„Der Boys Club ist in Österreich besonders stark“
Die österreichische Medienbranche hatte ihren #MeToo-Moment, als Sie gemeinsam mit Ihren Kolleginnen Raphaela Scharf, Katia Wagner und Nora Kahn Missbrauchsvorwürfe gegen Ihren ehemaligen Chef, den Medienunternehmer Wolfgang Fellner, öffentlich gemacht haben. Wie blicken Sie heute auf diese Zeit zurück?
Anđela Alexa
Die Zeit hat mich auf einen Weg der Selbstbestimmung gebracht. Etwas, was viele Frauen erleben, wenn sie erwachsen werden, für mich aber in einer extremen Form. Am Anfang ging es mir gar nicht in erster Linie darum, mein eigenes Recht einzufordern, sondern um Solidarität mit Raphaela Scharf, die allein gegen Wolfgang Fellner vor Gericht gezogen ist. Sie stand allein in der Öffentlichkeit, wurde von diesem Mann mit eigenem Medienimperium massiv angegriffen und als Lügnerin diffamiert. Ich wusste damals schon, dass es viele Betroffene gibt und dass ich dazugehöre. Dieses solidarische Gefühl, nicht zuzulassen, dass sie allein kämpft, war stärker als die Angst vor möglichen Konsequenzen. Natürlich war es eine sehr belastende Zeit. Ich war in Therapie, mein Leben hat sich verändert, meine Sicht auf die Welt und auf meine Rolle als Frau in der österreichischen Medienbranche. In den sozialen Medien gab es auch unfassbar viel Hass gegen uns.
Bereuen Sie es im Nachhinein, dass Sie an die Öffentlichkeit gegangen sind?
Alexa
Im Rückblick sehe ich, dass mich dieser Schritt gestärkt hat und Teil einer größeren, notwendigen Bewegung und Entwicklung ist. Heute bin ich sogar froh darüber, weil ich journalistisch stärker in diesem Themenbereich arbeite. Das hat mich positiv verändert, und ich glaube, wir werden dann oft zu den Menschen, die wir selbst gebraucht hätten, als wir jung waren. Ich konzentriere mich auf die Stimmen von Menschen, die mir deswegen dankbar sind und sich gehört und gesehen fühlen. Ich habe mich damals dadurch, dass wir die Ersten waren, schnell allein gefühlt. Was mich im Nachhinein schon nervt, ist, und das, glaube ich, können viele Betroffene von sich behaupten: Du bist automatisch verbunden mit dieser Geschichte. Das heißt, wenn man mich googelt, dann bin ich auf ewig mit Wolfgang Fellner verbunden. Gleichzeitig ist es aber wichtig, dass man mit dem eigenen Namen und offenen Gesicht an die Öffentlichkeit geht. Nur so können wir zeigen, dass wir uns nicht verstecken, und damit anderen Betroffenen Mut machen.
Was hat sich seitdem in der Branche verändert?
Alexa
Leider bin ich noch immer super-pessimistisch. Was ich aber schon merke, ist, dass Frauen, vor allem Betroffene, sich viel besser vernetzen. Belästigung existiert nach wie vor, ich bekomme das zum Beispiel auch von ganz jungen Journalistinnen mit, die in ihren Fachhochschulen belästigt werden. Aber grundsätzlich glaube ich, dass die Hemmschwelle niedriger geworden ist, offen darüber zu sprechen. Auch bei mir wird immer wieder angerufen, weil der Bedarf einfach so stark da ist. 2024 haben wir im Rahmen von columna V eine Online-Umfrage gemacht und Frauen über ihre Erfahrungen mit Machtmissbrauch befragt. Wir haben 220 Antworten bekommen.
Was haben Sie da von anderen Frauen mitbekommen?
Alexa
Ich muss natürlich alles anonym halten, deswegen kann ich nicht zu sehr ins Detail gehen. Aber wir reden da schon von strafrechtlich relevanten Übergriffen. Es ist ein breites Spektrum von körperlichen Übergriffen bis zu Erpressung und Diffamierung. Der größte Machtmissbrauch passiert durch die jeweiligen Vorgesetzten.
Warum passieren gerade in Österreich so viele Übergriffe?
Alexa
Bei uns ist die Medienbranche viel kleiner und auch stärker vernetzt als in Deutschland. Der Boys Club in Österreich ist besonders stark. Und Medienmenschen, aber auch andere mächtige Leute, die von Medien profitieren, stärken und unterstützen sich gegenseitig.
Wie helfen Sie den Frauen, die sich bei Ihnen melden?
Alexa
Viele wollen zuerst einmal gar keinen Rat, sondern einfach jemanden, bei dem sie sich auskotzen können und der sie ernst nimmt. Sonst ist es oft sehr individuell. Geht es um einen Kollegen, einen Interviewpartner oder den Chef? Ich rate den meisten, sich eine Vertrauensperson in der Redaktion zu suchen, die sie im Alltag unterstützen kann, damit sich die Betroffenen nicht so isoliert fühlen müssen. Und – wenn sie sich trauen – zur Gleichbehandlungsanwaltschaft zu gehen.
Über columna V
columna V ist ein Verein, der als Reaktion auf #MeToo und strukturellen Machtmissbrauch in Österreichs Medienbranche gegründet wurde, Betroffenen psychologische und juristische Unterstützung bietet, präventive Maßnahmen fordert und so nachhaltige kulturelle Veränderungen anstoßen will. Ziel von columna V ist es, zu einer offiziellen Vertrauens- und Kompetenzstelle gegen Belästigung und Gewalt in der Medienbranche zu werden.