Interview

Chris Lohner: „Was haben die Frauen von einem großen I?“

Chris Lohner, Stimme der Nation, erzählt von früher, als sie noch „Zierfisch und Ansteckblume“ war, und von überzogener Political Correctness heute.

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Frau Lohner, Sie stehen seit 50 Jahren in der Öffentlichkeit, Ihre Stimme sagt Zigtausenden Österreichern und Österreicherinnen täglich die Bahnstationen durch. Hatten Sie in Ihrem Leben jemals eine ruhige Phase?
Chris Lohner
Doch, und zwar immer dann, wenn ich abhaue nach Jamaika. Das ist sozusagen mein Pensionistenurlaub seit 40 Jahren.
Betrachten Sie sich denn als Pensionistin?
Lohner
Na ja, ich bin eine ORF-Pensionistin. Aber sonst bin ich keine! Ich muss zwar nicht mehr arbeiten, aber ich arbeite gerne. Ich halte es für ein Menschenrecht, zu arbeiten. Solange es ein Publikum gibt und ich ein funktionierendes Hirn habe, werde ich arbeiten. Ich glaube, dass die Energie immer mit dem Tun kommt. Wenn man beim Rad in die Pedale tritt, funktioniert der Dynamo. 

Chris Lohner veröffentlicht kurz vor ihrem 80. Geburtstag ein neues, stark autobiografisches Buch: „Zeitgeschichte in Bildern und Anekdoten“

Gerade ist Ihr neuestes Buch erschienen: „Chris Lohners Zeitgeschichte“. Sie erzählen darin von einigen prägenden Ereignissen der jüngeren österreichischen Geschichte und nennen es eine „unsentimental journey“. Was haben Sie denn selbst auf dieser unsentimentalen Reise gelernt?
Lohner
Ich bin im Krieg geboren, 1943. Das war einschneidend. Aber als Kind war es weitaus weniger tragisch als für die Erwachsenen. Wir waren alle arm, hatten nichts zum Essen und zum Anziehen, aber dafür gab es auch keinen Neid. Wir sind wie die Rüben aufgewachsen. Da haben wir gelernt, mit wenig auszukommen und trotzdem vergnügt zu sein. Mein Glück hängt nicht von Konsumgütern ab. Ich kann in einem Schlafsack in einer Strohhütte liegen und bin dort genauso glücklich wie in einem Fünfsternehotel. Die Bandbreite macht es aus. Dann ist alt zu sein wirklich ganz fein. Und älter zu werden, ist kein Einzelschicksal, das passiert jedem.
Was heißt das, gut zu altern?
Lohner
Man muss sich selbst annehmen. Demut spielt eine wichtige Rolle. Es ist nicht alles selbstverständlich. Ich gehe nicht mehr als Zierfisch und Ansteckblume. Die Leute wollen eher meine Meinung hören, als dass ich irgendwo stehe und herzig bin. Das ist vorbei. Aber ich war als Kind schon ein Revoluzzer. Ich habe immer alles hinterfragt. Und was ich schon immer hatte, und das sicher von meinem Vater, ist mein Helfersyndrom. Wenn es jemandem schlechter geht, dann bin ich zur Stelle. Die, denen es gut geht, die können sich selber helfen. Ich bin als Kind in die Altersheime gegangen und habe den alten Menschen Geschichten vorgelesen. Den universalen Sinn des Lebens gibt es nicht, aber es gibt für jeden Menschen einen Sinn des Lebens. Den muss er finden. Meiner ist, die Menschen zu unterhalten und ihnen zu helfen. Ich finde, das ist ein schönes Programm.

Chris Lohner 1984

"Ich ecke natürlich an, weil ich meinen Schnabel nicht halten kann." 

Ihr Buch ist auch eine Rückschau auf eine Kulturlandschaft, die es so nicht mehr gibt.
Lohner
Ja, früher ging man gemeinsam in die Volkshochschulen, um sich Filme anzusehen, man saß nicht allein vor dem Fernseher. Es war viel kollektiver.
Vermissen Sie das?
Lohner
Nein, ich vermisse gar nichts, Veränderung ist wichtig. Es war eine andere Zeit. Aber das ist okay. Alles, was passiert, prägt einen. Am Anfang dieses Buches habe ich geschrieben: „I’m a part of all that I have met.“ Alle Menschen, die man ernsthaft getroffen hat, von denen bleibt ein Teilchen zurück. Ob Sie es merken oder nicht. Aber das macht Sie aus.
Über Erika Pluhar schreiben Sie in Ihrem Buch, dass man André Heller durch sie sprechen hört. Wen hört man bei Ihnen mitreden?
Lohner
Bei mir hören Sie sicher den Dalai Lama mit. Und sicher auch Menschen wie Hugo Portisch, mit dem ich befreundet war. Und Viktor Frankl.
Sie erzählen auch davon, dass Sie mit Claudia Stöckl einmal bei der ORF- Prominenten-Playbackshow „Starlight“ mit schwarz geschminkten Gesichtern als die Pointer Sisters auftraten. Das bezeichnen Sie aus heutiger Sicht als No-Go.
Lohner
Diese Diskussion geht mir auf die Nerven.
Warum?
Lohner
Ich will da jetzt nicht radikal sein, man muss schon Rücksicht nehmen auf die Gefühle der Menschen. Aber ich kann das nicht nachvollziehen. Es gibt so viele Vorurteile, so viel Rassismus, so viele Nazis, die wir noch haben. Das alles wird versteckt unter einem Feigenblatt, und die Vorurteile bleiben bestehen. Sie werden in Political Correctness eingepackt, und wenn man es auspackt, ist noch dasselbe drin. Und das ist mir zu verlogen, ganz ehrlich. Wie die Diskussion darum, ob man das Lueger-Denkmal wegreißen sollte oder nicht. Man kann nicht alles wegputzen oder umschreiben. Das ist unsere Geschichte.
Was würden Sie denn mit dem Lueger-Denkmal machen?
Lohner
Ich würde eine Tafel hinstellen, und zwar groß, leserlich. Damit jeder, der vorbeigeht, sich das durchlesen kann. Wir haben diese Geschichte, und die kann man nicht wegwischen.
Sie haben vor Jahren in einem offenen Brief gegen die Töchter in der Bundeshymne unterschrieben. Singen Sie die Töchter mittlerweile?
Lohner
Ja, aber das ist doch Kosmetik. Würde man die Töchter nicht singen, hätte ich auch nichts dagegen, weil ich viel mehr dafür bin, dass Frauen für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn wie Männer bekommen. Das ist wichtiger, als ständig zu sagen: die Lehrer:innen und die Dings:innen. Das regt mich furchtbar auf, weil ich es hässlich finde. Ich muss doch die Zeit haben, zu sagen: die Lehrerinnen und Lehrer. Was haben die Frauen von einem großen I? Die sollen das auf ihrem Konto spüren, wenn sie genauso arbeiten wie die Männer, aber das passiert immer noch nicht. Frauen sind weltweit immer noch die Underdogs.
Hat man Sie eigentlich jemals gefragt, ob Sie in die Politik gehen wollen?
Lohner
Viktor Frankl, mit dem ich gut befreundet war, hat immer gesagt: „Mädel, geh in die Politik. Du bist frisch, du bist direkt!“ Darauf habe ich gesagt: „Nein, Viktor, als Quereinsteiger wirst du in zwei Sekunden zermörsert.“ Das ist ein Geschäft, das muss man gelernt haben, und dort passe ich nicht hin.
Dominik Wlazny hat soeben bei der Bundespräsidentenwahl bewiesen, dass Quereinsteiger sehr wohl beachtliche Ergebnisse einfahren können.
Lohner
Ja, Wlazny hat nicht diese abgepackten Sätze von sich gegeben. Er hat natürlich von vielen Dingen keine Ahnung, aber das ist ja wurscht! Wichtig ist, dass man eine Haltung hat und die auch nicht verlässt. Ich habe jetzt geschrieben, dass ich mich in sechs Jahren bei der Bundespräsidentenwahl bewerben werde, falls ich noch auf der Welt bin.
Auf Facebook hätten Sie ja schon eine gewisse Anhängerschaft versammelt.
Lohner
Ich hab mich eh gerade wieder aufgeregt auf Facebook. Über die Zelte, in denen Flüchtlinge wohnen sollen. Jetzt, wo der Winter beginnt, steckt man Flüchtlinge in Zelte? Hier? In Österreich? Ich glaub, ich spinn! Wem fällt denn so was ein? Ich habe dafür kein Verständnis, da mach ich dann schon Rabatz. Facebook ist für mich von den sozialen Medien noch am leichtesten zu handhaben. Wenn ich mir anschaue, wie die Leute Tag und Nacht twittern – das kann ich nicht, ich habe ja was zu tun. Aber ich habe über 15.000 Follower. Ich ecke natürlich an, weil ich überhaupt nicht meinen Schnabel halten kann. Und weil ich aufzeige, was mir nicht gefällt. Aber ich fotografiere nicht meine Zehen oder mein Frühstück. Ich habe etwas zu sagen.

Chris Lohners 

Zeitgeschichte in Bildern und Anekdoten

edition a. 272 S., EUR 29,–

Chris Lohner, 79

arbeitete in ihrer Jugend als Fotomodell und ab 1973 mehr als 30 Jahre lang als Sprecherin und Moderatorin für den ORF. Zudem spielte die studierte Schauspielerin in TV-Filmen, Serien und Bühnenstücken. Seit dem Jahr 1979 wird ihre Stimme für die Stationsansagen im ÖBB-Personenverkehr verwendet. Sie ist Autorin zahlreicher Bücher, Trägerin vieler Auszeichnungen (unter anderem Goldene Romy und Goldenes Ehrenzeichen der Republik) und Botschafterin mehrerer Wohltätigkeitsvereine. 

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.