Kinder und Hunde

Kinder und Hunde: Bodo Hell feiert 70. Geburtstag

Literatur. Der Wiener Poesie-Performer Bodo Hell wird 70

Drucken

Schriftgröße

Bodo Hell ist schwer zu fassen. Seit mehr als drei Jahrzehnten flüchtet der Autor alljährlich um die Sommersonnenwende aus der Stadt ins alpine Hochland. Als Senner und Schäfer bewirtschaftet er die auf 1783 Metern über Meeresniveau gelegene Grafenbergalm im östlichen Dachsteinplateau, monatelang einzig in Gesellschaft von Ziegen, Pferden, Rindern. Seit damals treibt Hell auch sein bis heute schmales Werk mit seltener Konsequenz voran. Mit poetischen Interventionen wie „Dom Mischabel Hochjoch“ (1977), jenem Erzählband, mit dem er nach Orgelspielstudien und diversen Gelegenheitsjobs als Autor debütierte, und „Tracht : Pflicht“ (2003) erschrieb er sich einen exzellenten Ruf, der über den engen Zirkel der Literatur jedoch selten hinausgetragen wurde. Überraschend telegen erwies der Autor sich dagegen 2006 im Rahmen des Klagenfurter Bachmann-Wett­lesens: Seinen preisgekrönten Vortrag begleitete Hell damals mit Maultrommelspiel und Sprachlautkaskaden.

„Ich feiere im Grunde meinen 140. Geburtstag“
Am 15. März wird der Schriftsteller 70. Mit einem Reigen an
Veranstaltungen wird Hell, der im Bildgedächtnis der österreichischen Literatur als Mann mit Hut­schmuck und trachtenähnlichem Gewand verankert ist, gefeiert – das Wien Museum am Karlsplatz veranstaltet ebenso einen Abend für den Jubilar wie das benachbarte Künstlerhaus (siehe Kasten). „Ich werde dabei nicht im Mittelpunkt stehen“, sagt Hell und lässt, wie so oft, dazu leises Kichern hören: „Die Ausstellung am Karlsplatz nennt sich ‚Horror vacui‘, und sie präsentiert 80 künstlerische Positionen zu meiner Arbeit.“ Um zu verhindern, dass die Stimmung bei den Feierlichkeiten allzu sehr ins Gravitätische kippt, hat Hell vorsorglich eine „Taufscheinirrtumskantate“ arrangiert. Er habe sein Leben ohnehin zweimal gelebt, in der Ebene und am Berg. „Ich feiere im Grunde meinen 140. Geburtstag.“

Dass sich Leben und Schreiben Bodo Hells nicht leicht unter einen Hut bringen lassen, dürfte viel mit dessen Poesiekonzept zu tun haben – wenn es bei diesem Autor überhaupt so etwas gibt. Für Hell zählt der offene Werkbegriff, in der Liste seiner Arbeiten finden sich Sprech- und Rhythmustexte, filmische und fotografische Untersuchungen, Radio- und TV-Features und Wahrnehmungsexerzitien über Autobuslinien, christliche Heilige, Dichterkolleginnen und Totenmasken. Die Realität spielt bei dem poetischen Feldforscher und Ausspäher des Abseitigen eine wichtige Rolle; auf narrative Geschlossenheit, die auf einen nacherzählbaren Plot zielte, verzichtet Hell. Ein hartnäckiges Vorurteil besagt, dass Bodo Hell zumeist Texte veröffentliche, die es dem Leser nicht leicht machten und vorzugsweise Arbeitsgrundlage seminaristischer Vertiefung seien. Das Gegenteil ist der Fall: Mit Schmäh und Schalk, die aus der Sache selbst entstehen, nähert sich Hell seinen Themen, die viel mit Weltdechiffrierung und Zeiterkundung zu tun haben. „es weint der weg in mir“ entblößt er etwa Myriaden von esoterischen Weg-Ziel-Phrasen, auf bloßes „Poeseln“ (Robert Musil) war Hell nie aus. Natürlich ließ er auch seine im Predigtton gehaltene „Rede unterm Himmel“ anlässlich der Staatsfeiertagsfeiern im vergangenen Jahr virtuos verplappert beginnen: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kinder und Hunde.“

Infobox
Hellhören. Hellsehen. Helllesen
Am 16. März steigt im Porgy & Bess (Riemergasse 11, 1010 Wien, ab 20.30 Uhr) die „Lange Nacht des Bodo Hell“: Freunde und Weggefährten musizieren, rezitieren, psalmodieren, memorieren, gratulieren. Die Ausstellung „Horror vacui“ (Künstlerhaus, Karlsplatz) öffnet vom 13. bis 18. März ihre Pforten. Als Jubiläumsschrift erscheint in Hells langjährigem Stammverlag Droschl der Band „Omnibus“ (247 Seiten, EUR 22,–), der neben vielen beinahe schon klassischen Texten des Autors auch „Laudationes“ – Lob- und Preisreden auf Bodo Hell – und etliche wissenschaftliche Kommentare umfasst. Beim „Abend für Bodo Hell“ im Wien Museum (21. März, ab 20 Uhr) wird neben Anne Bennent und Friederike Mayröcker ein weiterer besonderer Gast erwartet, der mit einem von Hells nach wie vor bekanntesten Texten („Linie 13A, Stadtschrift“) in engem Zusammenhang steht – ein alter, doppelstöckiger 13A-Bus soll vor dem Museum parken.

Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.