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ÖFB: „Aber jetzt den Teamchef wechseln?“

Drei Wochen vor der Fußball-EM steckt der ÖFB im Dilemma: Die Beziehung zwischen Teamchef und Mannschaft ist gestört.

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Wo ist die Alternative?“, fragt ein hoher Funktionär des Österreichischen Fußball-Bundes (ÖFB) – und gibt sich die Antwort gleich selbst: „Wir haben in Österreich zwei Kandidaten: den Peter Stöger und den Andi Herzog – aber jetzt den Teamchef wechseln?“ Im Eiltempo denkt der ÖFB-Mann das Szenario durch: „Wenn der Neue bei der EM scheitert, müssen wir ihn auch entlassen.“ Dann hätte man „zwei Teamchefs zu bezahlen, müsste einen dritten suchen, und der Verband würde wie die Wiener Austria dastehen.“

Allerdings: Die Gedankenspiele sind obsolet. ÖFB-Präsident Leo Windtner hat die Marschroute bereits festgelegt: „Die handelnden Personen müssen die Ärmel aufkrempeln und überlegen, wie wir die Kuh wieder vom Eis bringen.“

Schon in drei Wochen tritt die Kuh, sprich: die österreichische Nationalmannschaft, bei der Europameisterschaft an. Normalerweise wäre das ein Volksfest für Verband, Publikum und Medien. Leider sind Länderspiele in letzter Zeit verlässlich zu Liebestötern geworden. Zeitungen drucken verheerende Kritiken, ÖFB-Präsident Windtner appellierte öffentlich, „den Reset-Knopf“ zu drücken, Fans fordern in Internetforen den Rücktritt des Teamchefs.

Franco Foda, 55, gebürtiger Deutscher, ehemaliger Abwehrspieler, steht in der Kritik.

Der Vorwurf: Er lässt übervorsichtigen Fußball spielen und vergeigt damit die Vorzüge einer hochambitionierten Truppe, die zu Mut und Attacke erzogen wurde – und dies in der starken Deutschen Bundesliga wöchentlich praktiziert. Fast alle Teamspieler beherrschen den modernen Ramba-Zamba-Fußball – doch der Teamchef nimmt sie an die Leine.

Im burgenländischen Bad Tatzmannsdorf soll die Nationalmannschaft in den nächsten Tagen den Feinschliff für das Turnier erhalten. Der Arbeitsaufwand dürfte größer ausfallen als gedacht.

Foda setzt für die kommenden Spiele auf zwei Kapitäne

profil-Recherchen ergaben: Die Beziehung zwischen Teamchef und Mannschaft ist gestört, Teile des Betreuerstabs fühlen sich vom dominanten Foda links liegen gelassen. „Wir wissen über das Problem Bescheid und werden nicht zur Tagesordnung übergehen“, heißt es aus dem Verband. Doch dieser ist vor der Präsidentenwahl im Herbst gespalten. Jeder hinterfragt derzeit jeden. Sportdirektor Peter Schöttel, von Amts wegen Kreativ-Direktor des ÖFB, wurde bei einer Sitzung aufgefordert, endlich Arbeitsnachweise zu präsentieren. Er müsse erkennen, so ein ÖFB-Vertreter, „dass er stärker in die Pedale treten muss“.

profil hat in den vergangenen Wochen mit zahlreichen Verbandsfunktionären, Trainern, Spielern, Betreuern und ÖFB-Insidern gesprochen. Hinter der Hand wird teils heftige Kritik geübt, öffentlich will kaum jemand Stellung beziehen. Vor der Europameisterschaft soll der Deckel auf den Kochtopf gepresst werden. Aber: „Scheitern wir früh“, sagt ein Funktionär, „muss alles hinterfragt werden.“

Die Nationalmannschaft ist das Aushängeschild und der Goldesel des Verbandes – sie entscheidet im Alleingang, ob der ÖFB als desolat oder erfolgreich wahrgenommen wird. Doch das Schlamassel ist groß – und passte zuletzt in eine einzige Spielszene. Beim Spiel um die WM-Qualifikation gegen die Halbprofis der Färoer Inseln versuchte der Teamspieler Andreas Ulmer gerade energisch den Ball zu erkämpfen, als ihm der Teamchef von der Seitenlinie verzweifelt zubrüllte: „Warum Andi, warum?“

Ja, warum? Die Spieler wollen stürmen, der Teamchef verteidigen. Auf der einen Seite stehen Stars einer Weltliga wie Marcel Sabitzer, David Alaba und Sasa Kalajdzic. Auf der anderen Seite der ehemalige Sturm-Graz-Coach, der lieber auf Konter lauert, Ergebnisse verwaltet und Gegner damit erst auf dumme Ideen bringt. Beim bis dato letzten Länderspiel, dem 0:4-Heimdebakel gegen Dänemark, wirkte die Mannschaft völlig verunsichert – sogar der dänische Coach war verwundert. Er hätte „mehr Druck von Österreich erwartet“.

Man habe „nicht gut verteidigt“, analysierte Teamchef Foda das Match. Und Sportdirektor Schöttel orakelte, dass die Spieler wohl deshalb in ein Debakel geschlittert wären, weil man „unbedingt ein Tor erzielen wollte“.

Die direkte Qualifikation für die Weltmeisterschaft ist früh verspielt, die Lage ernst: Der ÖFB steht im Verdacht, eine goldene Generation zu vergeuden.

Diese Sorge dringt auch bereits nach außen: „Die Spieler kommen zu uns zurück und sind verwundert, wie sie im Nationalteam spielen sollen“, betont ein Trainer der Deutschen Bundesliga gegenüber profil. Der Mann hat einige Österreicher unter seinen Fittichen und dient neuerdings als Kummerkasten. „Sie suchen meinen Rat, zweifeln am Spielstil und fahren mit einer gedämpften Euphorie zur Europameisterschaft.“

Anfangs klagten einige Spieler auch öffentlich. Er könne im Team „nicht spielen wie im Verein“, unkte Stefan Lainer, weil „der Trainer damit wohl nicht einverstanden wäre“.  Im Klub betreibe man Pressing, im Nationalteam dagegen müsse man sich „zurücknehmen und den Laden dicht halten“. Mit Lainers Aussage konfrontiert, entgegnete Foda: Er werde mit dem Spieler sprechen, dieser habe sich sicherlich falsch ausgedrückt.
Öffentliche Kritik ist seitdem passé.

Mit Nörgelei an seiner Spielweise kann der Teamchef generell wenig anfangen. Er denke immer offensiv, behauptet er. Seine Kritiker sähen einfach nicht genau genug hin. Viel Zustimmung erfährt er trotzdem nicht. „Sicherheitswahn bremst das Team“, titelte der „Standard“. „Österreich blamiert sich – und gewinnt“, formulierte es der „Kurier“. Sogar ORF-Experte Roman Mählich, einst Fodas Mannschaftskollege bei Sturm Graz, fragte zur Primetime: „Was hat sich der ÖFB bei der Trainerbestellung gedacht?“ Man könne von Foda „kein Pressing wie von Salzburg erwarten. Obwohl die Spielertypen dafür vorhanden wären“.

Spieler wie Xaver Schlager vom VfL Wolfsburg sind keine Ballartisten, sondern Pressingmaschinen. Dürfen sie am Feld nicht wie Terrier agieren, sind sie so limitiert wie ein Lionel Messi, dem niemand den Ball zuspielt.
Oberflächlich betrachtet ist Foda allerdings erfolgreich: Er hat einen hervorragenden Punkteschnitt und sich mit Österreich für die Europameisterschaft sowie die A-Gruppe der Nations League qualifiziert. Das Problem: Die vielen Siege sammelte er gegen Mannschaften, die seiner Truppe nicht das Wasser reichen konnten und in der Weltrangliste zuweilen abgeschlagen rangierten. Oft blieb es auch den Klassespielern vorbehalten, der biederen Teamchef-Taktik in erheblicher Eigeninitiative das Gesicht zu wahren.

Der große Makel der Foda-Bilanz: Gegen nominell bessere Teams ist er in Pflichtspielen sieglos. Nur zwei Pünktchen gelangen in fünf Partien gegen Bosnien, Polen und Dänemark. Das reichte zwar für die Teilnahme an der EM, doch mittlerweile darf ohnehin fast die Hälfte aller europäischen Verbände mitspielen.

Der ÖFB „verschenkt ein großes Potenzial“, ist sich der Deutsche-Bundesliga-Trainer im profil-Gespräch denn auch sicher. Seine Begründung: Nationalmannschaften sind zusammengewürfelte Truppen, die nur wenige Tage beisammen sind, taktisch wenig einüben können und deshalb oft holprigen Fußball zeigen. Österreich dagegen hätte den Vorteil einer einheitlich ausgebildeten Spielergeneration, „die es international selten auf diesem Niveau gibt“. Der ÖFB vergäbe „die einmalige Chance, eine moderne Mannschaft aufs Feld zu bringen, die eine Spielweise perfekt intus hat“. Dazu kommt: Giftiger Pressingfußball habe sich auf Nationalmannschaftsebene noch nicht durchgesetzt – der ÖFB hätte mit seiner homogenen Truppe „automatisch einen großen Wettbewerbsvorteil“.

Um Wettbewerbsvorteile ging es bei der Teamchefsuche vor vier Jahren aber nicht – sondern um Machtspiele. Denn der ÖFB ist föderalistisch organisiert. Im Präsidium, das Teamchef und Sportdirektor wählt, sitzen neun Landesverbandspräsidenten und drei Vertreter der Bundesliga, durchwegs Richter, Anwälte, Bürgermeister oder Ex-Manager; honorige Herren, die ehrenamtlich als Fußballmanager agieren. Leider sind die Männer in Anzug und Krawatte nicht nur keine Sportexperten – sie sind einander auch zuweilen spinnefeind und fechten ungeniert Machtkämpfe aus.

Ob Fodas Spielweise zu den Spielern passt, war bei seiner Bestellung deshalb eher nebensächlich. Im Zentrum stand ein Putschversuch gegen den erfolgreichen, aber unbeliebten Sportdirektor Willi Ruttensteiner (der heute als Teamchef der israelischen Nationalmannschaft tätig ist). „Der Willi hat geglaubt, er ist der Präsident“, erzählt Johann Gartner, 69, ehemaliger Bürgermeister von Ziersdorf und amtierender niederösterreichischer ÖFB-Landesverbandspräsident, im profil-Gespräch. Der Hintergrund: Präsident Leo Windtner vertraute der Expertise des anerkannten Sportfachmannes Ruttensteiner. Dessen Ideen, darunter die Teamchef-Bestellung Marcel Kollers, ließ Windtner vom machtbewussten Gremium bloß abnicken, was einige Herren nachhaltig verstimmte. „Man kann nicht an uns vorbei irgendwas machen“, ist Gartner noch heute erbost. „Wir hätten die Entscheidungen nur formal bestätigen sollen. Da haben wir gesagt: So geht das nicht! Wir sind ja auch noch da.“

Ruttensteiners Nachfolger Peter Schöttel, davor ÖFB-Nachwuchstrainer, wurde „in einer Hauruck-Aktion“ befördert – und agiert seither bewusst im Hintergrund. Landesverbandspräsident Gartner lobt gegenüber profil: „Der Willi hat den ÖFB wie sein Unternehmen geführt, der Schöttel lässt sich auch etwas einreden.“

Als erste Amtshandlung präsentierte Schöttel den starken Männern im Präsidium drei Teamchef-Kandidaten, über die sie wie gewünscht abstimmen durften. So wurden nicht die besten Voraussetzungen für die goldene Spielergeneration geschaffen, sondern bloß Machtverhältnisse neu geordnet.

Foda war allen Beteiligten gut bekannt. Lange hatte er Sturm Graz trainiert – wurde dort aber trotz großer Erfolge (inklusive Meister- und Cuptitel) für seine unattraktive Spielweise und Mängel in der Menschenführung kritisiert. Die aktuellen Vorwürfe klingen ähnlich: Der eigenbrötlerische Teamchef soll große Teile der Mannschaft vergrämt haben. Foda soll wenig gesprächig und zuweilen launisch sein. Dabei benötigt seine Truppe in den nächsten Wochen ein wohliges Umfeld. Das Nationalteam besteht aus vielfältigen Typen: der Spaßfraktion um David Alaba und Marko Arnautović, aber auch aus nachdenklichen Männern wie Julian Baumgartlinger. Foda muss während der EM nicht nur Fußballtrainer sein, sondern vor allem auch Pädagoge.

Auch aus dem Betreuerstab dringt Unmut. Viele fühlen sich nicht ausreichend eingebunden oder gänzlich links liegen gelassen. Foda wird als misstrauischer Mensch beschrieben, der Entscheidungen gerne allein trifft. Engen Kontakt soll er nur zu seinen beiden Co-Trainern Thomas Kristl und Imre Szabics pflegen, die er aus gemeinsamen Sturm-Graz-Zeiten kennt. Szabics verließ den Verband freilich vor wenigen Wochen wegen eines Jobangebots in Richtung Ungarn. Nachbesetzt wurde er von Jürgen Säumel, zuletzt Co-Trainer beim TSV Hartberg und einst Fodas Spieler in Graz. In einer Verbandsaussendung strich der Teamchef dessen „sehr loyalen Charakter“ her-vor.

„In der Konstruktion ÖFB sind keine unternehmerischen Entscheidungen möglich“, betont ein Verbands-Funktionär gegenüber profil. „Es geht um die Absicherung Einzelner.“ Auch unter den honorigen Herren kracht es schon wieder. Das Präsidium ist gespalten: in jene, die einen willfährigen Sportdirektor durchpeitschten, um sich wieder mehr Einfluss zu sichern – und jene, die genau das als Kardinalfehler betrachten.

Die Machtspielchen haben Hochsaison. Leo Windtner würde im Oktober gerne als ÖFB-Präsident wiedergewählt werden, doch einige Kollegen versuchen bereits Gegenkandidaten aufzutreiben. Windtner ist es nicht gelungen, den Männerbund zu einen; so recht mag keiner mehr auf ihn hören. Gerne würde er sich noch ein Denkmal setzen: mit einer schicken neuen Geschäftsstelle samt Trainingszentrum in Wien-Aspern. Flugs schlug der niederösterreichische Vertreter den Standort Lindabrunn vor. Laut profil-Informationen harmonieren weder die beiden Geschäftsführer noch der Teamchef und sein Sportdirektor – von den machtbewussten Männern im Präsidium gar nicht zu reden.

Der ÖFB wird wohl noch viele Monate lang mehr mit sich selbst beschäftigt sein als mit der Förderung des Sports. Das ist umso bedauerlicher, als die Quelle an neuen österreichischen Top-Spielern sprudelt. In den Nachwuchsnationalteams finden sich Rohdiamanten, die bereits in London, München, Bremen und Nizza spielen. Doch auch hier gibt es Kritik an der Betreuung durch den ÖFB. Von U19-Teamchef Rupert Marko trennte sich der Verband zuletzt nach internem Druck „einvernehmlich“. Der „Kurier“ berichtete von „veralteten Trainingsmethoden“ und grobem Umgang mit Mitarbeitern. „Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir eine einvernehmliche Trennung kommunizieren und sonst nichts sagen“, heißt es aus dem ÖFB dazu. Auch in anderen Nachwuchsmannschaften fehle es so manchem Trainer an moderner Prägung, betont ein ÖFB-Mitarbeiter gegenüber profil. Die Anstellung eines aktuellen Jugend-Teamchefs bezeichnete ein Funktionär schon vor Jahren in kleiner Runde als „Sozialprojekt“.

Vieles aus dem Innenleben des Verbandes klingt nach Vereinsmeierei, aber nicht nach Spitzensport. Nicht ausgeschlossen, dass die EM trotzdem erfolgreich verläuft. Schon einmal hat Foda nach einer großen Kritikwelle (samt Rapport bei Armin Wolf im „ZIB 2“-Studio) für einige Spiele seine Zügel gelockert. In dieser Zeit spielte seine Mannschaft mutig und erfrischend offensiv. Andererseits: In einem Gespräch zur EM betonte Foda seine Abneigung gegenüber Offensivfeuerwerke – und erklärte dabei, dass es gegen den Gruppengegner Holland wohl nur mit Abwarten und Verteidigen klappen könne.

Die Zitate dazu ließ der Teamchef allerdings nie freigeben. Öffentlich betont er lieber, „immer vorne draufgehen“ zu wollen.

„Im Grunde hat man es mit so einer Truppe leicht“, sagt einer, der viele der aktuellen Teamspieler trainiert hat und von deren Mentalität begeistert ist. „Die fahren zu einer EM und denken sich: Irgendwie können wir das Ding schon gewinnen.“ Der Teamchef hat andere Ziele: „Wir wollen ein Spiel gewinnen“, sagt er. „Dann sehen wir weiter.“ 

Diese Geschichte finden Sie in der profil-Ausgabe 21/2021 - hier als E-Paper.

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