Hilflos im Krankenhaus: Wenn Opfer von K.-o.-Mitteln auf Unverständnis stoßen
Eine Partynacht im Juli 2024, ein Club am Wiener Gürtel. Es wird getrunken und getanzt, es wird gefeiert und gelacht. Und dann? Blackout. Halbnackt wacht die damals 22-jährige Laura T. in einem Bett auf, das nicht ihr eigenes ist. Die Erinnerungen an die vergangenen Stunden fehlen – das Letzte, an das sie sich erinnern kann, ist eine unangenehme Begegnung mit einem Mann. Ausgerechnet dieser steht nun neben ihr und amüsiert sich, dass sie von der vergangenen Nacht nichts mehr weiß. Verwirrt und verängstigt kontaktiert sie ihre Familie. Ein Verdacht kommt auf: K.-o.-Mittel. Laura T. besucht schließlich ein Krankenhaus – in der Hoffnung, dort auf Verständnis, Hilfe und Unterstützung zu stoßen. Doch die wird sie dort nicht finden. Und ist damit nicht die Einzige.
Über 100 unterschiedliche Wirkstoffe fallen unter die umgangssprachliche Bezeichnung K.-o.-Mittel: Substanzen wie Benzodiazepine, Neuroleptika oder Antidepressiva, die zur Behandlung psychiatrischer Erkrankungen verwendet werden, sowie GHB und GBL, zwei Substanzen, die auch als K.-o.-Tropfen bekannt sind. In ihrer Wirkung ähneln sie sich. „Die Muskeln entspannen sich, der Körper erschlafft, das Sprechen fällt schwer, die Atmung wird langsamer, und die Sicht verschwimmt vor den Augen“, erklärt Sophia Khom-Steinkellner, Neurowissenschaftlerin an der Universität Wien. „Durch K.-o.-Tropfen verschwindet die Urteilsfähigkeit. Betroffene können schwer einschätzen, was sie gerade machen. Sie sind nicht mehr in der Lage, sich zu wehren oder an Ereignisse zu erinnern.“ Unter Umständen kann das auch zu lebensgefährlichen Situationen führen: „Hochdosiert oder in Kombination mit Alkohol besteht das Risiko, einen Atemstillstand zu erleiden und zu ersticken“, erklärt der Wiener Pharmazeut Islam Abd El Rahman.
Das Letzte, an das sich Laura T. erinnern kann, ist eine unangenehme Begegnung mit einem Mann. Ausgerechnet dieser steht nun neben ihr und amüsiert sich, dass sie von der vergangenen Nacht nichts mehr weiß.
Weggeschickt
Schweiß- und Alkoholgeruch liegt in der Luft, junge Feiernde brüllen einander in die Ohren, betrunken von billigem Alkohol. Die Barkeeper sind bekannt für ihre hochprozentigen Mischungen, die Preise sind niedrig. So hat auch der Abend von Elias P. im März 2023 begonnen, als der damals 19-Jährige mit ein paar Freundinnen und Freunden in einen Wiener Club feiern ging. Wie der Abend weiterging, kann Elias nur noch bruchstückhaft rekonstruieren.
Am nächsten Morgen erwacht er gegen acht Uhr in der U-Bahn-Linie U6, ohne Telefon und Geldbörse – und ohne Erinnerungen. Er sucht das Krankenhaus Mödling auf, dort wird auf eine Blutabnahme, die K.-o.-Mittel nachweisen könnte, verzichtet. „Es bringt nichts, haben sie mir gesagt“, meint Elias P. Über die Möglichkeit einer Haaranalyse sei er nicht informiert worden.
Im Landesklinikum Baden-Mödling bestehe ein klar definiertes Vorgehen für Patientinnen und Patienten, die den Verdacht auf die Verabreichung von sogenannten K.-o.-Tropfen äußern, erklärt das Klinikum auf Anfrage. Zudem stehe die medizinische Versorgung und Sicherheit der Betroffenen im Vordergrund.
Ähnliches hat auch die 24-jährige Emma L. erlebt. Im März 2025 besuchte sie gemeinsam mit zwei Freundinnen eine Wiener Bar. Sie wurde auf ein Getränk eingeladen, wenig später wurde ihr schwindlig. Sie fuhr nach Hause und übergab sich. „Ich kann mich noch erinnern, dass ich auf der Toilette war und mich nicht mehr wirklich bewegen konnte – dann weiß ich nichts mehr.“ Die Erinnerung setzte erst einige Stunden später wieder ein. Ihre Erfahrung konnte sie nicht auf die getrunkene Menge Alkohol zurückführen. „Mir war klar, irgendwas muss mir verabreicht worden sein“, erzählt Emma L.
Noch am nächsten Morgen spürt sie die Wirkung: Schwindel, Übelkeit, Kraftlosigkeit und rasenden Herzschlag. Emma L. gerät in Panik, auch weil sie nicht weiß, was passiert ist. Sie beschließt, ins Krankenhaus zu fahren. Schließlich besucht sie die Notaufnahme des Allgemeinen Krankenhauses in Wien. Ein Test auf K.-o.-Mittel wird dort nicht gemacht. „Das Krankenhauspersonal sagte mir, dass man die Substanzen nicht mehr nachweisen könne. Ich sollte es einfach lassen“, so Emma L.
„Sie wurde richtig beraten. Es würde wahrscheinlich nichts bringen“, erklärt die Gynäkologin Daniela Dörfler, Leiterin der Opferschutzgruppe AKH. Denn das Zeitfenster, um die Substanzen nachweisen zu können, sei sehr klein. Laut Dörfler leite das Personal des AKH aber routinemäßig eine K.-o.-Mittel-Analyse ein und weise auf eine mögliche Haaranalyse hin.
Das Krankenhauspersonal sagte mir, dass man die Substanzen nicht mehr nachweisen könne. Ich sollte es einfach lassen.
mutmaßliches K.o.-Mittel-Opfer
Kritisches Zeitfenster
Die meisten Substanzen, die als K.-o.-Mittel verwendet werden, sind nur sechs bis zwölf Stunden in Blut und Urin nachweisbar. Doch über eine Haaranalyse kann die Substanz noch bis zu fünf Monate lang nachgewiesen werden, erklärt Klaus Kapelari, ärztliche Leitung des „Kompetenzzentrums Gewaltschutz“ in Innsbruck.
Der 24-Stunden-Frauennotruf der Stadt Wien rät dazu, auch nach dem kritischen Zeitfenster Blut- und Harnproben zu analysieren. Das entspricht auch den Richtlinien der Wiener Gewaltambulanz, wie deren Leiterin Katharina Stolz erklärt. Hier gelte: Innerhalb von 72 Stunden nach dem mutmaßlichen Vorfall entnimmt das Personal Proben. Der Hintergedanke: Neben GHB und GBL werden auch Substanzen als K.-o.-Mittel missbraucht, die länger nachweisbar sind.
Auch bei der Polizei stieß Emma L. auf wenig Verständnis: Die zuständige Polizistin zeigte den Vorfall nicht an – aus mangelnder Beweislast. Auf profil-Anfrage erklärt die Landespolizeidirektion Wien: „Liegt der Verdacht vor, dass K.-o.-Tropfen verabreicht wurden, ist eine Körperverletzung anzuzeigen.“
profil änderte die Namen aller Personen, die hier über ihre Erlebnisse berichten, zum Schutz von deren Privatsphäre. Elias P., Laura T. und Emma L. schildern ihre Erfahrungen authentisch. Fotos, Chatnachrichten und ein Krankenhausbefund, die profil vorliegen, unterstützen die Schilderungen der Personen.