Wir bestellen. Knecht nimmt Melanzani-Kebab (9,90), ich gemischtes Irgendwas (13,90), beides ist okay. Der Ruhm der Oase kommt aber fix nicht aus der Küche. Wir essen beide ziemlich schnell, für Knecht ist der Tag auch schon recht lange, die Morgenstunden hat sie nämlich beim Frühstücksfernsehen verbracht – als Promo für ihr neues Buch. „Ja, nein, vielleicht“ ist Knechts siebter Roman, es geht darin um eine etwas über 50-jährige Schriftstellerin, die zwischen ihrem Rückzugshaus im Waldviertel und einer winzigen Wohnung am Brunnenmarkt pendelt und die die Probleme etwas über 50-jähriger Frauen erlebt, Beziehungen, Kinder, Finanzen und Zahnschmerzen inklusive. Das Buch ist, wie alle Knecht-Bücher, ziemlich erfolgreich: Es landete mehr oder weniger sofort auf der „Spiegel“-Bestsellerliste, in Österreich führt es die Verkaufscharts gemeinsam mit dem ersten Roman von Marco Wanda an. Auf Social Media ist das Buch ebenfalls omnipräsent, es ist das Buch, das Frauen über 40 derzeit lesen und danach auf Instagram in die Kamera halten, und die Kritiken, auch im profil, waren durchaus wohlwollend.
Und das ist doch neu: Denn Knecht, die in einem früheren journalistischen Leben selbst als Literaturkritikerin gearbeitet hat, ist jetzt nicht unbedingt die Heldin des Feuilletons. „Die Literatur, vor allem die Literaturkritik ist immer noch sehr konservativ“, sagt sie selbst: „Die Kritiker, speziell in Österreich, unterscheiden immer noch bei Büchern zwischen E- und U-Literatur.“ Ihre Romane gelten ganz klar als U, „Unterhaltung“, und werden dementsprechend behandelt. Ihre Bücher werden nicht im „kulturMontag“ vorgestellt, sondern im Frühstücksfernsehen, es gibt keinen „Morgenjournal“-Beitrag, sondern Interviews auf Radio Wien und Radio Vorarlberg. Sie sagt dann auch noch, dass ihr das „mittlerweile egal ist: Ich schreibe nicht mehr für die 25-jährigen Buben, die lesen leider sowieso nicht mehr. Ich habe eine freundliche Fanbase aus Leserinnen, die sind ein extrem interessiertes und angenehmes Publikum. Sie kommen zu meinen Lesungen, sie kaufen meine Bücher, und wenn sie ihnen gefallen, schenken sie sie all ihren Freundinnen. Besser geht’s nicht.“ Sie klingt dabei sehr Knecht, also sehr abgebrüht, sehr cool und lässig, aber man merkt trotzdem, wie sehr es sie ärgert, dass die Großkritiker des österreichischen Literaturbetriebs einen Bogen um sie machen – übrigens anders als die deutschen Feuilletons.
Knechts Bücher gelten als „Frauenbücher“, als leicht lesbarer Begleittext zu Prosecco und „Celebrations“, der davon ablenkt, dass die Kinder nerven und sich die Halbwertszeit des aktuellen Lebensabschnittspartners schneller verringert, als dem lieb ist. Tatsächlich schreibt Knecht genau über diese Frauen, über deren Probleme, Affären und Intrigen (weswegen Freunde von Freundinnen ihre Texte vielleicht doch lesen sollten, Anm.). „Exzentrische Divenhaftigkeit kannst du dir als Frau nur erlauben, wenn du jung und schön bist oder, falls nicht mehr, wenn du einen Beschützer hast, der dein merkwürdiges Verhalten nach außen erklärt“, heißt es etwa an einer Stelle in „Ja, nein, vielleicht“. Ziemlich sicher werden da sehr viele Leserinnen nicken. Aber ist es deswegen weniger Literatur? Oder schlechtere Literatur? „In der Literaturkritik gibt es immer noch das Denken: Das lesen vor allem Frauen, also kann es nicht hochwertig sein“, sagt Knecht: „Aber ehrlich: Wir haben uns in der Literatur lange genug mit den Problemen von Männern auseinandergesetzt, mit ihren Sehnsüchten, Eroberungen, Wehwehchen. Frauen wollen jetzt einfach auch mal was anderes lesen.“
Im literarischen Leben von Doris Knecht geht es viel um Anerkennung, in den Texten selbst, aber auch in den Interviews. Während sie die letzten Reste ihrer Melanzani verdrückt, reden wir über die Helden der österreichischen Gegenwartsliteratur, ihre Meinung will sie lieber nicht in der Zeitung lesen. Im Kern geht es um die Frage, ob Texte allein deswegen schon kulturmontagswürdig sind, weil der Autor einen Rauschebart trägt und den inneren Monolog bei der Bestellung eines Frühstückseis nicht unter 70 Druckseiten hinbekommt. Wenn Knecht darüber redet, dann ist sie genauso witzig und sarkastisch wie die Heldinnen ihrer Bücher. Sie hat nach wie vor diesen schnellen, bitterbösen Witz, auf den sie ihre Kolumnistinnenkarriere aufgebaut hat. Aber es beschäftigt sie, auch weil sie sich stellvertretend für eine ganze Gruppe von Menschen sieht, die nicht mehr so im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, wie das vielleicht früher der Fall war. In ihrem neuen Buch heißt es dazu nicht ganz unpassend: „Bin ich schon die alte Frau, die wunderlich wird, weil sie so viel allein ist, und die immer öfter allein sein wird, weil sie so wunderlich ist? Manchmal frage ich mich, ob ich nicht lieber allein wunderlich bin als in der Gesellschaft von Menschen, die mich nicht mehr verstehen.“
Wir haben mittlerweile den Espresso ausgetrunken, Knecht muss zurück in ihre Wohnung, gleich ums Eck. Als wir uns verabschieden, sagt sie, dass sie eigentlich „gar nicht mehr so viele Menschen braucht. Ich sitze am liebsten in meiner Hütte am Land und arbeite.“ Dummerweise kann man dort nur wenig beobachten.