Ingrid Brodnig
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Eine Einschüchterungsmethode im Internet ist Doxing: das feindselige Veröffentlichen privater Daten. Jetzt stellt sich die Frage: Tun wir genug dagegen?

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Im Juni 2019 wurde der konservative Politiker Walter Lübcke auf der Terrasse vor seinem Haus erschossen. Lübcke hatte zuvor wegen seines Einsatzes für geflüchtete Menschen Hasskommentare erhalten, auch seine Wohnadresse war online verbreitet worden. 2019 erschoss der Rechtsextreme Stephan E. dann den deutschen Politiker, mittlerweile sitzt der Täter lebenslang in Haft. Der Fall zeigt, wie brandgefährlich das Schüren von Aggression im Internet ist, wie speziell die rechtsextreme Szene Feindbilder aufbaut und sogar Todeslisten führt, auf denen von ihr verhasste Politiker:innen, Journalist:innen und Aktivist:innen stehen.

Damals wurde auch diskutiert, was „Doxing“ ist: das Veröffentlichen privater Informationen als feindseliger Akt. Das Wort setzt sich aus den englischen Begriffen „Document“ und „dropping“ zusammen, häufig wird zum Beispiel die Wohnadresse einer Person verbreitet, um diese einzuschüchtern oder gar gewaltbereite Menschen vor ihre Haustür zu bringen. Doxing ist also eine besonders üble Form des Hasskommentars, weil es darum geht, einer Person nahezutreten, zum Beispiel ihr Sicherheitsgefühl in den eigenen vier Wänden einzuschränken. Diese Form der Einschüchterung erleben beispielsweise auch immer wieder Feministinnen. Es stellt sich die Frage: Tun wir genug als Gesellschaft gegen Doxing – gibt es genügend Rechtsschutz für Betroffene, und bieten auch Social-Media-Plattformen ausreichend Schutz?

„Wenn berechtigte Interessen einer Person durch die Veröffentlichung privater Details verletzt werden, kann ein Unterlassungsanspruch geltend gemacht werden“, erklärt die Anwältin. Außerdem können manche Fälle von Doxing schon jetzt strafrechtlich verfolgt werden. Wenn etwa ein Posting die „Lebensführung“ einer Person unzumutbar einschränkt, könnte es sich um Cyberstalking nach § 107a des österreichischen Strafgesetzbuches oder unter Umständen auch Cybermobbing handeln, siehe § 107c. In der Werkzeugkiste der österreichischen Justiz findet sich also kein eigener Hammer, der dezidiert wegen Doxing geschaffen wurde. Es ist sinnvoll, in solchen Fällen einen erfahrenen Medienanwalt oder eine Medienanwältin zu konsultieren oder zum Beispiel die Beratungsstelle gegen Hass im Netz, die von der NGO Zara betrieben wird, um herauszufinden, welche rechtlichen Möglichkeiten man hat.

Sollte Österreich einen ähnlichen Paragrafen wie Deutschland einführen? Sinnvoll erschiene der Juristin Windhager, zu evaluieren, welche Fälle im Nachbarland zur Gesetzesänderung führten – und ob hierzulande ähnliche Rechtslücken auftauchten. „Man muss immer überlegen, ob es die Einführung neuer Strafbestimmungen überhaupt braucht. Die damit verbundene Diskussion bringt jedenfalls schon Vorteile: Sie fördert das gesellschaftliche Verständnis darüber, dass Doxing ein ernst zu nehmendes Problem ist.“ Genau genommen hat Österreich derzeit die Chance des Dazulernens: Wir können jetzt beobachten, welche Erfahrungen die deutsche Justiz und deutsche Betroffene mit diesem neuen Paragrafen machen – also wie wirkungsvoll diese Änderung in der Praxis ist. Dass Facebook aktuell auch ein Stück weit nachschärft, legt jedenfalls nahe, dass dieses Problem weiter akut sein wird.

Soll Österreich wie Deutschland einen neuen Straftatbestand einführen?

Facebook hat jetzt gerade den Schutz vor dem Veröffentlichen privater Details etwas ausgedehnt. Bisher war es auf der Plattform erlaubt, private Wohnadressen zu veröffentlichen, wenn diese anderswo öffentlich einsehbar waren (zum Beispiel in Gerichtsakten oder Unternehmensdokumenten). Diese Ausnahme wird nun abgeschafft. Ich finde es gut, dass Facebook inklusive Instagram diese Regelung ändert: Denn es macht einen riesigen Unterschied, ob die Adresse einer Person irgendwo in einem Gerichtsdokument theoretisch online auffindbar ist oder ob beispielsweise ein feindselig gestimmter Account mit vielen Fans die Wohndaten von jemandem gezielt an die eigene Gefolgschaft spielt – Letzteres hat eine wesentlich bedrohlichere Wirkung. Facebook folgt hier der Empfehlung seines Beratungsgremiums „Oversight Board“, bei dem unabhängige Expert:innen ein strengeres Vorgehen gegen Doxing anregten. Jedoch setzt das Unternehmen nicht alle Empfehlungen seines eigenen Gremiums um: Zum Beispiel wird Facebook keinen eigenen Beschwerdekanal einrichten, an den sich Betroffene von Doxing wenden können (das Unternehmen verweist hier darauf, dass es seine Beschwerdemöglichkeiten derzeit ohnehin überarbeitet).

Es tut sich also bei Facebook (das als Konzern mittlerweile Meta heißt) ein Stück weit etwas. Interessanterweise gab es auch in Deutschland schon juristische Nachjustierungen: Dort wurde im vergangenen Herbst ein eigener Doxing-Paragraf eingeführt. § 126a des deutschen Strafgesetzbuches verbietet „gefährdendes Verbreiten personenbezogener Daten“. In Österreich existiert kein solcher Doxing-Paragraf, erklärt die Medienanwältin Maria Windhager: „Eine spezielle Strafbestimmung gibt es nicht. Aber in vielen Fallkonstellationen von Doxing können die bestehenden Bestimmungen zum Persönlichkeitsschutz genutzt werden.“ Zum Beispiel könnte Doxing rechtswidrig sein, wenn die Veröffentlichung privater Angaben den Datenschutz verletzt. Weiters sind Ansprüche nach dem Zivilrecht möglich (siehe zum Beispiel § 16 oder § 43 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs).

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.