Ein neues Buch bringt die Legende nun auf den Boden der Tatsachen. Der Autor und Subkultur-Forscher (und fallweise profil-Mitarbeiter) Clemens Marschall zielt in seinem Buch über die reinen Räubergeschichten hinaus und hat auch die posthume Verklärung im Visier: Wanda Kuchwalek war gewiss keine feministische Vorreiterin, nur weil sie als lesbische Zuhälterin sehr selbstbewusst in einer Männerdomäne agierte. Sie war ein Opfer katastrophaler Lebensumstände, ein misshandeltes Heimkind, aber eben auch ungeheuer brutal und jederzeit in der Lage, in Suff und Rage Mensch und Mobiliar zu verwüsten.
Ein gewisses Risiko
„Zum ersten Mal habe ich an einer rustikalen Stehbar in Wien von Wanda gehört“, erzählt Unterwelt-Reporter Marschall: „Das war wohl nach ihrem Tod 2004. Aus den haarsträubenden Anekdoten, die über sie erzählt wurden, hat sich lange Zeit kein zusammenhängendes Bild geformt. Aber im Lauf der Jahre und Gespräche kamen immer mehr Stränge hinzu, die sich um Wanda gewickelt und dadurch ihre Geschichte fassbar gemacht haben.“
Clemens Marschall bemühte nicht nur Zeitungs- und Gerichtsarchive, sondern betrieb auch historische Feldforschung. In Tschocherln wie dem „Cafe Adria“ auf der Ausstellungsstraße oder dem „Gasthaus Neumeier“ am Brunnenmarkt spürte er Zeit- und Leidensgenossen der Wilden Wanda auf, sprach mit Zeitzeuginnen wie der Frau Gitti, der Schmutzer-Heli und der Wilden Hilda (nicht verwandt), lauschte abstrusen Räuberpistolen und gerichtlich beglaubigten Tatbeständen.
Frau Gitti berichtet über ihre langjährige Saufkumpanin: „Man hat sich bei Wanda schon überlegen müssen, wie man sich benimmt und was man sagt. Das war manchmal ein Balanceakt. Die hat einen gewissen Punkt gehabt, da war klar: Wenn du bleibst, gehst du ein Risiko ein.“ Das bestätigt auch Wandas Milieu-Kollege Hans Obst: „Wenn die Wanda von irgendam Typ ang’stänkert worden is, hat die dem glei a Bierflaschl in die Pappn g’haut, dass das Blut nur so gspritzt is.“
Frau Gitti erinnert sich auch an Wandas Bullmastiff „Lady“, der die Wega anno ’95 so in Alarmbereitschaft versetzt hatte: „Die war absolut nicht bösartig, aber sie ist auf ein gewisses Wort gegangen, das Wanda nur bei Männern ausgesprochen hat.“ Der Befehl lautete: „Oaschloch“. Gitti: „Und die Lady war abgerichtet, auf die Gurgel zu springen.“
Geliebte am Straßenstrich
Geboren am 22. Jänner 1947 als Tochter einer Schaustellerin und eines russischen Besatzungssoldaten, erlebte Wanda Kuchwalek eine Kindheit im zerstörten Wien und in verstörenden Umständen. Schon als Hauptschulkind galt sie als hoffnungslos renitent, mit 14 erfolgte der Erstkontakt mit dem Strafrecht inklusive U-Haft und Bewährungsstrafe, mit vierzehneinhalb dann die Einweisung in ein Heim für schwer erziehbare Mädchen in Wiener Neudorf. Dort Prügel, sexuelle Gewalt, Einzelhaft und Elektroschocks, aber auch eine erste homosexuelle Liebschaft, schließlich die Entlassung wegen „Unerziehbarkeit“. Wanda: „Ich hab’s geschafft!“
Es folgten weitere Straftaten und Bewährungsstrafen, Aufenthalte in Psychiatrie und Arbeitsheim, immer wieder Ausbruchsversuche, schließlich eineinhalb Jahre im Frauengefängnis Schwarzau: „Hier fasse ich den Gedanken, den ich später umsetzen werde: Ich mache mir Frauen gefügig und lasse sie für mich arbeiten“, erinnerte sich Kuchwalek später in einem biografischen Zeitungsartikel.
Ab den mittleren 1960er-Jahren etablierte sie dieses Lebens- und Geschäftsmodell, lebte von dem Geld, das ihre wechselnden Geliebten am Straßenstrich verdienten – und stolperte selbst immer wieder über ihre eigene Gewaltbereitschaft in Verbindung mit irrwitzigem Alkohol- und Aufputschmittelkonsum. Das Gerücht, dass Wanda eine reine Rumtrinkerin war, kann Marschall übrigens widerlegen: Mehrere Kartenspielpartner können bezeugen, dass sie ihr Viertel Rum stets mit einem Schuss Cola verfeinert habe.
Mit 19 wurde Kuchwalek – als erste Frau in Österreich – nach dem Zuhälterparagrafen 170 („Vagabundengesetz“) verurteilt, dem war ein gewalttätiges Zerwürfnis mit ihrer damaligen Partnerin Inge Adensam (alias „Winnetou“) vorausgegangen. Die „Kurier“-Reporterin Elisabeth Zacharia kannte Kuchwalek gut, sie beschrieb die Wilde Wanda in einer zeitgenössischen Reportage so: „Sie lacht, sie weint: die Lippen einmal lasziv aufgeworfen, dann wieder schmal verbissen, voll Haß auf die Welt und auf sich selbst, die Augen einmal lockend kokett, dann wieder geschlitzt und kalt wie Eiswürfel: ‚I hob zehntausend Gesichter, und jedes ist mein wirkliches.‘“
Mit Hund und Totschläger
Wanda konnte sehr umgänglich auftreten, aber von einer Sekunde auf die andere brutalste Gewalt ausüben. In der keineswegs zimperlichen Wiener Rotlicht-Szene war sie zwar ein kleiner Fisch, aber einer, mit dem man lieber nichts zu tun haben wollte. Ihr Temperament war von Natur aus explosiv und geschäftlich von Vorteil.
Die Geschichte der Wilden Wanda spielt im Milieu der 1960er- und 1970er-Jahre, das vom Hinterzimmer-Glückspiel (typischerweise wurde „Stoß“ gespielt), Schutzgelderpressung, Hehlerei und Straßenprostitution geprägt war – und von klingenden Künstlernamen. Die Milieugrößen hörten auf Josef „Notwehr“-Krista, Josef „da Gschwinde“ Angerler, „Roter Heinzi“ Bachheimer und „Schöner Ederl“ Höbaus, Nebenfiguren hießen „da Kugelfang“, „da Eiserne“ oder „de lewendiche Leich“.
Eine besonders ergiebige Quelle für Marschalls Recherchen war die „Schmutzer-Heli“, Schwester der legendären „Schmutzer-Buam“ Norbert und Alois, die in den 1960ern die Szene dominierten. Dem urigen Monolog der Frau Schmutzer widmet Marschall übrigens eine eigene Sondernummer seines Subkultur-Magazins „Rokkos Adventures“ (das „Schmutzer-Blattl“ erscheint Anfang November und ist unter shop.rokkosadventures.at vorbestellbar). Frau Schmutzer brach mit ihrer Saufkumpanin Wanda nach einem bizarren, aber doch auch bezeichnenden Ereignis. In rasender Eifersucht auf ihre damalige Geliebte „Winnetou“ hatte Kuchwalek deren Katze an die gemeinsame Wohnungstür genagelt. Lebend.
Im Jahr 1973, auf dem Höhepunkt ihrer lokalen Berühmtheit, diktierte Wanda Kuchwalek der Hamburger Boulevardzeitung „Neue Illustrierte Revue“ ihre Memoiren, eine weitere biografische Serie erschien 1978 im „Wiener Wochenblatt“. Diese endet mit dem bemerkenswerten Satz: „Ich kann nur gefasst abwarten, was das Schicksal mit der ‚Wilden Wanda‘ noch vorhat. Gutes wird’s wohl kaum sein.“
Clemens Marschall: Wilde Wanda
Brandstätter Verlag, 208 S., 25 EUR
Tatsächlich verbrachte sie ihre späten Jahre, zunehmend vom Leben gezeichnet, als Sozialhilfeempfängerin in ihrem Stammcafé „Amigo“ auf der Engerthstraße, das praktischerweise unmittelbar neben ihrer Wohnung lag. Clemens Marschall: „Mit Hund und Totschläger – man wusste ja nie, was der Tag bringen würde – vertrank sie dort als leicht entzündbarer Wattebausch mit Stahlwollfüllung Zeit und Geld.“