Qualifikation geschafft, Euphorie fehlt? Das ÖFB-Nationalteam nach dem Erfolg gegen Nordmazedonien
Wie super ist der Erfolg des Fußball-Nationalteams?

Kabinenpredigt: Wie super ist der Erfolg des Fußball-Nationalteams?

Das Nationalteam ist vorzeitig für die Europameisterschaft qualifiziert und wird trotzdem nicht bejubelt. Eine Einordnung.

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Die Nationalmannschaft hat sechs der letzten sieben Pflichtspiele gewonnen, spielte dabei aber oft langweiligen Fußball. Franco Foda hat den besten Punkteschnitt aller bisherigen Teamchefs, wird aber von der Öffentlichkeit kritisch betrachtet. Das Nationalteam ist für die Europameisterschaft qualifiziert, aber es herrscht keine Euphorie. Woran liegt das?

Wie hoch ist die Leistung der Qualifikation einzuschätzen?

Es sei sensationell, dass sich ein kleines Land wie Österreich zweimal in Folge für eine Europameisterschaft qualifiziere; das sei nicht zu erwarten gewesen, lautete das Fazit im ORF. Die Fakten: Vor Beginn der Qualifikationsspiele waren die Gruppengegner von Österreich (23.) in der Weltrangliste so platziert: Polen (20.), Slowenien (63.), Nordmazedonien (71.), Israel (92.), Lettland (131.). Daran hat sich wenig geändert. Österreich hat gegen ein auf Augenhöhe liegendes Polen von sechs möglichen Punkten einen geholt. Gegen Israel drei von sechs und gegen Slowenien und Nordmazedonien jeweils sechs von sechs. Österreich hat das Minimalziel erreicht: Platz 2. Eine Platzierung darunter wäre in dieser schwachen Gruppe ein Skandal, die Qualifikation ist keine Sensation, sondern bloß Erfüllung des Mindestanspruchs. Dazu kommt: Seit der letzten Europameisterschaft dürfen wesentlich mehr – nämlich 24 – Teams daran teilnehmen. Unter Marcel Koller wurde Österreich klar Erster (mit neun Siegen aus zehn Spielen) und hätte sich auch nach altem Modus qualifiziert. Foda erreichte bloß Platz zwei: die Aufstockung kommt ihm mehr entgegen als Kollers Mannschaft.

Wie gut hat sich die Mannschaft entwickelt?

Österreich hat in den ersten beiden Spielen gegen Polen und Israel sehr verhalten, devot und passiv gespielt. Die falsche Strategie wurde zahlenmäßig deutlich: null Punkte. Stefan Lainer betonte zu Beginn der EM-Qualifikation, dass er „in der Nationalmannschaft nicht so spielen“ könne wie im Verein, „damit würde der Trainer wohl nicht einverstanden sein, weil hier ein anderer Fußball gespielt wird. Im Team muss man sich in der einen oder anderen Situation zurückhalten und den Laden dicht halten.“ Teamchef Franco Foda stand als Trainer immer für einen passiven Ansatz, ein abwartendes Konterspiel. Auch als Teamchef kann er nicht aus seiner Haut. Zuletzt spielte Österreich mit Lainer (M´Gladbach), Hinteregger (Frankfurt), Dragovic (Leverkusen), Ulmer (Salzburg), Baumgartlinger (Leverkusen), Laimer (RB Leipzig), Lazaro (Inter Mailand), Alaba (Bayern München), Sabitzer (RB Leipzig), Arnautovic (Shanghai). Die Spieler sind größtenteils nicht nur Leistungsträger bei Topklubs in Topligen, sondern wurden fast ausschließlich mit derselben Fußballidee aufgezogen: RB-Style-Pressingfußball.

Nach den beiden Auftaktniederlagen erklärte Valentin Lazaro: „Wir wollten es ganz Österreich zeigen, welche Qualität wir haben – und haben uns auf einen Haufen zusammengehaut, jeder hat seinen Input gegeben und so haben wir uns aus der Scheiße gezogen.“ Interessanterweise spielte Österreich in den drei Spielen danach wie ausgewechselt Pressing, offensiver und wesentlich aktiver und mutiger. In den letzten Spielen wandelte sich die gute Entwicklung hin zur Aktivität vermehrt in Passivität. Gegen eine ersatzgeschwächte nordmazedonische Mannschaft spielte Österreich erst aktiv, um nach der 2:0-Führung immer passiver zu werden, bis das schwache Nordmazedonien nicht anders konnte als nach vorne zu spielen – und zu Torchancen und einem Treffer kam. Österreich siegte am Ende 2:1 gegen den Weltranglisten-Einundsiebzigsten.

Ist Österreich tatsächlich flexibler geworden?

Österreichs Nationalteam kann mittlerweile verschiedene Grundordnungen (Systeme) spielen. Fünferkette, Dreierkette, Viererkette. Doch während Mannschaften wie der LASK die Spielanlage (agiere ich aktiv oder passiv) durch einen Systemwechsel nicht verändern, wechselt das Nationalteam verstörend zwischen Aktivität und Passivität hin und her. Oft wird von entwickelter „Flexibilität“ gesprochen. Doch in der Praxis zeigt sich, dass Österreich im Aktivmodus gut aussieht und bei Passivität nicht sicher verteidigt, sondern jeden noch so schwachen Gegner stark macht. Fodas Ansatz verfolgen viele Trainer: Auch Rapid bewies zuletzt in Altach, dass das aktive Spiel der ersten Hälfte eine 3:0-Führung bescherte, während die selbstgewählte, verwaltende Haltung der zweiten Hälfte den inferioren Gegner zu einem Spielrausch und vielen (vergebenen) Torchancen ermutigte. Ist das Spiel der Österreicher wirklich flexibel, wenn eine Herangehensweise den Gegner unter Druck setzt und die andere Strategie bloß die eigene Fehleranfälligkeit übers Maß testet? Die zeitweilige Passivität mag gegen Nordmazedonien nicht zu gröberen Problemen führen, gegen richtig gute Teams schon.

Kann man im Nationalteam aufgrund der geringen Trainingszeit keinen aktiven Pressingfußball spielen?

ÖFB-Sportdirektor Peter Schöttel erklärt im "Standard": „Es wäre falsch zu sagen, es müssen alle wie Red Bull Salzburg oder der LASK kicken. Das würde beispielsweise im A-Team auch gar nicht funktionieren, da die gemeinsame Trainingszeit knapp bemessen ist.“

Aber ist es nicht sinnvoller, die knapp bemessene Trainingszeit auf Inhalten aufzubauen, die von den meisten Spielern bereits verinnerlicht wurden? Oft ist das Argument zu lesen, mit Nationalmannschaften sei diese Spielweise schwer einzuüben. Aber: Kaum eine Verbandsauswahl hat den Vorteil von Österreich: ein Pool an nach derselben Fußballidee ausgebildeten Spielern.

Wenn Schöttel sagt, die Spielweise, die einem Großteil seiner Mannschaft anerzogen wurde und außerordentlich gut liegt, sei im Nationalteam aufgrund knapp bemessener Trainingszeit nicht umzusetzen (obwohl es in dieser Qualifikation klare Gegenbeispiele dafür gibt), ist davon auszugehen, dass jedes Aneignen einer anderen Spielweise (die die Spieler nicht ständig bei ihren Klubs einüben, die ihnen nicht liegt und die sie sich neu aneignen müssen) mehr Zeit veranschlagt, als eine Spielweise für die es eine offensichtliche Basis gibt. Die einzige Hürde ist wohl die fehlende Erfahrung des Trainerteams mit dieser Fußballidee.

Warum bleibt trotz Erfolg die Euphorie aus?

Fußball ist nicht mehr bloß Ergebnissport, sondern Unterhaltungsgeschäft geworden. Und was verkauft sich besser als schöner, mutiger, offensiver Fußball – noch dazu wenn man beste Voraussetzungen dafür hat und gar Dorfklubs wie der WAC mittlerweile mutiger spielen als es ihrem Potential entspräche. Als ÖFB-Präsident Leo Windtner nach dem Grund für das Ausbleiben der Zuschauer vor dem wichtigen Spiel der Österreicher gegen Israel gefragt wurde, sprach er von einem „Sättigungseffekt“ des Publikums aufgrund der Europacupspiele in Salzburg, Linz und Graz. Dass in Wien, wo Austria und Rapid aktuell keine internationalen Kämpfe austragen, dadurch ein Zuschauerschwund entsteht, hat einen anderen Grund: Der mutige Fußball der Europacupstarter macht Spaß, jener der Nationalmannschaft nicht.

Soll Fodas Vertrag (der nach der Europameisterschaft endet) vorzeitig verlängert werden?

Franco Foda hält nach 21 Spielen bei 14 Siegen und nur fünf Niederlagen. Das ergibt mit 2,10 Punkten pro Spiel den besten Schnitt aller bisherigen Teamchefs. Das Manko: Sowohl in der Nations League (NL) als auch in der EM-Qualifikation ließ Foda das Team gegen wesentlich schwächere oder auf Augenhöhe agierende Gegner sehr verhalten auftreten. In der NL holte man von sechs möglichen Punkten gegen Gruppensieger Bosnien nur einen. In der aktuellen EM-Qualifikationsgruppe ist Bosnien derzeit mit fünf Niederlagen aus neun Spielen hinter Italien, Finnland, Griechenland und Armenien nur Fünfter. Auch ein äußerst biederes Polen war zu stark für Österreich. In beiden Qualifikationsgruppen wurde nur das Mindestziel erfüllt; hat Foda nicht bewiesen, dass er das Team besser machen kann.

ÖFB-Präsident Leo Windtner betonte nach dem Spiel, man wolle sich die Vertragsverlängerung noch genau überlegen. Herbert Prohaska sprang dem Teamchef im TV-Studio zur Seite und forderte eine sofortige Aufsetzung eines Schriftstückes. Leo Windtner konterte, man müsse dann aber die Erfolgsklausel „Halbfinale“ einbauen. Der ÖFB täte gut daran, bis nach der Europameisterschaft abzuwarten: Schöpft Foda dort das Potential der Truppe aus, steht einer Verlängerung nichts im Wege, wenn aber Mannschaften wie Bosnien oder Polen (gegen stärkere Teams musste das Team in Pflichtspielen nicht antreten) weiterhin eine zu große Hürde sind, würde sich der ÖFB bei einer verkorksten Euro unnötig in eine sportliche und finanzielle Zwangslage bringen.

Was ist bei der Europameisterschaft zu erwarten, was wäre möglich?

Österreich wird nicht den Fußball spielen, der den Spielern liegt, sondern wie bisher eine Mischung aus Fodas passivem Grundverständnis und der durchbrechenden Spiellust der Kicker. Zu beachten ist: Die letzten österreichischen Fußballerfolge entsprangen nie einer Angsthasentaktik, sondern immer der Bereitschaft zu Mut und Offensive – begonnen vom 4:1-Erfolg der Nationalmannschaft in Schweden (der die Qualifikation bedeutete), dem Europacuphalbfinale der Salzburger und dem aktuellen Erfolg des LASK. Heimische Fußballklubs stürmen neuerdings das Feld, attackieren ihre Gegenspieler wie wild gewordene Stiere, kämpfen bis zur letzten Minute. Der kleine LASK besiegte PSV Eindhoven 4:1, der noch kleinere WAC das deutsche Spitzenteam M´Gladbach 4:0.

Die mutige Gangart der Österreicher könnte zum Alleinstellungsmerkmal des oft als operettenhaft verschmähten heimischen Kicks werden – wenn sie denn als solches erkannt wird.