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Reinsperger: "Ein geiler Befreiungsschlag"

In ihrem Buch "Ganz schön wütend" schildert die Schauspielerin Stefanie Reinsperger die Geschichte ihrer Selbstermächtigung.

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Im vergangenen April traf Stefanie Reinsperger, 34, mit ihrem Buch "Ganz schön wütend" in ein gesellschaftspolitisches und feministisches Nervenzentrum. Die Zuschriften von Frauen, die ähnliches Bodyshaming erlebt hatten und dankbar dafür waren, ein Sprachrohr gefunden zu haben, reißen bis heute nicht ab. In ihrem autobiografischen Debüt machte die Ausnahmeschauspielerin, die beruflich erreicht hat, wovon andere nur träumen können und zurzeit am Berliner Ensemble Furore macht, ihrer Wut über den Hass, die Häme, die Dreistigkeit, mit der sich Kritiker, Trolle("die einsam im Unterleiberl vor dem Laptop sitzen") oder auch nur zufällige Passanten über ihren Körper und ihr Aussehen ausgelassen hatten, Luft.

Traumatisierend waren vor allem die Erlebnisse, als sie 2017 bei den Salzburger Festspielen die Buhlschaft an der Seite von Tobias Moretti im "Jedermann" spielte. In einem Salzburger Szenelokal wurde ihr damals nachgeschrien, sie solle sich schämen, die Rolle überhaupt angenommen zu haben; in einem anonymen Brief wurde ihr angedroht, sie habe mit Konsequenzen zu rechnen, wenn man weiter "den Anblick meines dicken Körpers" ertragen müsse. Damals hatte sie noch nicht das Selbstvertrauen, sich zur Wehr zu setzen und die Übergreifer in die Schranken zu weisen, sondern war der Überzeugung, die Kränkungen mit sich selbst ausmachen zu müssen: "Du musst einfach nur runterschlucken. Dann geht das schon. Immer schlucken. Schlucken. Schlucken. Dann gewöhnst du dich an alles. An alles, was sie dir sagen, was sie in dich reinwerfen."

Als sie mit der Rolle der Kommissarin Rosa Herzog im Dortmunder "Tatort" besetzt wurde, überlagerte die Angst vor der zu erwartenden Häme über ihren Körper die Freude. Das Gefühl beschrieb sie so: "Das ist ein Nicht-mehr-vor-oderzurück-Können, eine Schockstarre. Das war jedes Mal so derartig verletzend, dass es mich in kilometerweite Abgründe meiner selbst katapultiert hat." Der "geile Befreiungsschlag", wie sie ihr kraftvolles Debüt bezeichnete, erregte bei seinem Erscheinen viel Aufsehen. Bei unserem damaligen Interview sagte sie abschließend: "Ich will kein Mitleid, ich will, dass es aufhört."

In ihrem Leben hat es aufgehört. Heute sagt die "Reinspergerin",wie sie sich auf ihrem Instagram-Profil nennt, dass Frauen ein gesünderes Verhältnis zur Wut und ihrer produktiven Kraft entwickeln müssen: "Gerade uns Frauen wird es ja oft abgesprochen, wütend zu sein. Ich habe als Schauspielerin das große Privileg, meine Wut, meinen Zorn und meinen Ärger in Rollen und Geschichten zu packen. Deshalb hatte meine Wut oft auch einen geschützten, kreativen Raum. Ich habe mir lange Zeit verboten, meine Wut außerhalb dieses Raums auszuleben. Heute habe ich das Selbstvertrauen, das ich lange Zeit nicht hatte. Ohne Selbstvertrauen ist es einfach viel schwerer, Haltung zu haben."

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Wichtig im Umgang mit der Wut sei "sie von Hass zu unterscheiden": "Wut kann etwas sehr Produktives sein, sie rauszulassen und vor allem zuzulassen, kann sehr heilsam sein. Aus diesem Zulassen kann durchaus auch Produktives, Kreatives entstehen. Wenn wir solche Gefühle zu lange unterdrücken, kann sich das irgendwann in Hass verwandeln, und Hass ist eindimensional, verletzend und gefährlich." Viele Frauen hätten sich viel zu lange "ihre eigene Wut nicht zugestanden", gleichzeitig aber "immer wieder Entschuldigungen für die Ausbrüche der Männer gefunden, die ja in der gesellschaftlichen Wahrnehmung okay sind." Sie kann immer nur mantramäßig wiederholen: "Lasst euch eure Wut nicht nehmen. Wir dürfen, nein, wir müssen wütend sein. Und weibliche Wut kann so viel Kraft entfesseln, so viel bewirken."

Heute köchelt ihr "innerer Druckkochtopf" im Alltag dann über, "wenn ich merke, dass am Set oder auf der Bühne jemand seine Arbeit nicht ernst nimmt und mich dadurch in Situationen bringt, wo ich darum kämpfen muss, meinen Beruf so auszuführen, wie ich das gerne möchte. "Und "Ungerechtigkeit" triggere extreme Wut: "Wenn Menschen meinen, auf Schwächeren herumhacken zu können und ohne Scham und mit Überheblichkeit auf anderen herumtrampeln, kann und will ich das nicht ertragen."

STEFANIE REINSPERGER spielte an der Burg und zurzeit am Berliner Ensemble-und ist die Dortmunder "Tatort"-Kommissarin Rosa Herzog.

GANZ SCHÖN WÜTEND ist Stefanie Reinspergers Aufschrei gegen Übergriffe und Abwertung sowie ein gewaltiges literarisches Debüt. Erschienen bei Molden.

Angelika   Hager

Angelika Hager

leitet das Gesellschafts-Ressort