Arigona Zogaj: Mensch des Jahres

Arigona Zogaj - Mensch des Jahres: Das Schicksal der abgeschobenen Brüder

Das Schicksal der abgeschobenen Brüder

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Alban und Alfred mussten erdulden, was ihrer jüngeren Schwester Arigona bisher erspart blieb: in den Kosovo abgeschoben zu werden. Im September 2007 setzten die österreichischen Behörden Vater Xhevat und vier seiner Kinder ins Flugzeug und schickten sie in ihr Ursprungsland, wo sie kein Zuhause erwartete, sondern nur die Ruine ihres einstigen Wohnhauses. Alfred und Alban leben auch heute im Kosovo, und eigentlich müssten sie eine tolle Geschichte miterlebt haben – die Geburt und den Aufschwung eines neuen Staats, der unabhängigen Republik Kosovo.

Im Jahr 1999
Schauplatz des Kriegs zwischen der NATO und der jugoslawischen Armee, gilt der Kosovo für die österreichischen Behörden seit dem vergangenen Juli als sicheres Drittland. Davor hatte sich der Kosovo am 17. Februar 2008 für unabhängig erklärt, 22 der 27 EU-Staaten und 64 der 192 UN-Mitgliedsstaaten haben die neue Republik anerkannt. De facto haben in der kleinen exjugoslawischen Provinz neben der gewählten Regierung noch einige Protektoratsherren das Sagen, teils sogar mit exekutiver Gewalt: die UN-Übergangsverwaltung Unmik, die EU-Rechtsstaatsmission Eulex, das Internationale Zivilbüro ICO, die internationale Militärtruppe KFOR und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa OSZE. Das ergibt eine ganze Menge von Leuten, die Erfolgsmeldungen produzieren. Und so fragt man sich in den Ländern, die Kosovo-Flüchtlinge aufgenommen haben, was denn so schlimm daran sein sollte, dorthin wieder zurückzukehren.

Alban und Alfred
, heute 20 und 18 Jahre alt, schlagen sich seit mehr als zwei Jahren im Kosovo durchs Leben. Als profil sie vergangenen November in der westkosovarischen Stadt Peja (serbisch: Pecs) besuchte, brauchten sie nicht viel zu sagen, um ihre triste Situation klarzumachen. Sie wohnten bei einem Mann, der sie aus Mitleid im Haus seiner Eltern aufgenommen, aber selbst keine Arbeit hatte. Alban und Alfred hatten keine Jobs, bezogen keine staatliche Unterstützung und bekamen nur zuweilen Geld von Josef Friedl, dem oberösterreichischen Pfarrer, der sich um die Familie Zogaj kümmert. Ihre Kleidung war für den hereinbrechenden Winter zu dünn, selbst geringe Kosten für einen Arztbesuch stellten sie vor fast unüberwindbare Probleme. Alban und Alfred hatten keine schönen Geschichten zu erzählen, also schwiegen sie oft. Zwei verloren und verletzlich wirkende Burschen, deprimiert und ohne jugendlichen Tatendrang.

Waren sie zu faul gewesen, hatten sie sich ungeschickt angestellt? Warum waren sie nicht Teil der Aufbaugeneration geworden? Warum hatten sie nicht ihre „wirtschaftlichen Grundlagen“ genutzt, die laut Innenministerin Maria Fekter im Kosovo liegen?

Alban und Alfred
wissen nichts von makroökonomischen Indikatoren, aber wer ihre Situation beurteilt, sollte die Daten kennen: Das Wirtschaftswachstum des Kosovo ist viel zu gering (unter vier Prozent), das Zahlungsbilanzdefizit ist hoch (19,5% des BIP), die Armutsrate ist hoch (fast 40%), die Arbeitslosenrate ebenso – unter Jugendlichen beträgt sie 70 Prozent.

Die Vorstellung, Zwangsrückkehrer wie Alban und Alfred könnten beim Wiederaufbau mithelfen, ist romantisch und naiv. Thomas Hammarberg, der Menschenrechtskommissar des Europarats, warnte kürzlich, es sei „nicht der Moment für eine Rückkehr und noch weniger für Zwangsabschiebungen“. Er forderte die Regierungen der Länder, in denen Kosovaren leben, auf, keine Rücknahmeabkommen mit dem Kosovo zu schließen.

Die Kosovaren bis auf Weiteres nicht in ihr Heimatland abzuschieben ist beileibe nicht nur eine humanitäre Idee, sondern folgt wirtschaftlicher Logik. Die Höhe der Überweisungen von Auslandskosovaren betrug im Jahr 2008 535,8 Millionen Euro und machte damit 14,1 Prozent des Budgets der jungen Republik aus. Jeder weitere arbeitslose Zwangsrückkehrer hingegen belastet die katastrophale Ökonomie des Landes.

Alban und Alfred waren drauf und dran, ihr Arbeitsleben zu beginnen, als sie Österreich verlassen mussten. Jetzt sitzen sie untätig herum und haben keine Chance auf eine Ausbildung.

In einer Analyse der renommierten deutschen Friedrich-Ebert-Stiftung zur Situation des Kosovo heißt es, es würden „Gelder aus der Diaspora notwendig sein, um die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln und die soziale Krise abzufedern“.

Stattdessen wollen die Regierungen in Österreich, Deutschland und anderen EU-Staaten ihre Kosovaren möglichst rasch wieder loswerden, haben sie doch als EU-Nettozahler in den vergangenen Jahren den Kosovo mit Milliarden unterstützt und sehen jetzt in der Rückkehr der Flüchtlinge eine kleine Entschädigung für ihren Einsatz. Weiters wird der Kosovo von der Visa-Liberalisierung ausgeschlossen, von der Serben, Montenegriner und Mazedonier seit Kurzem profitieren. Kosovarische Arbeitskräfte sollen bleiben, wo sie sind. Lieber pumpt die EU weitere Millionen in einen Staat, dessen Wirtschaft nicht auf die Beine kommt. Hauptsache, Leute wie Alban und Alfred Zogaj gehen und kommen nicht wieder.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur