Ingrid Brodnig
#brodnig

Argumente gegen 2G: In der Opferrolle

Gegen 2G wird online heftig gewettert: Aber was ist dran an manchen oft wiederholten Argumenten?

Drucken

Schriftgröße

Die Wogen gehen hoch. Seitdem in Österreich 2G gilt, man also entweder geimpft oder genesen sein muss, um Lokale betreten zu können, wird umso erhitzter im Netz gepostet. Es ist eine Abwägungsfrage, welche politische Maßnahme man für sinnvoll erachtet – aber ich muss anmerken: Manche Argumente der vehementen Maßnahmen-Gegner:innen regen mich wirklich auf, weil sie wichtige Fakten ausblenden. Zum Beispiel liest man dieser Tage oft folgende drei Behauptungen (Punkt 1 ist noch eher harmlos, Punkt 3 ist ein schon ziemlich schlimmer Vorwurf):

1.) Auf Facebook wird sinngemäß oft gepostet:

„Wow, 2G macht richtig Sinn, zumal sich Geimpfte und Genesene nun gegenseitig infizieren können.“

Diese Behauptung ist geschickt, weil sie etwas Wahres anspricht, aber gleichzeitig wichtige Aspekte ausblendet. Ja, es stimmt: Die Impfung ist kein hundertprozentiger Schutz vor Ansteckung – jedoch sind Geimpfte grundsätzlich besser geschützt als Ungeimpfte. Die Wahrscheinlichkeit, sich anzustecken, ist geringer, speziell in den ersten Monaten nach der Vollimmunisierung. Auch sind Geimpfte kürzer infektiös: So trägt eine geimpfte Person im Schnitt das Virus nur drei Tage im Rachen, eine ungeimpfte Person bis zu sieben Tage (Ungeimpfte können also länger andere anstecken). Das Wichtigste ist aber: Selbst wenn sich Geimpfte anstecken, haben sie eine viel höhere Wahrscheinlichkeit, keine oder milde Symptome zu haben. Menschen, die 2G erfüllen, haben eine höhere Chance, die Krankheit gut wegzustecken.

2.) Online werden Fragen gestellt wie:

„Warum darf man ungeimpfte, gesunde Bürger aussperren?“

Selbst wenn eine ungeimpfte Person einen top-aktuellen negativen PCR-Test vorweisen kann, löst das ein Problem nicht: Die Person hat keinen Schutz vor dem Coronavirus. Während der PCR-Test nur eine Momentanaufnahme ist, stellt die Impfung ein Sicherheitsnetz dar – das sehr viele schwere Erkrankungen abfangen kann. 2G dient dem Schutz von Ungeimpften. Neulich schrieb mir jemand: „Ich möchte nicht geschützt werden. Ich verzichte sogar freiwillig auf mein Intensivbett, wenn ich dafür wieder meine Grundrechte genießen darf.“ Ich persönlich glaube: Solange man beim Atmen genügend Sauerstoff ins Blut bekommt, ist es leicht, solche Ansagen zu machen. Auch können wir als Gesellschaft nicht reihenweise Ungeimpfte sterben lassen (egal was Einzelne posten), weil sie eine sinnvolle medizinische Maßnahme nicht ergriffen

haben. Es geht hier auch nicht nur um persönliche Freiheiten: 2G dient ebenso dem Schutz unseres Gesundheitssystems: Unabhängig davon, ob jemand eine Erkrankung für sich in Kauf nimmt, geht es natürlich auch darum, sicherzustellen, dass andere Patient:innen (wie Krebskranke, Unfallopfer) weiterhin behandelt werden können.

3.) Und leider ist dieser Tage ein Argument oft zu lesen: Österreich sei eine „Corona-Diktatur!“

Seit Monaten gibt es Sätze wie: „Soll ich mir einen gelben Stern nähen, damit jeder weiß, dass ich nicht geimpft bin?“

Zuerst: Es ist ein historisch zutiefst problematischer Vergleich und eine Verharmlosung der Gräuel des Nationalsozialismus, wenn man allen Ernstes Corona-Maßnahmen auch nur ansatzweise mit der systematischen Ermordung von Juden und Jüdinnen (die im Nationalsozialismus einen gelben Davidstern zur Brandmarkung tragen mussten) gleichsetzt oder darin Parallelen zu erkennen glaubt. Wenn Sie jemanden in der Familie haben, der oder die solche Dinge mittlerweile behauptet, empfehle ich, Einrichtungen wie die Bundesstelle für Sektenfragen oder die Beratungsstelle Extremismus zu kontaktieren – diese beraten auch Angehörige.

Gehen wir auf das Wort „Corona-Diktatur“ ein, das noch öfter fällt: Dass Leute so heftige Kritik am Staat äußern können, ohne dass ihnen etwas Schlimmes passiert, ist eher schon ein Hinweis, dass man nicht in einer Diktatur lebt. Noch wichtiger ist: Würde tatsächlich eine Mehrheit der Bevölkerung der Meinung sein, die Corona-Maßnahmen seien komplett falsch und die Impfung sollte kritisch gesehen werden, dann könnte die Bevölkerung bei der nächsten Wahl mehrheitlich Parteien wie FPÖ oder MFG wählen. Die Wahrscheinlichkeit ist aber hoch, dass das nicht passieren wird: Ein vehementer Anti-Impfkurs ist eher ein Nischenprogramm. In Österreich sind bereits 77 Prozent der Personen ab 16 Jahren mindestens einmal geimpft, zeigt der Elektronische Impfpass (schön wäre noch mehr). Und ein historisches Detail am Rande: In Österreich gab es bis ins Jahr 1977 eine Impfpflicht gegen Pocken – es wäre aber wohl eine gewagte These, dass das Österreich der 1970er-Jahre eine Diktatur war.

Ich bringe diese Argumente nicht, weil damit überzeugte Impfgegner:innen umgestimmt werden. Oft habe ich den Eindruck, manche sehen es fast schon als Teil der eigenen Identität, nicht geimpft zu sein. Aber es geht nicht nur um diese komplett Überzeugten: Es geht auch um den Rest von uns, dass wir als Gesellschaft genau unterscheiden, welche Behauptungen gut belegt sind – und welche Behauptungen eben nicht. Es ist keine „Diktatur“, jemandem zu widersprechen oder auf Schwachstellen eines Arguments hinzuweisen. Eine der Aufklärung verschriebene Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass wir näher hinschauen, welcher Standpunkt besser fundiert ist – oder wie es der Philosoph Jürgen Habermas ausdrückte: dass wir sehr wohl den „zwanglosen Zwang des besseren Argumentes“ anerkennen.

 

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.