Das „East“ also: Mitten im Sternbräu-Komplex und damit an einem der besten Plätze der Stadt. Asiatische Fusion, bisschen Curry, bisschen Wok und Udon-Nudeln, dazu Tom Kha Gai, Chicken Wings und Tuna Teriaki. Die Speisekarte liest sich so, als hätte ein Großgastronom wie Attila Doğudan die Reste vom letzten Champions-League-Catering abgeworfen, aber das muss kein Fehler sein: Doğudan ist mit seinen asiatisch inspirierten Caterings sehr erfolgreich.
Die Wände und Decken sind mit dunklem, schwerem Holz verkleidet, die Tische in Kojen angeordnet. Die Einrichtung sieht sehr teuer aus, sehr nach Salzburg, sehr nach Red Bull. Je länger ich warte, desto mehr Kleinigkeiten fallen mir auf: Nippes, kleine Schälchen, kleine Buddhafiguren, und irgendwann fühle ich mich nicht mehr wie im Red-Bull-Freilichtmuseum (obwohl es nach Organics riecht, ich kann mich aber auch täuschen), sondern wie in einer Skihütte, die als Nobelchinese verkleidet ist. Und ja, dieses extravagante Dress-over passt ganz gut zu Hochmair, der sich ja auch als Paradiesvogel inszeniert, exzentrisch bis nach dem letzten Hemd.
Salzburg ist in diesen Wochen seine Stadt. Zum zweiten Mal ist er der Jedermann bei den Festspielen, eigentlich zum dritten Mal. Schon im Sommer 2018 half er aus, als Tobias Moretti an einer Lungenentzündung erkrankte, und er machte das damals sehr toll und souverän. Jetzt ist die Inszenierung ganz und gar auf ihn zugeschnitten, und zwar auf und neben der Bühne. Er gibt Interviews, überall, Social Media geht fast über mit Hochmair-Storys. Auch ein Buch hat er herausgebracht, eine Biografie, was sonst, und diese ist tatsächlich sehr vergnüglich zu lesen, was auch an seiner Ghostwriterin Katharina von der Leyen liegen mag. Die Biografie heißt „Hochmair, wo bist Du?“.
Apropos.
30 Minuten sind mittlerweile vergangen, und ich bin immer noch allein. Die Kellnerin schleicht um mich, den Orderman für die Bestellung auffällig unauffällig ausgestreckt. Nein, ich möchte noch nichts bestellen, sorry. Sicherheitshalber schicke ich Hochmair eine Nachricht. „Wir haben eh heute ausgemacht, oder?“ Die Nachricht geht nicht durch. Ich rufe an, lande sofort in der Mailbox. „Der Vodafone-Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar.“
52 Jahre wird Hochmair im Herbst alt, seit mehr als 30 Jahren spielt er Theater. In grauer Vorzeit war er Ensemblemitglied an der Burg, danach am Hamburger Thalia Theater. Richtig bekannt wurde er aber mit Fernsehen: Er spielte in den „Vorstadtweibern“, er war der Kommissar bei „Blind ermittelt“, und dann ein beeindruckend kalter Reinhard Heydrich im Fernsehfilm „Die Wannseekonferenz“. Und dann ist da der „Jedermann“, der ihn offenbar nicht loslässt. Seit zehn Jahren tourt Hochmair mit der Show „Jedermann Reloaded“ durch die Lande. Hugo von Hofmannsthals schwermütiges Moralstück ist da ein Monolog, in dem Hochmair alle Rollen spielt. Wobei: Spielt? Im Wesentlichen rezitiert er die suggestivsten Passagen des Originaltexts, und dort, wo es besonders bedeutungsschwanger wird, wiederholt er die Sätze, damit auch wirklich jeder Depp versteht: „Oha, jetzt ist wichtig.“ Reloaded ist der Jedermann ein Rockstar, der alle Zwischentöne überbrüllt, und vielleicht passt das auch ganz gut zu Hochmair: die Rolle, der Text, die Attitüde und auch das etwas aus der Zeit Gefallene.
Apropos.
60 Minuten. „Der Vodafone-Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar.“
Ich schreibe einer Bekannten, die mit Hochmair enger befreundet ist und laut ihren Instagram-Storys gerade ebenfalls in Salzburg weilt. Sie weiß aber von nichts. Ich schreibe einem anderen Bekannten, der häufiger mit ihm zusammengearbeitet hat. „Also wenn es ihm wichtig war, dann war der Philipp überpünktlich und nie zu spät“, antwortet der.
Ich rufe nochmals an. Nichts.
Die Kellnerin kommt wieder. Ob ich vielleicht Edamame zur Überbrückung möchte? Das Lokal ist proppenvoll, ich höre, wie die Kellnerin am Eingang wartenden Gästen sagt, dass sicher bald etwas frei wird, weil die Tische immer in 90-Minuten-Slots vergeben werden. Dann schaut sie in meine Richtung.
Wie lange wartet man auf einen Superstar? Und wann bestellt man, wenn man dem Restaurant gegenüber nicht unhöflich sein will, gleichzeitig aber auch nicht den Gast vor vollendete Tatsachen stellen mag, falls er doch noch aufschlägt?
75 Minuten, Edamame, noch eine Flasche Wasser, eine Cola dazu. Es ist tatsächlich sehr viel los im East, vor allem für einen Mittwoch vor der Festspielsaison. Touristen sind hier, Salzburger Business-Menschen, Red-Bull-Mitarbeiter, wahrscheinlich zu gleichen Teilen. Nach 80 Minuten mehr oder weniger durchgehendem Zum-Eingang-Starren bin ich gut darin, Neuankömmlinge in eine der drei Kategorien einzuteilen. Ich irre mich kaum, obwohl ich beim Red-Bull-Sportler-Erraten nie besonders gut war.
80 Minuten, die Runden der Kellnerin werden immer kürzer. Aber leider, immer noch: „Der Vodafone-Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar.“ Sicherheitshalber bestelle ich, damit ich von meinem Salzburgausflug zumindest ein Essensfoto mitnehme. Das Black Pepper Beef mit Saisongemüse (16,90 Euro) schmeckt genauso professionell, wie das Lokal aussieht, aber zugegeben, man muss dafür nicht extra aus Wien anreisen. Ich schreibe nochmals eine Nachricht, rufe nochmals an, nichts geht durch.
14.45 Uhr, die Kellnerin kommt wieder. Bevor sie in die Verlegenheit kommt, mich auf die Slot-Zeit hinzuweisen, packe ich meine Sachen. Ich gehe unverrichteter Dinge. Ob ich wirklich etwas über Allüren erfahren habe, weiß ich nicht. Was mir bleibt, ist das Buch in meiner Tasche: „Hochmair, wo bist Du?“
Als ich im Zug sitze, läutet mein Telefon. „Philipp Hochmair“ steht am Display. Ich kann leider nicht abheben, ich sitze im Ruhewagen, und da ist Telefonieren verboten.