„Ich lebe noch“

Helmut Elsner: Sein verbissener Kampf um die verlorene Ehre

Bawag. Das zweite Leben des Helmut Elsner: Sein verbissener Kampf um die verlorene Ehre

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Es gibt Momente im Leben von Helmut Elsner, da fühlt sich das Heute ein bisschen an wie das Gestern. Dann etwa, wenn er morgens durch die noch spärlich frequentierte Fußgängerzone der Innenstadt flaniert. Wenn Passanten im Vorbeigehen „Grüß Gott, Herr Elsner!“ sagen und dabei freundlich lächeln. Wenn er im ersten Haus am Platz „Herr Elsner, wie immer?“ hört.

Es ist eine fremde Fußgängerzone in einer fremden Stadt, auch die Passanten sind andere und das erste Haus am Platz hätte es daheim wahrscheinlich nicht unter die persönlichen Top 50 geschafft. Wie überhaupt das Leben heute ein anderes ist.

Bad Reichenhall, Landkreis Berchtesgadener Land, Bayern. Kurstadt, Solequellen, eine der höchsten Medizinerdichten Mitteleuropas. Helmut Elsner sitzt im Gastgarten des Parkhotels Luisenbad, eine grundsolide Herberge, die hier seit 1864 steht und von Familie Herkommer bereits in dritter Generation betrieben wird. „Herr Elsner, ein Wasser, wie immer?“

Er sieht deutlich besser aus als beim letzten Aufeinandertreffen im September 2008, als profil ihn in der Justizanstalt Wien-Josefstadt besuchte. Aber er ist nicht mehr der Helmut Elsner, den profil im Mai 2006 – noch in Freiheit – ausführlich interviewt hatte. „Es gibt Tage, da geht es mir besser, als die Befunde sagen, an anderen wieder schlechter. Ich ärgere mich maßlos über meinen Körper.“ Ein dreifacher Bypass, eine hartnäckige Angina pectoris, Wasser in der Lunge, ein Bandscheibenvorfall, neuerdings zwickt es auch in der Leistengegend. Vier Jahre und sechs Monate Haft, dazu 117 aufreibende Verhandlungstage, haben Tribut gefordert. „Es wäre manchen Leuten lieber gewesen, ich wäre hinter Gittern gestorben. Aber den Gefallen habe ich ihnen nicht getan. Ich lebe noch.“

Seit einigen Monaten ist der heute 78-jährige ganz formell Bürger von Bad Reichenhall, er ist hier behördlich gemeldet und hat eine 50 Quadratmeter große Ferienwohnung angemietet. Kein Vergleich zu seinem früheren Leben. „Wenn Sie viereinhalb Jahre in Haft waren, dann erscheinen Ihnen auch 50 Quadratmeter wie der reine Luxus.“ In Wien habe ihn ohnehin nichts mehr gehalten. „Ich suchte auf Anraten der Ärzte einen Ort mit sauberer Luft und guter medizinischer Versorgung.“ Daher Bad Reichenhall, Alpenstadt des Jahres 2001, Luftgütesiegel 1a.

Ehefrau Ruth, die regelmäßig einpendelt, wird später noch ergänzen: „In Wien wurden wir behandelt wie Aliens. Es war kaum mehr möglich, auf die Straße zu gehen, ohne dass die Leute mit dem Finger auf uns gezeigt hätten. Das müssen Sie sich einmal vorstellen.“ Elsners sagen oft, dass man sich „das“ einmal vorstellen müsse. Weil es ja doch irgendwie unvorstellbar sei, was ihm vor, während und auch nach dem Bawag-Prozess widerfahren sei.

„Grüß Gott, Herr Elsner!“
Elsner hat die Prominenz in Bad Reichenhall nicht gesucht; in gewisser Weise hat sie ihn gefunden. Am 5. September vergangenen Jahres setzte das lokale „Reichenhaller Tagblatt“ an prominenter Stelle eine knackige Schlagzeile über sein Foto: „Österreichischer Skandal-Banker in Bad Reichenhall – Verurteilter Gewerkschafts-Bank-Chef Helmut Elsner entzieht sich erneut der Justiz“ (Elsner war dem damals laufenden Bawag-II-Verfahren ferngeblieben, nachdem er schon im Bawag-I-Verfahren rechtskräftig die Höchststrafe von zehn Jahren ausgefasst hatte). „Seither kennt mich hier jeder.“ Natürlich habe er nach Erscheinen der Story bei der zuständigen Redakteurin angerufen und sich beschwert.

Denn natürlich trage der Skandal den Namen eines anderen: Wolfgang Flöttl.

profil hat bereits vor Jahren, schon im Vorfeld des Bawag-Prozesses 2007, Zweifel an der Arbeit der Justiz geäußert. Der eigentliche Prozessverlauf und die späteren (mittlerweile rechtskräftigten) Urteile gegen insgesamt neun Beschuldigte warfen nur noch mehr Fragen auf. Elsner bekam als Hauptbeschuldigter zehn Jahre Haft aufgebürdet, von denen er nicht ganz die Hälfte abgesessen hat, sein Nachfolger Johann Zwettler fünf Jahre unbedingt, er ist aus gesundheitlichen Gründen haftunfähig. Elsners rechte Hand Peter Nakowitz fasste drei Jahre (davon eines unbedingt) aus, der einstige ÖGB-Finanzchef und Bawag-Präsident Günter Weninger einen Monat bedingt. Die übrigen Mitangeklagten gingen schlussendlich frei. So auch jener Mann, der die Bawag zwischen 1998 und 2000 mittels obskurer Geschäfte um 1,4 Milliarden Euro gebracht hatte: Wolfgang Flöttl, Investmentberater. „Ich bekomme zehn Jahre und der Flöttl geht frei, das müssen Sie sich einmal vorstellen.“
Wolfgang Flöttl ist tatsächlich ein Phänomen. Immerhin hat er in Zusammenhang mit den Karibik-Geschäften gleich zwei Geständnisse abgelegt. Eines im Dezember 2000, als er gegenüber Elsner schriftlich eingestand, hunderte Millionen abredewidrig veranlagt und verloren zu haben. Er sei, wie er damals behauptete, „in Panik“ geraten (die Staatsanwaltschaft Wien, vertreten durch Chefankläger Georg Krakow, maß dem keine Bedeutung bei. Flöttl sei dazu von Elsner „erpresst“ worden. Wie überhaupt Krakow ostentativ bemüht war, Flöttl im Prozess nicht allzu hart anzufassen).

Ein weiteres Geständnis legte Flöttl im Bawag-I-Verfahren ab. Im Jänner 2008 gab er zu, dass er sich Ende 1998, also nach Eintreten der ersten Verluste, von der Bawag 90 Millionen Dollar geliehen habe, ohne sicher zu sein, dass er diese jemals zurückzahlen könne (was er auch nie tat): „Das tut mir sehr leid. Ich lege hiermit … ein volles Geständnis ab und bekenne mich schuldig hinsichtlich des Beitrages zur Untreue.“ Richterin Claudia Bandion-Ortner verurteilte ihn unter anderem auch dafür zu zweieinhalb Jahren Haft (davon 20 Monate unbedingt). Das Urteil hatte jedoch so schwere Mängel, dass es vor dem Obersten Gerichtshof zerbröselte. Was eine Neuaustragung erforderlich machte. Und in Bawag II ging Flöttl vollends frei. Das Geständnis aus dem vorangegangen Verfahren kam bei Richter Christian Böhm nicht mehr zur Sprache und hatte folglich keinerlei Relevanz (das ist von der Verfahrensordnung tatsächlich gedeckt).
Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, hätte Elsner die desaströsen Geschäfte schon 2000 öffentlich gemacht. So aber wurde er den Verdacht nie mehr los, dass die Bawag Flöttl erst immer neues Spielgeld überließ, um die Verluste anschließend zu vertuschen. „Ich hatte im Jahr 2000 keine Hinweise darauf, dass er der Bank Geld gestohlen hat.“

Hat Wolfgang Flöttl die Bawag-Millionen tatsächlich samt und sonders verspekuliert, wie Gericht und Staatsanwaltschaft nur allzu gerne glauben wollten? Oder hat er nicht doch den weitaus größten Teil auf die Seite geräumt, wie Elsner nicht erst seit heute behauptet?

profil hat in den vergangenen Jahren in mehreren ausführlichen Berichten nachgewiesen, dass an Flöttls Geschichte, an deren Ende er mittellos gewesen sein will, etwas nicht stimmen kann. Weder war Flöttl je mittellos, noch wurden die behaupteten Geschäfte je mit der gebotenen Sorgfalt rekonstruiert. Flöttls Buchhaltung war nicht auffindbar, die vorgelegten Kontoauszüge (eine Kontenöffnung fand nie statt) unvollständig, widersprüchlich auch das ominöse „Verlust audit“ aus der Feder eines eilfertigen Wirtschaftsprüfers.

Die Ärzte haben Elsner geraten, sich nicht aufzuregen. Nicht gut für das Herz, die Atemwege. Elsner regt sich an diesem Nachmittag ohne Unterlass auf. Er ist zu Pausen gezwungen, um zu Luft zu kommen. „Flöttl hat nicht veranlagt. Er hat gestohlen und es wird nicht viel weniger als eine Milliarde Euro gewesen sein.“

Dafür gibt es bis heute keinen belastbaren Beweis. Aber es gibt ausreichend Indizien, die eingehende Untersuchungen allemal gerechtfertigt hätten. Erst vor wenigen Wochen hat der Gerichtssachverständige Fritz Kleiner – seine Expertise war die eine Säule des Elsner-Urteils, Flöttls Aussagen die zweite – gegenüber profil erklärt: „Ich habe nicht feststellen können, dass Flöttl Geld gestohlen hat. Es war umgekehrt aber auch nicht festzustellen, wo das Geld nun genau hingegangen ist“ (Nr. 20/13). Oder Richterin Bandion-Ortner, die noch vor Ausfertigung des Urteils zur Justizministerin geadelt wurde. Bei der Urteilsverkündung im Juli 2008 sagte sie wörtlich: „Es gibt keinen Hinweis darauf, dass Flöttl die Millionen eingesteckt hat.“ Später relativierte sie diese Aussage: „Bei welchen Mitspielern die Gelder letzten Endes gelandet sind, lässt sich nicht sagen.“

Das passt nicht zusammen – und verspottet das Wahrheitsgebot. In einem anderen Leben würde Helmut Elsner an einem lauschigen Junitag wie diesem vermutlich irgendwo auf der Welt über den adrett gestutzten Rasen eines Golfplatzes schreiten und wäre mit sich und seiner Karriere als Bawag-Generaldirektor (1995 bis 2003) auf par. Würde, wäre. „Wie komme ich als Pensionist dazu, die Arbeit der Justiz zu machen?“

„Es geht hier um meinen Ruf”
Der Fall Bawag, oder eigentlich: der Fall Flöttl, ist zu Elsners alleinigem Lebensinhalt geworden. Die Tage in Bad Reichenhall haben ihren eigenen Rhythmus. Kardiologen, Lungenfachärzte, Schmerztherapeuten, Spaziergänge, Aktenstudium. Immer wieder. „Es geht hier um meinen Ruf. Ich will und werde beweisen, dass Flöttl gestohlen hat. Dann führt kein Weg mehr an einer Wiederaufnahme vorbei.“

Es ist ein einsamer Kampf, den er dafür umso verbissener führt. Denn in der alten Heimat ist die veröffentlichte Meinung längst zur öffentlichen Meinung geworden. Elsner? Schuldig, was sonst. Sein Verhältnis zu den Medien war nie friktionsfrei, auch zu seiner Zeit als Bawag-Generaldirektor nicht. Journalisten waren ihm mit wenigen Ausnahmen immer höchst suspekt. Umgekehrt war das nicht anders. Wenn über ihn in Österreich berichtet wird, was nicht mehr allzu oft der Fall ist, liest er online nach, auch die Postings in Foren. „Es ist kränkend, wie gehässig sich Menschen über jemanden auslassen, den sie gar nicht kennen.“

Stigma des „Skandal-Bankers“
Ob ihm bewusst sei, dass ihm das Stigma des „Skandal-Bankers“ auf Lebenszeit anhaften werde? „Wenn Flöttl erst einmal eingesperrt ist, wird sich die öffentliche Wahrnehmung korrigieren. Korrigieren müssen.“ Strafrechtlich liegt gegen Elsner nichts mehr vor. Er ist aufgrund seines Gesundheitszustandes dauerhaft vollzugsuntauglich, auch wenn ihn ein Besuch in der Wiener Eden Bar im Frühjahr 2012 beinahe wieder hinter Gitter gebracht hätte („eine ärgerliche Geschichte“). Zivilrechtlich geht es dagegen nach wie vor um viel. Bawag und ÖGB haben mehrere Schadenersatzprozesse angestrengt, die allesamt noch laufen. Allein die Bawag will zehn Millionen Euro. Umgekehrt hat Elsner im September vergangenen Jahres in den USA eine umfangreiche Klage eingebracht. Er fordert jetzt seinerseits Schadenersatz in der Höhe von 1,8 Milliarden Euro (umgerechnet 1,4 Milliarden Euro, also jener Betrag, der ihm im Bawag-Verfahren angelastet wurde). Die Liste der Beklagten ist prominent besetzt: Sozialminister Rudolf Hundstorfer als früherer ÖGB-Präsident etwa, oder OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny als früherer Bawag-Chef, Ex-Bawag-Aufsichtsrat und ÖGB-Chef Erich Foglar sowie die ehemaligen Repräsentanten des langjährigen US-amerikanischen Geschäftspartners Refco. Das New Yorker Brokeraus war 2005 kollabiert, unmittelbar nachdem die Bawag unter Führung von Johann Zwettler den notorischen „Blitzkredit“ über 350 Millionen Euro gewährt hatte. Elsner war da längst in Pension.

Wie ausführlich berichtet, wollten Bawag und ÖGB später um jeden Preis verhindern, dass die US-Justiz die überaus intensiven Geschäftsbeziehungen mit Refco-Chef Phillip Bennett (er sitzt wegen Betrugs für 16 Jahre) durchleuchtete – und schlossen daher 2006 einen Vergleich mit den Refco-Gläubigern. Die Österreicher zahlten 1,3 Milliarden Euro, die amerikanischen Behörden stellten alle Verfahren ein. Im Rahmen des „non-prosecution agreement“ bekam auch Elsner sein Fett ab. Er wurde darin als jener Mann bezeichnet, der Bennetts jahrelange Malversationen „mitorchestriert“ hatte. Was Elsner jetzt vor Gericht bekämpft. Demnächst will Richter Jeffrey K. Oing die Anwälte beider Seiten anhören und anschließend entscheiden, ob das Verfahren fortgesetzt wird. Das US-Recht ist tückisch, Überraschungen sind nicht auszuschließen.

So könnte es tatsächlich gelingen, über den Umweg USA jene Dokumente herbeizuschaffen, welche die österreichische Justiz nie wirklich interessierten. Denn auch Wolfgang Flöttl war einst Geschäftspartner von Refco und ließ die Bawag-Gelder über das Brokerhaus laufen. Elsner vermutet, dass Flöttl und Bennett hinter seinem Rücken eine große Nummer abgezogen hätten. Unter Mitwirkung des früheren Bawag-Mitarbeiters Thomas Hackl, auch er ein Buddy von Bennett. profil hat Hackls sonderbare Rolle erst jüngst beleuchtet (Nr. 20/13).

Selbstredend geht es bei all dem nicht nur um die verlorene Ehre. Geld ist ein nicht minder starker Antrieb, wenngleich Elsner darüber kein Wort verlieren will. „Wieso fragen Sie mich danach?“

Die endlosen Gerichtsverfahren haben das Haushaltsbudget nachhaltig strapaziert. Allein die Vertretung im Bawag-Prozess soll drei Millionen Euro gekostet haben, was er nicht zu kommentieren gedenkt. Als er 2003 in Pension ging, galt er als vermögend. In seiner Privatstiftung lag ein solider einstelliger Millionenbetrag (allein die vorzeitige Auszahlung seiner Pension 2000 hatte ihm 6,8 Millionen Euro gebracht), dazu das Anwesen im südfranzösischen Mougins. Doch die Vermögenswerte sind auf Betreiben der Bawag von Amts wegen seit Jahren blockiert.

„Ich möchte darüber nicht sprechen“
Wie er also seine laufenden Ausgaben bestreitet? „Ich habe Gott sei Dank Freunde, die mir helfen.“ Wer diese Freunde sind, sagt er nicht. Martin Schlaff vielleicht? Oder Josef Taus? „Ich möchte darüber nicht sprechen.“
Die österreichische Justiz, erzählt Ruth Elsner, sei bis heute unablässig damit beschäftigt, „meinen Mann und mich zu quälen“. Unabhängig vom Strafverfahren gingen auch die Kosten der Zivilprozesse mittlerweile in die Hunderttausende. „Wir haben Verfahrenshilfe beantragt, weil wir uns das nicht mehr leisten können. Aber diese wird uns immer wieder mit dem Hinweis verwehrt, wir könnten ja noch irgendwo Geld versteckt haben.“

Da sei es umso unerhörter, dass andere Leute neuerdings Kapital aus dem Namen Elsner schlügen. „Erst kürzlich ist in den Seitenblicken eine junge Künstlerin aufgetreten, die behauptet hat, sie hätte bei einem Altwarentandler eine Minibar in Form eines Erdballs erstanden, die früher meinem Mann gehört hätte. Dabei haben wir so ein Ding nie besessen. Das müssen Sie sich einmal vorstellen.“

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.