Ingrid Brodnig
#brodnig

Wenn Weihnachten zu Corona-Stress führt

Wie kann man diskutieren, wenn ein Teil der Familie Impfmythen glaubt? Ein paar Tipps für die Feiertage.

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In einigen Familien sind die Weihnachtsfeiertage durch ein Thema getrübt: Corona - und die damit verbundene Impfdebatte. Wenn man über die Feiertage Angehörige trifft, kann es zu Diskussionen, sogar zu Streit kommen. Schwierig ist Diskutieren auch, weil Impfskepsis oftmals auf Falschmeldungen, Halbwahrheiten oder unbelegten Behauptungen über die Impfung aufbaut. In einigen Familien muss man sich darauf gefasst machen, solche Gerüchte beim Weihnachtsfest oder beim Treffen während der Feiertage zu hören. Wie kann man diskutieren, wenn ein Teil der Familie Impfmythen glaubt? Ich möchte drei Tipps geben:

1. Erwarten Sie nicht zu viel von einem Gespräch. Die Gefahr ist, dass wir uns selbst und anderen beim Diskutieren zu viel Druck machen. Vielleicht bereitet man sich sogar inhaltlich auf das Treffen mit dem impfskeptischen Onkel vor, liest Faktenchecks, Artikel zum Thema. Häufig diskutieren wir mit dem Wunsch, die Person prompt mit unseren Argumenten zu erreichen. Allerdings geht niemand in ein Gespräch mit der Absicht, überzeugt zu werden. Je mehr Druck man in einer Diskussion macht, indem man signalisiert, dass das Gegenüber von seinem Standpunkt abweichen soll, desto schwerer fällt das der Person oft. Der schwierige Spagat ist, zwar zu widersprechen und auf Fakten hinzuweisen, aber trotzdem der Person die Möglichkeit zu lassen, die Meinung zu ändern, ohne das Gesicht zu verlieren. Sie können sich gedanklich vorbereiten: Überlegen Sie sich etwa, was für Sie die zwei, drei wichtigsten Argumente sind, sich impfen zu lassen. Aber wechseln Sie dann auch wieder das Thema. Es ist gut, wenn man nicht nur über Themen redet, die emotional belastet sind. Und oft ist eine Nachdenkpause hilfreich, damit Argumente beim Gegenüber einsickern können, ohne dass man gleich ein Zugeständnis erwartet. Manchmal prallen Argumente einfach ab, aber manchmal gären sie in Menschen-und Umdenken fällt leichter, wenn man das Gefühl hat, sich selbst zur Entscheidung durchgerungen zu haben.

2. Hören Sie hin, welche Ängste die Impfskepsis bedient: Viele Falschmeldungen zu Corona und den Impfungen sind zwar faktisch falsch, aber emotional clever konstruiert. Zum Beispiel ist es falsch, dass die Impfung unfruchtbar macht. Selbst im Zulassungsverfahren der Impfstoffe fiel auf, dass geimpfte Frauen statistisch gleich oft schwanger wurden wie ungeimpfte Frauen. Diese Falschmeldung ist so erfolgreich, weil sie eine tiefer liegende Angst anspricht-viele Menschen möchten irgendwann ein Kind bekommen und haben die Sorge, dass der Kinderwunsch nicht klappen könnte. Anderes Beispiel: Manchmal sind es sogar Risikopatient:innen, die sich nicht impfen lassen, obwohl das von medizinischer Seite mit Nachdruck empfohlen wird. Hier kann passieren, dass die Angst, etwas falsch zu machen als Risikopatient:in dazu führt, dass Menschen vor der Impfung zurückschrecken, obwohl die Krankheit für sie die viel größere Gefahr darstellt. Wenn man in der Familie oder im Bekanntenkreis eine Vertrauensbasis mit jemandem hat, ist es gut, solche Ängste zu erkunden. Dann kann man beispielsweise sagen. "Ich merke, dich beschäftigt das Thema sehr."Oder: "Ich verstehe, dass du da besonders genau hinschaust."Und dann auf die medizinischen Erkenntnisse hinweisen. Denn wenn Sie nachvollziehbare Sorgen einer Person ernstnehmen, steigen die Chancen, dass Ihnen die Person auf der Sachebene auch eher zuhört.

3. Halten Sie nicht nur dagegen-stellen Sie Fragen. Es ist oft sinnvoll, unterschiedliche rhetorische Taktiken auszuprobieren. Wenn man merkt, dass Fakten abprallen, kann man zum Beispiel die Gesprächstaktik ändern und stattdessen Fragen stellen: "Woher hast du diese Information?" "Wieso vertraust du gerade dieser Person?" "Wie fühlst du dich, wenn du das hörst?"Mit dem Stellen von Fragen kann man manchmal Zweifel an solchen Geschichten nähren. Wichtig: All diese Tipps sind keine Wundermittel-auch beim respektvollen Stellen von Fragen braucht man ein Gegenüber, das noch ansatzweise bereit ist, sich solchen Fragen zu stellen.

Deshalb meine abschließende Empfehlung: Achten Sie auf sich selbst! Ich halte es für sinnvoll, dass wir als Gesellschaft weiterhin das Gespräch miteinander suchen. Gerade wenn einem jemand wichtig ist, hat man als geimpfte Person oft den Wunsch, dass dieser Mensch sich impfen lässt-und somit sich selbst und andere schützt. Aber niemand ist verpflichtet, alle Falschmeldungen, die derzeit kursieren, aus der Welt zu räumen. Wägen Sie ab, wie viel Zeit und Energie Sie für solche Gespräche haben. Diskutieren ist keine Einbahnstraße: Man kann ersuchen, so gut, wie man es schafft, einfühlsam und eloquent auf das Gegenüber zuzugehen. Aber Sie können letztlich nicht beeinflussen, ob Ihr Gegenüber Ihnen auch ein Stück weit entgegenkommt. Wenn Sie merken, dass jemand, der Ihnen wichtig ist, gedanklich ganz andere Vorstellungen hat als Sie, können Sie auch signalisieren: Ich sehe das anders als du, aber ich schätze dich, und ich freue mich, wenn wir einen Weg finden, gemeinsam Zeit miteinander zu verbringen. Manchmal ist es so, dass Menschen nach einer Zeit wieder umdenken-und dann ist es gut, wenn Ihre Freund:innen, Ihre Familie noch einen engen Kontakt zur Person haben und man wieder leichter ins Gespräch kommt.

 

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.