somit Werbeeinnahmen im Netz ab. Da ist die Expansion auf TikTok einmal mehr Anlass für Kritik. Diese Reaktion war erwartbar, allerdings sehe ich die Sache anders. Natürlich soll der ORF auf Plattformen wie TikTok aktiv sein.

Die zentrale Aufgabe des ORF ist es, möglichst alle Menschen in Österreich zu informieren. Ein grundlegender Gedanke des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist ja, dass dieser quasi den Kitt darstellen soll, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Einer solchen Aufgabe kann der ORF nur nachkommen, wenn er auch auf Plattformen präsent ist, zu welchen jüngere Zielgruppen hingewandert sind. Schon länger liefert die „Zeit im Bild“ hochwertige Information auf Instagram. Nun nutzt gut die Hälfte der 11- bis 17-Jährigen auch TikTok, das geht aus dem Jugend-Internet-Monitor der Einrichtung SaferInternet.at hervor. Es geht hier auch um die Zukunft des ORF: Wenn man will, dass es den ORF auch noch in ein paar Jahrzehnten gibt (was ich eine gute Idee finde), dann sollen Redaktionen des ORF auch dort Programm machen dürfen, wo junge Menschen mit ihnen in Kontakt kommen.

Wohlgemerkt: Man kann einiges an TikTok kritisieren – die Plattform gehört dem chinesischen Unternehmen ByteDance, die Moderationspraktiken der Plattformen sind oft intransparent. Bei allen chinesischen Apps stellt sich die Frage, inwieweit die chinesische Regierung Einfluss darauf nehmen kann. Überdies gibt es Kritik am Algorithmus von TikTok, denn bei TikTok fällt auf, dass es geschickt die Interessen seiner User:innen erkennt und ihnen maßgeschneidert Videos einblendet – das ist zwar unterhaltsam, führt aber zur Überlegung, ob sogenannte Filterblasen-Effekte auftreten könnten.

Gleichzeitig ist TikTok derzeit eine der spannendsten Plattformen – der App gelang es, sich gegen Platzhirsche wie Facebook (inklusive Instagram) und YouTube durchzusetzen und eine neue Nische für sich zu schaffen. Auch inhaltlich sind einige Videos kreativ. Natürlich gibt es viel Klamauk, aber häufig werden gesellschaftliche Probleme wie ungleich verteilter Wohlstand, Rassismus oder Sexismus angeprangert. Man findet Accounts wie @lawandbeyond_at, bei dem der Rechtsanwalt Patrick Onyemaechi Kainz rechtliche Themen wie Notwehr oder den Unterschied zwischen Raub und Diebstahl erklärt. Gute TikTok-Videos zu machen, ist schwierig – für Medien stellt es einen erheblichen Personal- und Zeitaufwand dar, komplexe Sachverhalte in wenigen Sekunden einzuordnen. Das Problem ist auch: Es rechnet sich wahrscheinlich unmittelbar für viele Medienhäuser nicht, aufwendige TikTok-Videos ohne klar sichtbares Erlösmodell zu produzieren. 

Die Gefahr ist derzeit, dass Jugendliche und junge Erwachsene auf Plattformen wie TikTok oder YouTube viel Zeit verbringen, aber dort nahezu keinen Kontakt mit journalistischen Medien aus Österreich haben. Deshalb finde ich es gut, wenn Qualitätsmedien wie die „Zeit im Bild“ oder auch der „Standard“ TikTok-Kanäle starten. Es erhöht die Chance, dass Jüngere  mehr Kontakt mit politischen Nachrichten und journalistischen Redaktionen haben. Viel wurde über Armin Wolfs Tanz geredet – wichtig ist auch: Armin Wolf wird nicht auf TikTok moderieren, es soll laut ihm nicht „ein alter weißer Mann“ den Jungen die Welt erklären. Stattdessen machen zwei junge Moderator:innen, Ambra Schuster und Idan Hanin, die kurzen Erklärvideos.

Insofern erscheint mir die TikTok-Strategie der „Zeit im Bild“ clever: Man zeigt der jungen Zielgruppe damit, dass man sie ernst nimmt. Natürlich ist das ein Luxus, den sich speziell der ORF leisten kann – aber letztlich ist dies ebenfalls etwas, wofür es meines Erachtens den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gibt: Er schafft auch dort mediale Angebote, wo sich das für privatwirtschaftlich finanzierte Medien zum Teil gar nicht rechnen würde.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.