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„Cyberpunk 2077“: Mensch ärgere Dich nicht!

Warum der Hype um das fehlerhafte Videospiel „Cyberpunk 2077“ perfekt in unsere Zeit passt.

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2020. Das Leben als großer Bug, als Fehler im System. Ein Virus ändert schlagartig unser Leben. Lockdown, physical distancing, überfüllte Intensivstationen, Übersterblichkeit. Die Gegenwart als düstere Science-Fiction-Erfahrung. Auch die Frage, was es mit den Menschen macht, wenn die Realität die Fiktion überholt, musste dieses Jahr neu gestellt werden: Brauchen wir noch Dystopien, in die wir uns flüchten können, wenn es uns in der Gegenwart zu langweilig wird?

Wir haben in diesem Jahr der großen Ungewissheiten auch alle möglichen realen Unglücksfälle recherchiert und kommentiert, da ist es zwischen den Jahren Zeit für ein bisschen Ablenkung; ja, auch profil-Redakteure verlieren sich mitunter gerne in Videospielen oder bleiben die halbe Nacht vor Twitch hängen.

Das Desaster steckt im Detail

In „Cyberpunk 2077“, dem heiß ersehnten Videospiel-Blockbuster mit Hollywoodstar Keanu Reeves in einer tragenden Rolle, wird das dystopische Zukunftsszenario zum Mitmachevent. Nach einem Atomkrieg und folgendem Wirtschaftskollaps kontrollieren Söldner und Kriminelle die Straßen der fiktionalen kalifornischen Metropole Night City, in der extremer Reichtum und Armut nebeneinander existieren. Der Staat hat sein Gewaltmonopol in dieser Welt weitgehend aufgegeben, Großkonzerne haben die Kontrolle übernommen. Endzeitkapitalismus wird das hier genannt. Als Söldner streift man in diesem Videospiel durch ein desolates Land, kann rausgehen, Abenteuer erleben und sich in einer kaputten Welt durchaus lebendig fühlen. Alles scheint wieder möglich in diesem Jahr, in dem man dazu angehalten ist, einen Gutteil seiner Zeit zu Hause zu hocken.

Ein Jahr voller Fehler und Bugs

Das Desaster steckt bei „Cyberpunk 2077“ im Detail: Am 10. Dezember kam das Videospiel, das an den Science-Fiction-Klassiker „Blade Runner“ von 1982 erinnert, nach mehreren Verschiebungen und über acht Millionen Vorbestellungen auf den Markt. Mehr als 400 EntwicklerInnen hatten acht Jahre an dem Rollenspiel des polnische Entwicklerstudios CD Projekt RED („The Witcher“) gearbeitet. Doch schon nach wenigen Tagen musste Sony wieder die Notbremse ziehen, das Videospiel wurde wegen Softwarefehlern aus dem Playstation-Store entfernt. NutzerInnen klagten über technische Mängel, Bugs und Abstürze (die „New York Times“ hat den Gaming-Supergau hier detailliert zusammengefasst). Ist das Videospiel des Jahrzehnts am Ende nur eine große Lachnummer, ein Internet-Meme, über das man auf Twitter Späße macht?

Der Hype um das fehlerhafte Videospiel „Cyberpunk 2077“ passt perfekt zum Ende dieses verkorksten Jahres, das selbst voller Fehler und Bugs scheint. Dystopien sind dann am faszinierendsten (aber auch am furchterregendsten), wenn sie zwar übertrieben, aber nicht völlig absurd erscheinen. So wird es auch für „Cyberpunk 2077“ eine zweite Chance geben.

Alles wird gut.

Philip Dulle

Philip Dulle

Philip Dulle

1983 in Kärnten geboren. Studium der Politikwissenschaft in Wien. Seit 2009 Redakteur bei profil. Hat ein Herz für Podcasts, Popkultur und Basketball.