Ingrid Brodnig
Gesellschaft

#brodnig: Facebook ist wie Fast Food

Viele Menschen achten zu Recht auf ihre Ernährung - aber wir sollten auch darüber sprechen, wie wir unsere Informationsdiät verbessern.

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Über die Feiertage habe ich bewusst soziale Medien gemieden. Ich wollte mir eine Auszeit von all den aufwühlenden Diskussionen und dem Drama, das man ständig auf Facebook und Twitter mitbekommt, gönnen. Auch wollte ich weniger Zeit an meinem Smartphone verbringen. Das war eine gute Entscheidung. Wenn ich soziale Medien mehrere Tage meide, merke ich, wie ich ruhiger werde, wie sich meine Aufmerksamkeit stärker auf das Hier und Jetzt richtet.

Dazu passend hat der britische Journalist Johann Hari gerade ein Buch darüber herausgebracht, wie soziale Medien und viele andere Faktoren des modernen Lebens unsere Fähigkeit zur Aufmerksamkeit zerstören. Das Buch ist auf Englisch unter dem Titel "Stolen Focus. Why You Can't Pay Attention" erschienen, der "Guardian" hat einen Auszug daraus vorab veröffentlicht. Darin erklärt der Forscher Earl K. Miller, dass unser Gehirn nur in der Lage ist, "einen oder zwei Gedanken" zeitgleich zu haben. Die Gefahr ist aber, dass beispielsweise unsere Smartphones uns mit Push-Notifications und Gebrumme aus solchen Gedanken herausreißen. Dann brauchen wir wieder eine Zeit, um zu diesem Gedanken zurückzufinden. Das ist der "Switch Cost"-Effekt. Das beobachte ich auch an mir selbst: Es kostet mich Zeit und Konzentrationsleistung, wenn ich mein Smartphone nicht auf lautlos stelle und immer wieder aus meinen Aufgaben herausgerissen werde.

Auch ist es ein Mythos, dass man "nur kurz" auf Social Media schauen kann: Selbst wenn man die App nur kurz aufruft, ist man gedanklich schnell woanders - was einen doch länger beschäftigen kann. Der Psychologe Joel Nigg sieht hier ein kulturelles Problem. Er vergleicht diese Aufmerksamkeitsdefizite sogar mit dem Problem des Übergewichts in westlichen Kulturen. "Adipositas ist keine medizinische Epidemie - sondern eine gesellschaftliche. Beispielsweise haben wir minderwertiges Essen, und so werden Menschen dick", sagt Nigg zum Journalisten Johann Hari.

Ich halte die Beobachtung für wichtig, dass unser Umgang mit Essen/Sport/Bewegung/digitalen Kanälen auch gesellschaftlich geprägt ist. Der Vergleich mit Essen ist deshalb gut, weil meines Erachtens einige Parallelen zwischen Fast Food und Social Media existieren - sowohl der Anreiz als auch die Schattenseiten ähneln sich hier:

Erstens: Social Media und Fast Food bringen eine "instant gratification" - also eine sofortige Befriedigung. Wenn man ein Posting verfasst und prompt ein Like bekommt, fühlt sich das gut an - offline hingegen bekommt man oft keine prompte Rückmeldung oder gar Zustimmung. Die sozialen Kanäle sind extra so programmiert, dass User:innen das Gefühl rascher Bestätigung erhalten. Auch Fast Food schmeckt gut, ist schnell und unkompliziert konsumierbar. Aber diese prompte Befriedigung hat einen Preis. Viele Formen von Fast Food haben einen hohen Kaloriengehalt, stellen nicht die ausgewogenste Ernährung dar.

Zweitens: Was ich an Medien oder Nahrungsmitteln konsumiere, hängt auch von meinen ökonomischen Möglichkeiten ab. Zum Beispiel sind soziale Medien in der Regel kostenlos und niederschwellig. Wenn man abends erschöpft vom Job heimkommt, ist es leichter, geistesabwesend durch den Feed zu scrollen, als zum Beispiel einen langen, komplexen Online-Artikel zu lesen. Dazu kommt, dass immer mehr Zeitungen Geld für ihre ausführlicher recherchierten Texte verlangen. Ähnlich wie beim Essen gibt es online die Gefahr, dass nicht jede:r Zeit und Geld hat, auf die eigene Informationsdiät zu achten.

Drittens: Marketing und Psychologie werden sowohl von den Fast-Food-Riesen als auch von den Social-Media-Konzernen geschickt eingesetzt. Zum Beispiel kann es sein, dass man beim Fast-Food-Laden eigentlich gar keine Pommes oder nur eine kleine Portion wollte, aber dann wegen der Preisgestaltung oder der verlockend aussehenden Menüpräsentation doch zur Maxi-Portion greift-und somit mehr konsumiert, als man geplant hatte. Ähnlich ist das im Fall der sozialen Medien: Oft denkt man sich, man schaut "nur fünf Minuten" in die App. Doch der Feed wurde womöglich genau so designt, dass man das Gefühl bekommt, etwas Wichtiges zu verpassen, wenn man nicht weiterscrollt. In beiden Fällen profitieren die Unternehmen: Sie verkaufen mehr Produkte beziehungsweise können mehr Werbung einblenden.


Sicher gibt es ebenso Unterschiede zwischen Fast Food und Social Media. Zum Beispiel muss bei Nahrungsmitteln genau angegeben werden, welche Inhaltsstoffe diese besitzen, wohingegen es bei den Algorithmen (also der Software) der großen Plattformen bisher keine solchen Transparenzpflichten gibt.

Ich selbst habe über die Feiertage gemerkt, dass ich noch stärker auf meine eigene Informationsdiät achten möchte. Ich werde vor allem Pausen von Social Media suchen. Aber wichtig ist: Welche Inhalte oder welche Nahrungsmittel wir konsumieren, ist nicht rein eine individuelle Frage-unsere Kultur und unsere ökonomischen Rahmenbedingungen beeinflussen das ebenfalls. Es ist ein unrealistisches Ziel, dass jede:r von uns nur noch Vollkorn isst und gänzlich auf die Ablenkung durch Social Media verzichtet (das tue ich ja selbst ebenfalls nicht).

Aber womöglich können wir als Gesellschaft doch ein Stück weit besser werden und stärker auf unsere digitale Ernährung achten.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.