Die verhökerten Mädchen

Gewalt. Die Politik prangert Zwangsehen an, rührt aber keine Finger

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Sie war 16, mit der Hauptschule fertig, und der Sommer 2009 hatte soeben begonnen, als ihre Eltern sie für Geld verkauften. Auf dem Standesamt einer österreichischen Kleinstadt musste sie zu einem türkischen Bräutigam „Ja“ sagen, den sie noch nie gesehen hatte. Danach sperrte sie der Unbekannte ein, prügelte und vergewaltigte sie.

Die 16-Jährige versteckte sich in Frauenhäusern. In keinem war sie sicher. Ihr Peiniger hetzte sie durch mehrere Bundesländer. Dann verlor Meltem Weiland vom Verein Orient Express die Spur der Frau: „Was aus ihr geworden ist, habe ich nie erfahren.“

Niemand weiß, wie viele derartige Tragödien sich jedes Jahr ereignen. Das ist erstaunlich. „Traditionsbedingte Gewalt“ war noch vor wenigen Jahren als politisches Thema sehr in Mode. Die frühere ÖVP-Frauenministerin Maria Rauch-Kallat ließ keine Gelegenheit aus, Genitalverstümmelung, Menschenhandel und Zwangsehen anzuprangern. Die Politik rief nach härteren Strafen. Eine Arbeitsgruppe aus Vertretern des Innen-, Justiz- und Frauenministeriums trat zusammen. Öffentliche Diskussionsrunden erörterten die dunklen Seiten der Migration.

Extremes Kulturdelikt.
Am 1. Juli 2006 traten höhere Strafen für Zwangsverheiratungen in Kraft. Der Ton wurde schärfer. Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) erklärte Zwangsehen, Genitalverstümmelungen und Ehrenmorde zu „extremen Kulturdelikten“.

Doch die Politik rührte bis heute keinen Finger, um diese auch zu verhindern. Das verbittert Orient-Express-Mitarbeiterin Weiland: „Wir brauchen endlich Taten.“ Kommenden Sommer würden die nächsten Mädchen gegen ihren Willen verlobt, zur Hochzeit gezwungen, aus der Schule gerissen. Noch immer gibt es für sie keine Notwohnungen. Dabei steht es inzwischen im dritten Regierungsprogramm, dass solche Unterkünfte fehlen.

Das Problem:
Minderjährige werden im Kriseninterventionszentrum untergebracht, wo die oft wohlbehütet aufgewachsenen Türkinnen, Afghaninnen oder Ägypterinnen mit jenen Jugendlichen zusammentreffen, vor denen ihre Eltern sie schützen wollten. „Viele halten das nicht aus, kehren zu ihrer Familie zurück und werden sofort verheiratet“, berichtet die Grüne Alev Korun. Auch an Beratung herrscht Mangel: Orient Express, der einzige auf die Verhinderung von Zwangsehen ausgerichtete Verein, bangt ständig um Förderungen. Dabei steigt die Zahl der Mädchen, die dort Hilfe suchen, mit jedem Jahr: 2004 waren es 26, 2009 bereits 72.

Im Vorjahr startete Korun eine Serie parlamentarischer Anfragen. Sie wollte wissen, was die Ressorts unternehmen. Fazit: Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) weiß von fünf Fällen von Zwangsehen an Botschaften und Konsulaten seit 2006. Zum Thema Hilfe fällt ihm wenig ein. Es werde „je nach Gegebenheit“ gehandelt. Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek (SPÖ) beklagt die Datenlage. Innenministerin Maria Fekter (ÖVP) kann nicht sagen, wie oft eine Nötigung zur Ehe angezeigt wird. Justizministerin Claudia Bandion-Ortner (ÖVP) kennt die Zahl der Verurteilungen nicht. „Nichtssagend“, „schnoddrig“ und „ideenlos“ seien die Antworten, so Korun: „Die Politik hat die Probleme von Migranten eifrig aufgezeigt, doch sie hat kein Interesse, sie auch zu lösen. Man weiß nicht einmal, was der neue Strafparagraf bringt.“

Wer jemandem eine Ehe aufzwang, machte sich vorher einer Nötigung schuldig. Verfolgt wurde das Delikt aber nur auf Verlangen des Opfers und wenn die Ehe wegen Drohung oder Gewalt bereits aufgehoben war. Eine unüberwindliche Hürde für die Betroffenen, sagt Strafrechtler Frank Höpfel: „Das war ein Witzdelikt.“ In den 30 Jahren zwischen 1975 und 2005 gab es gezählte sieben Verurteilungen wegen Ehetäuschung und -nötigung. Im Rahmen des Anti-Stalking-Gesetzes, das Mitte 2006 in Kraft trat, avancierte das Witzdelikt zum Offizialdelikt, also einem Verbrechen, das von Amts wegen verfolgt wird. Gleichzeitig wurde der Strafrahmen von einem Jahr auf fünf Jahre hinaufgeschraubt. Seither werden Zwangsehen in der Statistik als schwere Nötigungen geführt und nicht gesondert ausgewertet. Eine Evaluierung sei aus Kostengründen nicht geplant, ließ Bandion-Ortner wissen.

Der Verein Papatya in Berlin gilt als Pionier bei der Betreuung von Zwangsverheirateten. Seit 24 Jahren beherbergt die Opferschutzeinrichtung Mädchen, die vor „patriarchaler traditioneller“ Gewalt flüchten müssen. 50 bis 60 sind es im Jahr, die Hälfte ist von Zwangsehe bedroht oder wurde bereits verheiratet. Strenge Gesetze seien ein wichtiges Signal, in der Praxis aber bedeutungslos, konstatiert eine Betreuerin: „Die Mädchen wollen nicht in den Krieg ziehen, sondern in Ruhe gelassen werden und ihr Leben in die Hand nehmen.“ Eine Einschätzung, die man bei Orient Express in Wien teilt. Anzeigen kämen „höchst selten“ vor, sagt Weiland: „Einmal hat eine Kollegin die Polizei informiert, weil eine Klientin verschwunden ist. Das ist der einzige Fall, an den ich mich erinnern kann.“

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges