Die Räuber des schwarzen Goldes

Die Räuber des schwarzen Goldes

Rumänien. Der OMV-Tochter Petrom werden enorme Mengen an Öl gestohlen

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Langsam stochert sich der Wagen von Elena Ciobanescu (Name von der Redaktion geändert) in dieser dunklen, grimmigen Winternacht über das Ölfeld von Suplacu de Barcau im Nordwesten von Rumänien. Die hochgewachsene, knochige, junge Frau ist Sicherheitsinspektorin beim rumänischen Erdölriesen Petrom. Den kleinen Peugeot steuert ihr Freund Adrian, der zugleich auch ihr „Leibwächter“ ist. Sie lacht, wenn sie ihn so nennt. Ihr Job macht sie unbeliebt in der Gegend. Denn sie kämpft gegen die Öldiebe, die das Öl der Petrom stehlen – an den Ölbrunnen, aus den Pipelines, in den Öllagern und auf den Verladebahnhöfen.

Adrian stoppt den Wagen an einer Ölsonde beim Dorf Abramut. Sie steht auf einem langgezogenen Hügelrücken, im Tal darunter erstreckt sich die Roma-Siedlung von Abramut. Nur wenige Lichter schimmern von dort herüber, es ist bereits nach Mitternacht. Elena entdeckt frische Fußspuren im Schnee, von etwa drei bis vier Personen. Die Lichtkegel des Wagens haben die „Nachtwandler“ offenbar vertrieben. In der Woche zuvor hatten sie das Gitter, das den Brunnen schützen soll, an einer Stelle weggerissen und ein paar Fässer Öl gestohlen. „Alle zeigen mit dem Finger auf die Roma“, meint Elena. „Das ist am einfachsten. Aber was sie klauen können an den Sonden und Pipelines, sind Peanuts.“

Schwund.
Beim Tanklager in Petreu wird klar, was Elena meint. Sie weist sich beim Pförtner aus – als Sicherheitsinspektorin hat sie Zugang zu allen Anlagen. Kaum hat sie das Gelände betreten, greift der Pförtner zum Telefonhörer. Rund um das Lager gibt es ein paar Stellen, an denen sich ein Ölfass leicht über den Maschenzaun hieven lässt. Elena sieht auch nach, ob sich Betriebsfremde auf dem Gelände befinden. Doch die Fremde hier ist sie selbst. Ihre Bewegungen werden von einigen Arbeitern mit feind­seligen Blicken verfolgt. „Manchmal springe ich über den Zaun, sodass mich kein Pförtner bemerkt“, sagt sie nach dem Rundgang. „Das wird dann als skandalös empfunden.“ Wieder lacht sie auf. Als wäre es nicht der Skandal, dass die Mitarbeiter ihre eigene Firma beklauen.

Öl wird in Rumänien seit Generationen gestohlen. Im Kommunismus und auch in den Jahren danach bestahl man den Staat, dem es gehörte. Doch seit der Privatisierung im Jahr 2004 verfügt der neue private Mehrheitseigentümer, der österreichische Mineralölkonzern OMV, über einen 51-Prozent-Anteil am „schwarzen Gold“ Rumäniens. (Zu 40 Prozent ist weiterhin die Republik Rumänien an der Petrom beteiligt.) Zehn bis 15 Prozent der Fördermenge verschwinden irgendwo auf den verschlungenen Wegen zwischen Ölfeld und Raffinerie, erzählt man sich hier hinter vorgehaltener Hand.

In wirtschaftlich dürren Zeiten
– im Krisenjahr 2009 verringerte sich der Nettogewinn der österreichischen Konzernmutter um 58 Prozent von 1,37 Mrd. auf 572 Mio. Euro – schmerzt das den rechtmäßigen Besitzer umso mehr. Doch, wie mehrmonatige profil-Recherchen ergaben, gefährdet der mit enormer krimineller Energie herbeigeführte Schwund auch die Entwicklung des gesamten EU-Randlands Rumänien. Die massiven Raubprofite stärken ein verbrecherisches Milieu, das von lokalen Kleinkriminellen bis zu internationalen Mafia-Organisationen reicht. Sie betonieren die Macht korrupter Politiker und Justizbeamter. Sie halten die klandestinen Seilschaften von ehemaligen und aktiven Geheimdienst-Mitarbeitern am Leben, die nicht ihrem Land dienen, sondern der Mafia oder russischen Interessen – oder beiden.

Lukrativer und risikoloser als das Abzapfen der Sonden sind so genannte Insider-Jobs, ausgeführt von oder in Komplizenschaft mit Mitarbeitern der Petrom. Etwa von den Tanklasterfahrern, die das Öl von den Sonden zu den Öllagern fahren. Ein ehemaliger Petrom-Mitarbeiter beschrieb die Methode in einem Brief an den Senator Iulian Urban aus Ilov. An der Pumpe wird der Druck leicht erhöht, sodass etwas mehr Öl sprudelt als geplant. Ein bestochener ­Eichungsingenieur bestätigt aber den ­ursprünglichen, niedrigeren Druck. Der Tanklaster lädt dann im Lager nur so viel Öl ab, wie eben bei dem niedrigeren Druck zu erwarten gewesen wäre. Den Rest verkauft er schwarz. Die Petrom ist sich der Schwachstelle bewusst. „Zurzeit läuft ein Projekt zur besseren Überwachung dieser Tankwagen“, beantwortete die Explorationsabteilung eine profil-Anfrage. „Außerdem sollen die Versiegelungen dieser Transporte und die Versiegelungsprozeduren geändert werden.“ Die OMV möchte sich zum Öldiebstahl nicht äußern und verweist auf die Zuständigkeit der Petrom.

Abgeschöpft.
Gestohlen wird auch bei der Bahnverladung in Suplacu. Es werden mehr Waggons mit Öl beladen, als in den Akten vermerkt wird. Der „Überschuss“ wird von Dieben abgeschöpft, die ihre Prozente an jene Petrom-Mitarbeiter bezahlen, die Akten fälschen. Einmal ließ das Unternehmen die Aktivitäten auf der Rampe observieren, die Waggons Tag für Tag nachzählen. Im internen Bericht, der profil vorliegt, steht: „Lt. Akten 22 Waggons beladen … In Wirklichkeit wurden 25 Waggons beladen, gegenüber nur 22 in den Akten. Drei Waggons mal je 53 Tonnen ergeben 159 Tonnen Öl, die in Waggons beladen wurden, aber nicht in den Akten auftauchen. … In den Akten 19 Waggons = 1130 Tonnen. Beladen 25 Waggons. 4 Waggons je 53 Tonnen mehr = 212 Tonnen, die nicht in den Akten erscheinen.“ In der Nacht werden Waggons oft scheinbar sinnlos hin und her verschoben, berichtete ein anderer Beobachter. „Aus 25 mach 20“ – dies sei die Logik hinter dem munteren Rangieren.

Der interne Bericht spricht von einer „diskreten Überwachung“. Die Einsetzung von sichtbaren und effizienten Kontrollteams in den Verladebahnhöfen würde auf ähnliche Hindernisse stoßen wie die Installierung von Sicherheitskameras in den Öldepots: die Gewerkschaft. Maßnahmen zur Reduzierung des Diebstahlsrisikos werden von dieser als „unvereinbar mit den Persönlichkeits- und Menschenrechten der Mitarbeiter“ abgeblockt. Die Petrom-Gewerkschaft ist keine gewöhnliche Arbeitnehmervertretung. Ihr mächtiger Chef, Liviu Luca, kommt aus dem früheren kommunistischen Geheimdienst Securitate und sichert sich fette „Nebenverdienste“ als Besitzer des Unternehmens Petromservice, das Dienstleistungen für die Petrom durchführt. Noch besser verdiente seine Servicefirma, als die Petrom noch staatlich war und ihr völlig überteuerte oder gar nicht ausgeführte Dienstleistungen in Rechnung gestellt werden konnten. Luca ist mit jenen Seilschaften verbandelt, die den systematischen Diebstahl, aber auch verschiedene Praktiken des Mineralölsteuerbetrugs decken und davon profitieren.

Im Mittelbau dieses Kartells tummeln sich Leute wie Dorel Ungur, der Ortskaiser des westrumänischen Grenzstädtchens Salonta. Durchtrainierter Körper, harte Gesichtszüge, misstrauischer Habitus und eine Ausbeulung in der Hose, die den Revolver darunter erahnen lässt: kein Typ, dem man allein im Wald begegnen möchte. Ungur gehört das Fernheizwerk in Salonta, er besitzt 2000 Hektar Land, Tankstellen und das Bauunternehmen Crisana Pro Contruct Srl. Unter dem Diktator Ceausescu war er in jungen Jahren ein einfacher Gemüsehändler. Die richtigen ­verwandtschaftlichen Beziehungen und die eigene Skrupellosigkeit verhalfen ihm zu ­seinem traumhaften Aufstieg. Nach Erkenntnissen von Justizkreisen in der Kreishauptstadt Oradea soll er das eher minderwertige Öl, das von den örtlichen Petrom-Sonden gestohlen wird, aufkaufen, um damit sein Heizwerk und seine Bäckereien zu betreiben. Das Heizöl, das er für diese Einrichtungen erwirbt, ist steuerlich begünstigt. Da er wegen des gestohlenen Öls weniger davon braucht, kann er die Differenzmenge an seinen Tankstellen als Diesel- und Maschinentreibstoff verkaufen und den ­Extraprofit einstecken.

Vertuscht.
Die Sonden in der Gegend von Salonta werfen aber immer weniger Öl ab. Die Petrom hat bereits viele von ihnen aufgegeben, die wenigen funktionierenden schützt sie aus Rentabilitätsgründen kaum mehr. Das erleichtert zwar den Diebstahl, das Diebsgut ist jedoch minderer Qualität. Ungur erlitt zuletzt noch mehr Ungemach. Im Sommer 2008 wurde der Polizeichef von Salonta, Alexandru Roxin, vom Dienst suspendiert. Er deckte die Leute, die das Öl für Ungur abzweigten. Roxins Untergebener, der Polizeioberst Viorel Popa, war nämlich damals von zwei Gendarmen ertappt und gefilmt worden, als er im Petrom-Öllager Tinca, nahe Salonta, sieben Fässer Rohöl stahl. Der Fall sollte vertuscht werden, doch die Antikorruptions-Behörde des Innenministeriums hatte die entsprechenden Telefongespräche zwischen Polizei- und Gendarmerie-Oberen abgehört und mitgeschnitten. Die Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft DNA wurde eingeschaltet, wollte aber gleichfalls die Tat und ihre Vertuschung vertuschen. Dem stand aber ein Problem entgegen: die abgehörten Telefonate, die bei einer späteren Kontrolle jederzeit entdeckt werden konnten. Man fand schließlich eine sehr rumänische Lösung. Die DNA-Staatsanwälte zeigten zwei unschuldige Polizisten wegen „Begünstigung einer Straftat“ an. Im darauffolgenden Gerichtsverfahren wurden sie natürlich freigesprochen. Sinn der Übung: Die ursprünglichen belastenden Beweismittel gegen die Gendarmen und den Polizeioberst Popa wurden in diesem Prozess mitverwendet, um sie mit der Schließung des Verfahrens in dessen Akten ein für alle Mal zu „begraben“. Im Jänner dieses Jahres trat Oberst Popa wieder seinen Dienst bei der Polizei von Salonta an. Auch Roxin dürfte, zur Genugtuung Ungurs, bald wieder an die Stätte seines Wirkens zurückkehren.

Die Führungsebene des Öldiebstahlkartells bildet das informelle Netz der ehemaligen Securitate-Offiziere und -Agenten. Viele von ihnen wurden in der Sowjetunion ausgebildet. Sie dienen heute wieder den Interessen Russlands, das im westorientierten NATO-Land Rumänien Terrain zurückzugewinnen versucht, vor allem im Energiesektor. Moskau grollt der OMV, denn bei der Privatisierung 2004 hätten die Russen sich die Petrom gerne mit den Österreichern geteilt und dabei die Gassparte übernommen. Wie in Bukarest gemunkelt wird, soll die russische Gasprom ihre Ambitionen in Hinblick auf das rumänische Gasgeschäft noch nicht aufgegeben haben.

Aber auch die italienische Mafia fühlt sich – nicht zuletzt wegen der Sprachverwandtschaft – in Rumänien wohl. Die Brüder Pileri, die nach Recherchen des rumänischen Aufdeckungsjournalisten Stefan Candea mit der Cosa Nostra in Verbindung stehen, etablierten sich gleich nach der Wende im Abfallverwertungs-Business. Andere folgten nach, etwa aus der kalabresischen ’Ndrangheta und aus der Camorra. Mafia-nahe Tarn­firmen sind auch an der Verschiebung der Gewinne aus dem Diebstahl an der Petrom beteiligt. Eine interne Interpol-Analyse, die profil vorliegt, zeigt, dass in Rumänien etwa 300 Unternehmen existieren, die italienischen Mafia-Organisationen gehören und überwiegend zur Geldwäsche und zum Schmuggel genutzt werden. In ihrem „Gastland“ sei „kein politischer Wille erkennbar, dieses Phänomen zu bekämpfen“, hält die Analyse fest. Als einer der „Türöffner“ für die Mafia gilt der sozialistische Spitzenfunktionär und Ex-Minister für Klein- und Mittelbetriebe, Constantin Nita. Darauf deuten unter anderem Telefonmitschnitte der italienischen Polizei hin. Er selbst bestreitet freilich eine derartige Rolle.

Der Embargo-Schmuggel während der Jugoslawien-Sanktionen in der ersten Hälfte der neunziger Jahre und die Mineralölmanipulationen in Ungarn in dieser Zeit (siehe Kasten) werteten die Rolle des Zolls an der damaligen rumänischen Westgrenze enorm auf. Der heutige Innenminister Vasile Blaga war von 1993 bis 1996 Direktor der Regionalen Zolldirektion Oradea. Wer damals Zöllner werden wollte, musste an die Behörden-Chefs tausende Dollar abführen, weil diese korrupte Tätigkeit dermaßen lukrativ war. Wie der rumänische Aufdeckungsjournalist Ovidiu Ohanesian schrieb, soll Blaga dabei so gierig gewesen sein, dass ihm ein Spottvers angedichtet wurde: „Mein Name ist Blaga, aber in Wirklichkeit heiße ich Spaga.“ Spaga ist das rumänische Slang-Wort für Schmiergeld. Später verdiente sich Blaga seine Sporen als Geldeintreiber für die Wahlkämpfe des heutigen rechtspopulistischen Präsidenten Traian Basescu, als dessen Trinkkumpan er gilt. „Patenverwandtschaften“ verbinden ihn mit zahlreichen Akteuren dubioser und illegaler Ölgeschäfte.

Beim EU-Beitritt 2007 versprach Rumänien, seine korrupten Strukturen abzubauen. Derzeit deutet nichts darauf hin, dass dies geschähe. Die enormen Profite aus den Öldiebstählen und Mineralölsteuerbetrügereien fließen auf Konten im Ausland, werden weißgewaschen und kehren in die Region zurück. Internationale Ermittler, die den Gang des Geldes nachverfolgt haben, gelangten indes zu verblüffenden Schlussfolgerungen. In Rumänien stießen sie auf elf große Unternehmen, darunter eine Waggonfabrik, die mit dem zurückgeflossenen kriminellen Geld aufgekauft wurden – und die, weil sie ihnen rein rechtlich zustehen, EU-Fördergelder kassieren.

Mitarbeit: Adriana Voiculescu, Salonta