Ingrid Brodnig
#brodnig

#brodnig: "Zeige dieses Video! Verbreite die Wahrheit!"

Vorsicht vor diesen Falschmeldungen - mit ihnen wird der Krieg in der Ukraine verharmlost.

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Auf Facebook und Twitter kursiert dieses Video: Man sieht ein Filmteam auf einem großen Platz, dahinter eine Menschenmenge. Ein Mann mit Mikrofon ruft: "And action! "Die Menge - es handelt sich um Statistinnen und Statisten - rennt daraufhin schreiend Richtung Kamera. Alles nur inszeniert? Dieses Video wird online verbreitet mit der Behauptung: Man sähe hier die Ukraine - der Krieg sei nicht so schlimm, Schauspieler:innen würden engagiert, um angebliche Kriegsszenen nachzustellen. Auf Twitter schreibt eine Userin: "Unverschämtheit!" Und: "Nun habe ich kein Mitleid mehr". Auf Facebook teilt eine Frau das Video mit dem Hinweis: "Zeige dieses Video allen! Verbreite die Wahrheit!"

Achtung: Solche Postings sind irreführend. Das Video ist echt, aber es zeigt nicht die Ukraine im Jahr 2022. Man sieht hier die englische Stadt Birmingham im Jahr 2013 - wo der Science-Fiction-Film "Kaleidoscope Man" gedreht wurde. Ein altes Behind-the-Scenes-Video wird nun aus dem Kontext gerissen. Das ist eine typische Form der Verharmlosung einer realen Krise oder Gewalttat: Man behauptet, reales Leid sei nur inszeniert. Im Englischen heißt es dann, sogenannte "crisis actors" würden dafür bezahlt, so zu tun, als seien sie Teil einer Krise.Als zum Beispiel in Parkland, Florida, ein Mann 14 Jugendliche und drei Erwachsene erschoss, verbreiteten verschwörungsaffine und rechte Accounts danach die Behauptung, die angeblichen Familienangehörigen der Opfer seien Schauspieler und Schauspielerinnen, die ihr Leid nur vorspielen, um schärfere Waffenrechte in den USA durchzusetzen.

Bilder lügen doch:

Schon Mitte Februar schlug eine Granate in einem ostukrainischen Kindergarten ein - Fotos zeigen den Turnraum, in dem ein riesiges Loch in die Wand gesprengt war. Die Ukraine und prorussische Separatisten weisen sich gegenseitig die Schuld für die Kampfhandlungen zu. Online kursierte dann ein manipuliertes Bild des Kindergartens: Jemand hat einen Bagger in die Szene eingefügt, und es wurde behauptet, das Loch sei eine Inszenierung. Auch der rechte "Wochenblick" publizierte einen Artikel mit der Überschrift: "Fake-Meldung: beschossener Kindergarten eine False-Flag-Operation der ukrainischen Armee?" Darin wurde also die Idee verbreitet, dass hier Kampfszenen nur erfunden sein könnten, um prorussische Milizen schlecht darzustellen. Und noch mehr als das: Es gibt eine Bildmontage, die den US-Außenminister Antony Blinken zeigt. Er sitzt scheinbar im UN-Sicherheitsrat und hält ein Foto des beschädigten Kindergartens hoch. Es wird suggeriert: Die USA würden einen erfundenen Anschlag auf einen Kindergarten für Stimmungsmache nutzen. Das ist ebenfalls eine Bildfälschung, wie der Faktencheck der Nachrichtenagentur AFP ergab. Genau genommen wurde Blinkens Gesicht auf den Körper des früheren US-Außenministers Colin Powell retuschiert und dann noch das Foto des Kindergartens eingefügt.

Die Schuldumkehr:

Am 18. Februar behaupten Separatist:innen, dass eine Notevakuation der Zivilbevölkerung notwendig sei-sie verbreiten ein Video, wonach versucht worden sei, ein Chlorlager in ihrer Region zu sabottieren. Eine Analyse des Videos zeigt aber Unstimmigkeiten auf: Die Meta-Daten legen nahe, dass das Video schon einige Tage früher aufgenommen worden ist. Auch ist die Audiospur bearbeitet worden. Explosionsgeräusche wurden eingefügt, die aus einem älteren Video aus Finnland stammen. Das berichtet das britische Investigativmedium Bellingcat. Aber russische Medien haben das Video gezeigt, ohne die Angaben zu überprüfen. Von russischen Kanälen werden solche Geschichten über angebliche Gräueltaten in der Ostukraine genutzt, um den Krieg zu legitimieren. Solche Vorstellungen werden auf manchen deutschsprachigen Kanälen wiederholt. Das rechte Online-Medium AUF1 aus Oberösterreich, ein beliebter Kanal in der Querdenker-Szene, interviewte den verschwörungsaffinen Publizisten Christoph Hörstel. Dieser meinte: "Es ist natürlich in krimineller Absicht, dass man praktisch die Ukraine gezwungen hat, auf ihre Landsleute in alter Weise zu schießen, Terrortruppen loszulassen(...). Da hat Putin gesagt, das gucke ich mir nicht länger an, die ermorden unsere Landsleute."

In manchen Darstellungen passiert eine Schuldumkehr: Verantwortlich für den Krieg ist demnach nicht das Land, das den Angriffskrieg startet, sondern unter anderem das Land, das angegriffen wird. Kremlaffine Accounts und rechte Kanäle, die schon früher putinfreundlich auffielen, verbreiten fragwürdige Behauptungen. Auch Teile der verschwörungsaffinen, coronaskeptischen Szene teilen solche Geschichten. Einige Postings sind durchaus widersprüchlich: Mal heißt es, der Krieg sei eine Inszenierung, dann heißt es, der Krieg sei eine Notwehrreaktion Russlands. Diese Widersprüchlichkeit entspricht moderner Propaganda, wie sie russische Accounts seit Jahren betreiben: Da werden verschiedenste Thesen zu weltpolitischen Ereignissen eingestreut. Während klassische Propaganda darauf abzielt, eine Ideologie zu verbreiten, zielt heutige Propaganda darauf ab, vorrangig Menschen zu verunsichern, sodass sie das Gefühl haben, man könne gar nichts mehr glauben.

Drei Tipps:

1. Je spektakulärer eine Behauptung ist, desto kritischer sollte man sein.

2. Teilen Sie nur Information, die von etablierten Medien wie BBC, "Spiegel", Reuters bestätigt wurden.

3. Wenn Sie unsicher sind, können Sie Websites wie profil.at/faktiv, correctiv.org oder mimikama.at für konkrete Faktenchecks aufrufen.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.