profil-Morgenpost: "Sonst wohin stecken”

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Angelika Hager

Der rüde Tonfall enstand aus der puren Verzweiflung: „Euren Applaus könnt ihr euch sonst wohin stecken!” Das Posting einer völlig erschöpften und der Balkon-Klatscherei müden Berliner Krankenschwester wurde vor einigen Wochen tausendfach im Netz geteilt.

Tatsächlich herrscht zur Zeit hohe Heuchelei-Infektionsgefahr, denn als wirklich schwierige Patientin erweist sich im Zuge der Corona-Stresstests noch immer die Gleichberechtigung, die schon seit Jahren vor sich hin kränkelt.

Aus diesem Grund setzten wir im neuen profil einen Feminismus-Schwerpunkt, dessen Herzstück ein ausführliches Interview mit jener Frau, die wie sonst hierzulande nur Alice Schwarzer oder Johanna Dohnal mit dem Kampf um Gleichberechtigung gleich gesetzt wird: Elfriede Hammerl, mehrfach preisgekrönte profil-Kolumnistin seit 1984 und seit 1970 scharfsinnige Analytikerin sämtlicher Gender-Schieflagen, feierte kürzlich ihren 75. Geburtstag. profil gratuliert mit einem ausführlichen Gespräch. Dass die Bau- und Gartenmärkte lange vor den Schulen und Kindergärten bei uns ihre Pforten öffneten, wundert Hammerl im Interview gar nicht: „Das passt natürlich perfekt in das Weltbild von Kurz und Co. Die Haltung lautet: „Die Kinder sind jetzt einmal bei der Mama und das passt schon so.”

Frauenministerin, aber nicht "Feministin"

Die Tatsache, dass sich die amtierende Frauenministerin Susanne Raab, 35, nicht als „Feministin” bezeichnet wissen will, kommentiert Hammerl so: „Da greife ich mir nur an den Kopf. Ich habe keine Lust, darüber nachzudenken, wie es sein kann, dass eine Frau Frauenministerin, aber nicht Feministin sein will.”

Auf der Heimfahrt von Gumpoldskirchen waren Eva Linsinger und ich uns einig: Sollte es uns je vergönnt sein, Hammerls Alter zu erreichen, „wollten wir so jung dabei sein wie unsere Kollegin.” Meiner Wut über das grassierende Schneewittchenfieber, das sich, verstärkt im Lockdown wie taufrische Studien beweisen, in der Wiederbelebung stereotyper Geschlechterrollen manifestiert, machte ich in dem Essay „Das Mutterkreuz” Luft.

De Beauvoir, Schwarzer, Schenk

Haben Sie sie auch bemerkt, diese putzige Niedlichkeit, die sich seit geraumer Zeit untern jungen Frauen breit macht? Hunderte Mommy- und Backblogs, wo Mitdreißigerinnen mit wippenden Blumen-Schürzen, Adrettheit atmend, in zuckerlfarbenem Ambiente Anleitungen zu Familientisch-Dekos und Torten in Häschenform geben, überschwemmen das Netz. Nicht einmal habe ich auch von jungen Frauen auch den Satz gehört: „Ich muss ja nicht arbeiten gehen.” „Man hat uns zum Narren gehalten”, stellte Simone de Beauvoir in einem Interview mit Alice Schwarzer Anfang der 1970er-Jahre fest. Und daran hat sich leider nicht viel geändert.

Aufmunternde Wirkung hat ein „Otti”-males Gustostück von einem Interview, das unser Literaturpapst Wolfgang Paterno mit jenem Mann, der den Begriff Publikumsliebling wie kein zweiter verkörpert, führte. Assistiert vom Buchautor und Fotografen Michael Horowitz, besuchte Paterno, selbstredend im Sicherheitsabstand, Otto Schenk, der im Juni seinen 90. Geburtstag begeht, in seinem Dachdomizil in der Innenstadt. „Das Mundwerk bestens geölt”, resümiert Paterno seinen Besuch, „der alte Schenk-Schalk voll da und er freute sich wie ein Kindskopf, wenn er etwas Feines rausgehaut hatte.” Für seine kreative Unermüdlichkeit gab Schenk eine ganz einfache Begründung ab: „Ich habe alles nur gemacht, weil mir so fad war.” Fadesse als Nährboden für künstlerische Hochseilakte schien bis dato sträflich unterschätzt.

Eine vergnügliche, anregende & informative Lektüre wünscht

Angelika Hager

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Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort