Ingrid Brodnig
#brodnig

Lachen über Sebastian Kurz

Wie böse darf oder soll man über Politiker:innen posten?

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Die veröffentlichten Chats rund um Sebastian Kurz und seine engsten Vertrauten lösen viele entrüstete Postings, satirische Wortmeldungen und auch Häme aus: Derzeit kursieren auf sozialen Medien Bildmontagen, die die ÖVP aufs Korn nehmen. Zum Beispiel sieht man ein Foto, auf dem der frühere Bundeskanzler Sebastian Kurz und der britische Premierminister Boris Johnson zusammensitzen. Eine Sprechblase wurde eingefügt, und Boris Johnson fragt Sebastian Kurz, ob er Lkw lenken kann (der Witz spielt auf den Lkw-Lenker:innen-Mangel in Großbritannien an und stellt gleichzeitig die weitere berufliche Karriere von Sebastian Kurz infrage). Ein anderes Bild zeigt einen Bus der „Justizwache“ – es handelt sich also um ein Fahrzeug, das Häftlinge transportiert. Neben dem Justizwache-Bus stehen die Worte: „Türkises Sammeltaxi?“

 Mich fragen immer wieder Leute, wie ich über solche Postings denke – auch weil manch ein Witz ziemlich hart ist. Ich habe dazu drei Anmerkungen. Erstens: Es ist das Normalste der Welt, dass Menschen jetzt mit Humor, auch mit beißender Satire, reagieren.  Humor ist eine Reaktionsmöglichkeit, unzumutbare Zustände besser zu ertragen. Die Chats, die die Staatsanwaltschaft zusammentrug, zeichnen ein desaströses Bild. Die Dokumente legen den Schluss nahe, dass Kurz und sein Umfeld die frühere Regierungsspitze von Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) regelrecht sabotiert haben.

Sie wollten anscheinend beispielsweise verhindern, dass 1,2 Milliarden Euro für Nachmittagsbetreuung mit Rechtsanspruch freigemacht werden – nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil ein solcher Erfolg dem Parteikollegen Mitterlehner nicht gegönnt wurde. Treffend kommentierte das „ZIB 2“-Moderator Armin Wolf auf Twitter: „Alle verfügbaren ÖVP-Chats gelesen. Und noch nie wurde so detailliert dokumentiert, dass der alte Scherz ,Feind, Todfeind, Parteifreund‘ kein Scherz, sondern eine präzise politische Analyse ist.“ Manch eine Pointe hilft, die Widrigkeit eines Vorgehens besser zu verstehen. „Denn das ist Humor: durch die Dinge durchsehen, wie wenn sie aus Glas wären“, schrieb schon der Schriftsteller Kurt Tucholsky. 

Übrigens, weil der Hinweis auf die Unschuldsvermutung oft kommt: Meine Kritik hat nichts mit dem Thema Unschuldsvermutung zu tun. Ob einzelne Aktionen strafbar sind, wird letztlich die Justiz klären. Aber lachen oder spotten darf man auch über Aussagen unabhängig ihrer strafrechtlichen Relevanz – etwa wenn der Eindruck moralischer Verfehlungen entsteht.

Nur wo wird der Spott zu wild? Es gibt Stimmen in der ÖVP, die meinen, es werde zu aggressiv und gehässig über Kurz und sein Umfeld gepostet. Es passiert auch Unfaires: So kursierte ein gefälschter Chat, der suggerierte, Kurz hätte geschrieben: „Ich könnt’ vor allen Leuten Welpen in der Donau ertränken, und die würden mich trotzdem noch wählen!“ Für dieses Zitat gibt es keinen Beleg, aber es täuschte Leute. Solche erfundenen Zitate sind unfair gegenüber den Betroffenen, denen etwas Beschämendes in den Mund gelegt wird – und man sollte  anmerken: Immer wieder führen erfundene Politiker:innen-Zitate zu Klagen wegen übler Nachrede. 

Und dann gibt es Witze, bei denen man die Frage stellen kann, ob sie zu hart, zu geschmacklos sind. Jemand, der in der Wahl seiner Pointen nicht gerade zimperlich ist, ist der Politikberater Rudi Fußi. Er twitterte am 11. Oktober: „Haider und Kurz. Fast auf den Tag genau beide an die Wand gefahren.“ 

Er hat dafür einige Kritik abbekommen, dass der Tweet  geschmacklos ist – wohlgemerkt auch von Menschen, die wahrlich keine Kurz-Fans sind. Weiters kursieren Karikaturen, deren hauptsächliche Pointe darin besteht, die Ohren von Sebastian Kurz überzeichnet groß darzustellen. Ich verstehe, dass einige dieser Gags im ÖVP-Umfeld Menschen kränken. Sofern nicht irgendwelche strafrechtlichen Tatbestände erfüllt sind (wie Beleidigung oder üble Nachrede), ist es am Ende eine Geschmacksfrage, wie hart ein Witz über Politiker:innen sein darf. Dazu meine zweite Überlegung, wie ich es selbst mit dieser Frage halte: Ich schätze Witze mehr, deren Pointe auf der inhaltlichen Ebene (zum Beispiel Korruptionsvorwürfen) aufbaut als auf Äußerlichkeiten. Ich muss da auch an die Gags über Donald Trump und seine angeblich kleinen Hände denken: Selbst Trump hat verdient, dass man sich über seine Politik und nicht über sein Aussehen lustig macht. Das Gleiche gilt für Kurz. 

Das führt mich zu meiner dritten Beobachtung: Ich habe schon die Sorge, dass es eine rhetorische Taktik von manchen in der ÖVP ist, berechtigte Kritik, die auch auf Twitter und Co. kommt, wegzuwischen mit der Behauptung, es würde zu gemein über Sebastian Kurz gepostet. Nur ganz so leicht kann es sich die Kanzlerpartei nicht machen: Ja, es gibt viel Gelächter, auch Leute, die sich im Ton vergreifen. Aber dass viele Bürger:innen jetzt wütend posten, das haben schon diejenigen verursacht, die solche Chats in ihr Handy eintippten. Die ÖVP und speziell ihr Parteichef begeben sich gerne in eine scheinbare Opferrolle. Aber abseits dieses rhetorischen Manövers hat die Partei durchaus eine Verantwortung, inhaltlich auf die Vorwürfe einzugehen: Dass auch nach der Veröffentlichung der 104 Seiten der Staatsanwaltschaft ÖVP-Granden angaben, dieses Dokument nicht gelesen oder nur überflogen zu haben, das ist eigentlich der größte Witz. Also: Kein Wunder, dass wir derzeit über vieles lachen – nicht, weil die Situation so lustig ist, sondern weil es ohne Humor noch schlimmer wäre.

 

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.