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Maronicremesuppe: Ein keusches Süppchen

Maroni, heiße Maroni! (I): Die Nuss, die einst eine Nymphe war.

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Von wegen Astronaut, Autorennfahrer oder Zirkusdirektor! Ich hatte als Kind eine viel bessere Antwort auf die Frage, was ich denn einmal werden wolle: Maroniverkäufer! Die standen im Herbst, in dicke Mäntel gehüllt, vor den Friedhöfen, zu denen mich meine Eltern in den ersten nebeligen Novembertagen schleppten, und hielten ihre mächtigen, kohlegeschwärzten Hände über eine Tonne, in der blaugelbe Flammen züngelten und die auf einem Gitter liegenden Kastanien in eine Delikatesse verwandelten, auf die ich mich schon freute, als das Strandbad am See noch geöffnet hatte. Die Kastanien im Papierstanitzel wärmten auch meine Hände, und weil ich immer ein wenig um sie betteln musste, hielt ich sie für etwas besonders Wertvolles. Unbeleckt vom Wissen, dass Ross- und Edelkastanien etwas völlig Unterschiedliches sind, glaubte ich, dass die Maroniverkäufer die herabgefallenen Früchte, die man mit Zahnstochern in Tiere verwandeln kann, in den Alleen bloß aufsammeln und teuer verkaufen mussten. Wareneinsatz: null, Gewinn: beachtlich; das waren meine frühen ökonomischen Theorien zu Maroni.

Später klaubte ich die besten Maroni meines Lebens während einer Wanderung durch die Kastanienwälder der griechischen Mönchsrepublik Athos. Ich stopfte meinen Tramperrucksack voll und röstete sie daheim über offenem Feuer. Was ich damals auch noch nicht wusste: Ich befand mich nicht weit entfernt von jenem Ort, der den Kastanien seinen Namen gegeben haben soll. Plinius verortete den Ursprung des Wortes castanea in Castanna, einem antiken Ort im mittelgriechischen Thessalien.

Das ist aber bloß eine Theorie: Die Edelkastanie castanea sativa, eine mit den Buchen verwandte Nussfrucht, ist umrankt von Legenden, Mythen und Anekdoten. Eine Episode der griechischen Mythologie erzählt von Jupiter, der die Nymphe Nea verführen wollte, worauf diese – gleichsam Nymphe in Not – sich umbrachte und zu einem Baum wurde, der köstliche Früchte in einer stacheligen Schale verbarg und casta nea (die keusche Nea) genannt wurde; wer darin eine Ähnlichkeit zu Keuschheitsgürteln erblickt, liegt wohl nicht ganz falsch.

Kastanien sind jedenfalls seit der Antike ein wichtiges Nahrungsmittel. Bis ins Mittelalter wurden sie hauptsächlich gemahlen und zu Brot gebacken. In seiner berühmten Landgüterverordnung um 800 befahl Karl der Große ihren Anbau; Kastanien waren robust und deshalb ein nahrhafter Ersatz in Jahren schlechter Getreideernte.

Herbstliche Maronifreuden sind jedoch stark abhängig von der Qualität der Ware. Wer hat nicht schon einmal fünf oder mehr von zehn beim Standler erworbenen Maroni wegwerfen müssen, weil sie unschälbar oder verdorben waren? Ich besorge mir im besten Fall frische Bioware, und wenn es einmal besonders eilig ist, bereits gegarte und geschälte Bio-Maroni. Die frischen schneide ich auf der gewölbten Seite kreuzweise ein, lege sie eine halbe Stunde in kaltes Wasser und röste sie entweder bei 200 Grad im Backrohr (auf einem Blech mit Backpapier etwa 20 Minuten, dabei zweimal mit Wasser aus einer Sprühflasche besprühen) oder in einer eigenen Röstpfanne mit Löchern über offenem Feuer (dabei immer wieder gut durchschütteln).

Für meine Maronicremesuppe brauche ich pro Person etwa 100 Gramm geschälte und gegarte Früchte. Zunächst hacke ich 1 Schalotte möglichst fein und dünste sie in einer tiefen Pfanne mit 1 EL Butter glasig. Dann gebe ich die Maroni dazu, röste 5 Minuten sanft weiter, werfe 1 Rosmarinzweig hinein und lösche mit 1/8 Liter trockenem Weißwein ab; gewürzt wird jetzt, und zwar mit je 1 kleinen Prise Muskatnuss und Zimt, Salz und weißem Pfeffer. Nun gieße ich 1/2 Liter Hühnersuppe (oder Gemüsesuppe) und 1/8 Liter Obers dazu und lasse die Suppe 15 Minuten ganz leicht köcheln. Danach entferne ich den Rosmarinzweig und püriere alles gründlich durch. Als dekorative und aromatische Einlage empfehle ich meine Erfindung: die sogenannte Grammolata in Anlehnung an die Gremolata, die finale Würzgabe des echten Ossobuco aus Petersilie, Knoblauch und Zitronenschale. Für die Grammolata röste ich 2 EL feinst gewürfelte Knollensellerie, 2 EL fein gehackte Petersilie, 1 EL fein gehackten Liebstöckel und 1 EL fein gehackte Grammeln knusprig und streue die Mischung über die heiß angerichtete Suppe. Als letzten Kick träufle ich noch ein paar Tropfen Kürbiskernöl drüber.

Nächste Woche: Kastanien aus dem Feuer holen und selber essen.