Fußball-EM

ÖFB-Team: Der Teamchef und seine Souffleure

Die aus Klassekickern bestehende Nationalmannschaft hat bewiesen, dass sie jedem Gegner gefährlich werden kann. Laut profil-Informationen dürfen die Spieler mittlerweile bei der Taktik mitreden.

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Marko Arnautovic war nicht hundertprozentig fit, aber der Mann verfügt über die Qualität, ein ganzes Land zu später Stunde hüpfen zu lassen. Zuerst vor Freude – wegen seines Kopfballtreffers. Dann vor Ärger – wegen der spät geahndeten Abseitsstellung. Wäre Arnautovic vor seinem Treffer nicht ein paar Zentimeter im Abseits gestanden, Österreich hätte womöglich das EM-Viertelfinale erreicht. Noch dazu gegen das große Italien, das gehörig zittern musste. Die Euphorie im Land ist trotz oder gerade wegen der „historischen Niederlage“ groß.

Österreich hat erstmals die K.O.-Phase bei einer Europameisterschaft erreicht, Italien im Achtelfinale einen beherzten Kampf geliefert – und gezeigt, dass hier eine goldene Generation am Werk ist. Es bleibt die Frage: Was ist da passiert zwischen den mauen Spielen des letzten Jahres, der teaminternen Beziehungskrise nach dem März-Lehrgang und der vielumjubelten Europameisterschaft? profil hat in den letzten Wochen tief in das Innenleben des Nationalteams hineingehorcht. Ist jetzt alles gut?

 

Fest steht: Ein gemeinsames Ziel kann zankende Parteien verbinden. Sogar die Teamspieler und den Teamchef, die vor dem Turnier in einem Dilemma steckten. Der Grund: Franco Foda ließ seine Mannen regelmäßig schlecht aussehen, indem er ihre Stärken nicht forcierte sondern limitierte. Der vorsichtige Foda und die mutigen Klassekicker – das schien nicht zusammenzupassen. Die nahende Europameisterschaft setzte die ungleichen Pole aber unter Druck: Sich auf einer Weltbühne als Rumpelfüßler blamieren, das wollten weder der Teamchef noch David Alaba und seine starken Männer, die bei internationalen Topvereinen wie dem FC Bayern München, RB Leipzig oder Eintracht Frankfurt zu den Führungsspielern zählen. Dazu hätte Teamchef Foda mit ungeschickter Sturheit seinen Ruf schwer demolieren können – verbandsintern stand seine Entlassung bei einem Vorrunden-Aus so gut wie fest. Die Zeit für Kompromisse war reif. Laut profil-Informationen hat der Teamchef einigen Führungsspielern während des Turniers verstärkt Gehör geschenkt – auch was die taktische Ausrichtung betrifft.

Team-Building-Seminar mit dem Teamchef vor der Euro

So ausgelassen wie bei der EM hat man Foda selten erlebt. Er hüpfte, schickte Küsschen in Fernsehkameras und ließ bei einem Interview seine Familie grüßen. Die Heiterkeit war nicht zu erwarten. Noch wenige Wochen zuvor drohte der teaminterne Konflikt zu eskalieren. Die Beziehungsprobleme drangen gar bis zur ÖFB-Spitze vor. Ein Spieler und mehrere Betreuer brachten eine Beschwerde bei Verbandspräsident Leo Windtner ein. Der Vorwurf: Der Teamchef sei untragbar geworden. Beklagt wurde die übervorsichtige Spielweise und vor allem die Kommunikation Fodas, die jeglichen Teamgeist zerstöre. Die ÖFB-Spitze nahm Foda daraufhin in die Pflicht. Zuletzt betonte Präsident Leo Windtner, dass man den Konflikt „professionell und mit externem Support“ gelöst habe. Mehr wollte Windtner nicht verraten. profil-Recherchen ergeben: Der Teamchef und sein Betreuerstab wurden zu einem Team-Building-Seminar in einem Thermen-Hotel verdonnert, wo unter anderem ein ehemaliger Pressesprecher des FC Bayern München die Führungsqualitäten der Trainerlegende Ottmar Hitzfeld im Detail erläuterte.

Geläuterter Foda?

Der Rapport dürfte Wirkung gezeigt haben. ÖFB-Mitarbeiter berichten gegenüber profil von einem verwandelten Foda zu Beginn des Vorbereitungscamps auf die Europameisterschaft: „Er hat sich wirklich am Riemen gerissen und war um ein gutes Teamklima bemüht.“
Doch seine vorsichtige Spielweise stülpte er der Mannschaft weiterhin über. In den Vorbereitungspartien gegen England und Slowakei kamen die Österreicher nicht vor das gegnerische Tor und wirkten traditionell an die Leine genommen. Im ersten Gruppenspiel gegen Nordmazedonien packte Foda zur Überraschung der Spieler die Fünferkette und eine abwartende Ausrichtung aus. „Damit hätte er wieder einmal fast erreicht, dass die Mannschaft ihre Stärke nicht zeigen kann“, haderte ein Teamspieler gegenüber profil. Erst nach späten Toren fuhr Österreich den Pflichtsieg gegen die Nummer 62 der FIFA-Weltrangliste ein.

Das zweite Gruppenspiel gegen Holland verärgerte Teile der Mannschaft noch mehr. Foda schien bloß die Niederlage in Grenzen halten zu wollen, um die Aufstiegschancen nicht durch ein schlechtes Torverhältnis zu gefährden. „Wir bringen zu wenig Personal nach vorne“, beklagte Marcel Sabitzer danach öffentlich. Man habe das Offensivspiel „zu wenig einstudiert“, verriet Martin Hinteregger. Und Konrad Laimer bekräftigte, dass man „nach vorne spielen“ wolle.

Wenigstens hat er uns dieses Mal nicht gebremst.“

Interessanterweise folgte auf die vielen kritischen Stimmen direkt aus dem Zentrum der Nationalmannschaft offenbar ein Umdenken beim Teamchef. Foda verzichtete im dritten Gruppenspiel gegen die Ukraine auf die bei den Spielern ungeliebte Fünferkette und ließ die Mannschaft (zumindest in der ersten Halbzeit) mutig angreifen. „Wenigstens hat er uns dieses Mal nicht gebremst“, verriet ein Spieler danach hinter vorgehaltener Hand.

profil-Informationen zufolge üben einige Führungsspieler mittlerweile gehörigen Einfluss auf den Teamchef aus, ihre Überlegungen lässt Foda in seine Strategie miteinfließen. Das Prozedere wird profil so beschrieben: „Foda präsentiert einen Vorschlag zur taktischen Ausrichtung. Die Spieler nicken diesen dann ab oder erklären ihre Vorstellungen“. Seit Monaten soll es immer wieder zu teils heftigen Debatten kommen. Bei der Europameisterschaft, so ein Insider, wurde der Trainer zusehends „zur Marionette der Spieler“ und ging verstärkt auf die Wünsche der Spieler ein.

Die Zugeständnisse des Teamchefs

Der Hintergrund: Foda ging aus den Konflikten vor der Europameisterschaft geschwächt hervor – und war offenbar zu Zugeständnissen gezwungen. Einige Teamspieler, bei ihren Klubs zuweilen von den weltbesten Trainern wie Pep Guardiola oder Julian Nagelsmann unterrichtet, misstrauen der oft biederen Strategie und bringen sich verstärkt ein.

Es ist von außen nur mehr schwer zu beurteilen, wann eine taktische Idee auf die Kappe des Teamchefs geht oder den Einflüssen der Spieler zuzuschreiben ist. Es sei „ein ständiges Zittern, ein stetes Einfordern, nicht gebremst zu werden“, war nach dem Achtelfinaleinzug aus Spielerkreisen zu hören. Foda schien aber auch während der EM hin- und hergerissen. Nach der Führung gegen die Ukraine ließ Foda seine Mannen wieder verteidigen und auf Konter spielen. Teile der Mannschaft beklagten danach, nicht vehement auf ein weiteres Tor gespielt zu haben. Auch im Achtelfinalschlager gegen Italien verlegte man sich in den ersten 45 Minuten auf bloßes Verteidigen, ehe in der zweiten Halbzeit draufgängerisch agiert wurde.
Gegen Italien zeigte das österreichische Team die wohl beste Leistung seit Jahren. In der zweiten Halbzeit und nach den Gegentoren in der Verlängerung wurde die Weltklassemannschaft gehörig unter Druck gesetzt. Vor allem die taktische Umstellung dazu brachte dem Teamchef viel Lob ein. Italienische Medien bezeichneten Foda gar als „Top-Player auf der Trainerbank“ und „Meister der taktischen Mutation“. „Sogar ich wurde für meine Taktik gelobt, aber die Protagonisten sind die Spieler“, erklärte der Deutsche im Freudentaumel.

Große Überraschung? Österreich ist kein Außenseiter

Österreichs Nationalteam hat tatsächlich Geschichte geschrieben. Davor hatte man kein Spiel bei einer EM gewinnen können. Am Ende haben Teamchef und Teamspieler aber erreicht, was der Papierform nach erreicht werden musste (Siege gegen Nordmazedonien und Ukraine, Niederlagen gegen Holland und Italien). Die große Überraschung, die medial vermittelt wird, ist weniger groß als gedacht. Der Österreicher scheint daran gewöhnt, dass seine Landsmänner im Nationaltrikot tollpatschig über den Platz stolpern und ist nun erstaunt, dass Italien auf Augenhöhe war – doch die aktuell tätige goldene Generation (bestehend aus Leistungsträgern der Deutschen Bundesliga) muss mit anderen Maßstäben gemessen werden. Die Österreicher sind keine Bloßfüßigen mehr, sondern internationale Klassekicker. Die Nationalmannschaft war kein Außenseiter aufgrund des Spielermaterials, sondern bloß wegen der seltsam mutlosen Auftritte der Vergangenheit. Man darf die berechtigte Frage stellen, wie eingespielt und dominant Österreich auftreten könnte, hätte der Teamchef ein angriffiges Spiel wie gegen die Ukraine und Italien in den letzten Jahren perfektioniert, mit David Alaba als perfektem Linksverteidiger anstatt wie bis vor der Europameisterschaft als Mittelfeld-Zampano. Möglich ist auch für kleine Nationen viel. Vor fünf Jahren schaffte es Island ins Viertelfinale, Wales ins Halbfinale. Aktuell zählen die mit Österreich vergleichbaren Nationen Dänemark, Tschechien (nach Sieg gegen Holland) und die Schweiz (nach Elfer-Krimi gegen Frankreich) zu den besten acht Mannschaften des Turniers.

Ende gut, alles gut?

Wie kann man nun resümieren: Ende gut, alles gut? Nun ja: Die Spieler haben ihr Mindestziel erreicht – sie konnten auf großer Bühne zeigen, dass sie internationale Klasse besitzen.

Und der Teamchef? Dieser hat nach zwei Partien mit traditionell angezogener Handbremse vorerst einmal seine Sturheit geopfert, die Mannschaft (zumindest teilweise) nach ihren Anlagen spielen lassen und damit seinen Job und seinen Ruf gerettet.

Problematisch bleibt: Es ist nicht ideal, dass der Teamchef von seinen Spielern zur passenden Strategie überredet werden muss. Der Konflikt um die ideale Spielweise blieb auch während der Europameisterschaft allgegenwärtig. Um diesen zu lösen, wird Foda sich weiterhin an den Stärken seiner Spieler orientieren müssen, die (das wurde bei der EM wieder einmal offensichtlich) herrlich unösterreichische Draufgänger sind.