Zwei Hände halten einander, eine der Hände hält ein verpacktes, gelbes Kondom

Sex ohne Schutz: Fragwürdiger Trend unter Jungen

Kondom, Pille, egal! Rund ein Drittel der 15-jährigen verhütet weder mit Antibabypille noch mit Kondom. Gleichzeitig steigt die Anzahl der Personen mit sexuell übertragbaren Krankheiten in Europa. Versagt die Sexualaufklärung in Österreich?

Drucken

Schriftgröße

Jeden Morgen muss sich die damals 15-jährige Mia übergeben, sie hat ständig Hunger und nimmt einige Kilo zu. Ihre Periode hat sie seit zwei Monaten nicht mehr bekommen, doch das ist für sie zunächst kein Anzeichen einer Schwangerschaft – es gäbe verschiedenste Gründe wie Stress, warum die Periode ausbleiben kann, meint die Wienerin in einem Gespräch mit profil. Mia heißt eigentlich anders, aber ihren echten Namen will sie lieber nicht preisgeben. Als sie bereits in der 10. Schwangerschaftswoche ist, führt sie doch einen Schwangerschaftstest durch: positiv. Ohne Job und ohne Lehrstelle entscheidet sich Mia für einen Schwangerschaftsabbruch. Die Schwangerschaft überrascht Mia – bis zu diesem Zeitpunkt ist sie überzeugt, unfruchtbar zu sein. Einen Grund für diese Vermutung kann sie im Gespräch mit profil nicht nennen, sie hat ihre Periode regelmäßig bekommen, dennoch sagt sie: „Ich habe mir den Gedanken irgendwie in den Kopf gesetzt und hatte schon seit ich klein war Angst, dass ich keine Kinder mehr bekommen kann.“ Das Ergebnis: Sie und ihr Freund verhüten das erste Jahr ihrer Beziehung nie wirklich. Für eine kurze Zeit nimmt Mia die Antibabypille, doch aus Angst zuzunehmen, setzt sie das Verhütungsmittel bald wieder ab.  

Die heute 16-jährige Mia und ihr Freund sind keine Ausnahme, wie die „Health Behavior in School-aged Children”-Studie, kurz HBSC, in Zusammenarbeit mit dem europäischen Regionalbüro der WHO feststellt: Verhütung, ob als Schutz vor einer Schwangerschaft oder vor sexuell übertragbaren Geschlechtskrankheiten, scheint für viele Jugendlichen keine Priorität zu sein. In der Studie mit dem Fokus auf sexuelle Gesundheit von Jugendlichen in Europa, Zentralasien und Kanada stehen 15-jährige Buben und Mädchen im Mittelpunkt. Demnach sind rund ein Fünftel der Buben und 15 Prozent der Mädchen innerhalb der Altersgruppe sexuell aktiv – nur diesem Teil der 15-Jährigen wurden Fragen zu ihrem Sexleben gestellt. Seit 2014 ist ein Rückgang des Kondomgebrauchs sichtbar, rund ein Drittel der Buben und 36 Prozent der Mädchen verwendeten laut der HBSC-Studie kein Kondom beim letzten Geschlechtsverkehr. 

Ungleich aufgeklärt 

Den Großteil ihrer Beziehung verhüten Mia und ihr Freund weder mit Kondom, der Antibabypille oder anderen Verhütungsmethoden: Dennoch fühlen sich die Jugendlichen aufgeklärt – Sexualkunde hätten die beiden in ihren ehemaligen Schulen in der 6. Schulstufe gehabt. Im Unterricht wurde Sexualität und richtige Verhütung thematisiert, so Mia, doch einige Buben wären zu unreif gewesen, hätten gestört, meint die 15-Jährige. Das Resultat: mehrere Kinder verbrachten den Unterricht außerhalb der Klasse, ganz ohne Sexualkunde. 

Sexualaufklärung findet idealerweise nicht nur einige Male im Biologieunterricht statt, vielmehr sollte es ein lebenslanger Prozess sein, erklärt Martina Trimmel, Sexualpädagogin der Aids Hilfe Wien. Von klein auf sollte Kindern der eigene Körper und die Wichtigkeit von Konsens erlernt werden. Wie eine Schwangerschaft entsteht, was eine Periode ist und wie sich der eigene Körper durch die Pubertät verändert, seien Trimmels Meinung nach Fragen, die in der Volksschule thematisiert werden sollten. Schwangerschaftsverhütung und der richtige Schutz vor sexuell übertragbaren Geschlechtskrankheiten sei im Alter von rund 14 Jahren sinnvoll, immerhin sind Jugendliche in Österreich ab dem 14. Lebensjahr sexuell mündig. 

Bei Jugendlichen ist die Risikobereitschaft viel höher als bei Erwachsenen – das ist normale Entwicklung. Zudem ist das Belohnungssystem in der Pubertät sehr ausgeprägt – Jugendliche blenden gesundheitliche Risiken in der Zukunft oft aus und lassen sich leicht von Dingen beeinflussen, die Spaß machen.

Martina Trimmel

Sexualpädagogin, Aids Hilfe Wien

Neben Aufklärung durch Lehrer:innen und Familie wird das Wissen der Jugendlichen durch Workshops unterschiedlichster Anbieter ergänzt – darunter Aids Hilfe, sexologisch, First Love, das Angebot für Jugendliche der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung sowie das Institut für Sexualpädagogik und Sexualtherapien, kurz ISP. 

Die Jugendlichen in Trimmels Workshops unterscheiden sich stark: Von Mädchen, bei denen sie überhaupt erst mit Menstruationshygiene anfangen muss, bis zu Jugendlichen, die nach konkreten Geschlechtskrankheiten fragen. Zu den Gründen des Verhütungsverzichts unter Jungen sagt die Expertin: „Bei Jugendlichen ist die Risikobereitschaft viel höher als bei Erwachsenen – das ist normale Entwicklung. Zudem ist das Belohnungssystem in der Pubertät sehr ausgeprägt – Jugendliche blenden gesundheitliche Risiken in der Zukunft oft aus und lassen sich leicht von Dingen beeinflussen, die Spaß machen.“ 

Eine Frage der Umsetzung

Es gibt aber auch viel banalere Gründe, nicht zu verhüten. Den finanziellen Aspekt. Mia erzählt von ihrer Überraschung, als sie zum ersten Mal die Preise von Kondomen in Österreich gesehen hat. Heute nimmt die 16-Jährige die Antibabypille, die Kosten übernimmt ihre Mutter. Die Folgen der hohen Preise von Verhütungsmitteln zeigen sich im Verhütungsbericht 2024 des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz. Über ein Drittel der Frauen in Österreich würde ihr Verhütungsverhalten verändern, wenn die öffentliche Hand die Kosten der Verhütung tragen würde: „Sie würden überhaupt beginnen zu verhüten, anders verhüten oder häufiger verhüten.“ Den Einfluss finanzieller Faktoren auf die Entscheidung der Verhütungsmethode zu minimieren oder gar zu streichen, ist ein Anliegen der Österreichischen Gesellschaft für Familienplanung, kurz ÖGF. Zumindest vulnerable Personengruppen wie Jugendliche und armutsgefährdete Menschen sollen nicht auf den Verhütungskosten sitzen bleiben, meint der Psychologe Stephan Hloch, der für die Jugendschiene First Love der ÖGF arbeitet. 

Unangenehme Konsequenzen 

Nicht nur ungewollte Schwangerschaften sind eine Folge der Verhütungs-Faulheit von Jungen: Die Fälle von ansteckenden Geschlechtskrankheiten steigen in Europa, wie die Europäische Gesundheitsagentur ECDC feststellt. Diese Entwicklung betrifft vor allem junge Erwachsene und die Krankheiten Syphilis, Chlamydien und Gonorrhoe, umgangssprachlich Tripper genannt. In einer Pressemitteilung, veröffentlicht im August 2024, thematisiert das WHO-Regionalbüro für Europa den Rückgang des Kondomgebrauchs und die Folgen ungeschützten Geschlechtsverkehrs – sexuell übertragbare Infektionen und ungeplante Schwangerschaften. In einem Handlungsappell an Politik und Bildungswesen formuliert das Regionalbüro der WHO Forderungen wie „Investitionen in eine umfassende Sexualaufklärung“. 

Darunter: Dass man sich nicht selbst für unfruchtbar erklären sollte.

Hanna Kastner

Hanna Kastner

ist seit Juli 2025 Volontärin bei profil.