Der neue Hauptbahnhof wird eine Enttäuschung

Kleiner Bahnhof: Der neue Hauptbahnhof wird eine Enttäuschung

Wien. Keine U-Bahn, keine Rollbänder, keine Wartehalle

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Ein Ort des Fernwehs und des Abschieds, ein großer Bahnhof wird das nicht. Trotz Kosten von einer knappen Milliarde Euro für das gesamte Bauprojekt, die Erlöse aus Liegenschaften, die aber auch erst zu 40 Prozent verkauft sind, sind davon schon abgezogen.

Anfangs war noch von einem neuen „Zentralbahnhof“ oder „Bahnhof Europa Mitte“ die Rede. Um diese pompöse Namensgebung ist es vor etwa eineinhalb Jahren still geworden. Von Planungsphase zu Planungsphase wurde die Fläche für den Bahnhof kleiner und die für Wohnungen, Firmenzentralen und Gewerbebetriebe größer.

Die Verantwortlichen bei den Österreichischen Bundesbahnen und im Infrastrukturministerium haben sich früh dafür entschieden, den neuen Durchzugsbahnhof – der im Gegensatz zum abgerissenen Kopfbahnhof keine Verschubfläche benötigt – möglichst klein zu halten, um die Liegenschaften in dem weitläufigen Gelände vom Ausmaß des achten Wiener Gemeindebezirks möglichst gewinnbringend zu verkaufen. Hinter dem kleinen Bahnhof erstreckt sich nun das eigentliche Stadtentwicklungsprojekt: Wohnungsanlagen, Firmenzentralen, Hotels, Gewerbebetriebe, ein Park, eine Schule, ein Kindergarten.

Laut jüngstem Bericht des Rechnungshofes ist es freilich mit dem Immobiliengeschäft nicht besonders gut gelaufen. Die Prüfer beanstanden, dass gemessen an den gewaltigen Abbruchskosten, die die ÖBB übernahmen, zu billig verkauft wurde.

Dem neu entstehenden Stadtteil ist auch eine direkte U-Bahn-Anbindung an den Bahnhof zum Opfer gefallen. Eine Verlegung der U1-Station an den neuen Hauptbahnhof hätte 250 Millionen Euro verschlungen und erschien zu teuer. Wäre man stattdessen mit dem neuen Bahnhof näher an die U1 herangerückt, hätten zwei Gemeindebauten geschleift werden müssen, wogegen die Wiener Einspruch erhoben. Auch die projektierte Verlängerung der U2 in den Süden fährt provozierend weit am neuen Bahnhof vorbei. Indirekt wirft der Rechnungshof dem damaligen Verkehrsminister und heutigen Bundeskanzler Werner Faymann vor, er habe sich damals, 2007, als er mit der Gemeinde Wien den Vertrag über die vierte Ausbaustufe des U-Bahn-Baus unterschrieb, über den Tisch ziehen lassen.

Von der Plattform eines 60 Meter hohen Holzturms aus, der – in einigen Wochen mit einem Aufzug versehen – die Wiener Bevölkerung über die Fortschritte am Bau informieren soll, blickt man derzeit auf eine riesige Wunde im Erdreich. In der diesigen, mit Staub gefüllten Mittagshitze scheint das gigantomanische, 109 Hektar umfassende Baustellengelände bis zum Horizont zu reichen. Auf einem verschwindend kleinen Teil davon wird in vier Jahren der neue Hauptbahnhof stehen, so wie er von einem Reisenden wahrgenommen wird: links und rechts von zwei 80 Meter hohen Türmen flankiert, in denen sich Shoppingmalls und Bürogebäude befinden, das eigentliche Bahnhofsgebäude auf einer Fläche von gerade einmal 7200 Quadratmetern, verteilt über drei Etagen.

Shopping.
Über ein Entree an der Seite des Gürtels gelangt man in die so genannte Verteilerhalle, 115 Meter lang und 25 Meter breit, die zu den Perrons hinaufführt und mehr einer Einkaufspassage ähnelt als einer Bahnhofshalle. Wäre es nach den ersten Entwürfen der ÖBB gegangen, wäre sie noch schmäler ausgefallen. Beharrliche Verkehrs- und Raumplaner haben das Schlimmste verhindert.

Auch im Stockwerk darunter, in das die Durchgänge von der U1-Station Südtiroler Platz münden, werden sich die Reisenden, schweres Gepäck tragend, zwischen Bäckereien, Imbissläden und Fahrkartenschaltern drängen.

Rollbänder wird es keine geben.
Weder auf dem Weg von der U-Bahn in die Halle noch in den Hallen selbst. Vonseiten der Gemeinde Wien heißt es, das hätte sich nicht ausgezahlt, weil die Strecken für Rollbänder zu kurz seien und in den sechs Meter breiten Durchgängen auch gar kein Platz gewesen wäre. Raumplaner, die nicht genannt werden wollen, sagen, die Rollbänder seien am Geschäftsinteresse gescheitert. „Potenzielle Ladenbesitzer wollen nicht, dass die Reisenden rasch vorbeigeschleust werden.“

Auf dem Perron wird es ebenfalls ungemütlich. Zwei von zehn Gleisen sind für den Güterverkehr reserviert, dessen Züge voll beladen zum neuen Frachtenbahnhof am Matzleinsdorfer Platz durchgeführt werden, mit den entsprechenden Gefahrenquellen. Die Bahnsteige selbst, an denen beidseitig Züge andocken, aus denen Fahrgäste ein- und aussteigen, sind relativ schmal gehalten. Aus einem Gutachten des Österreichischen Instituts für Raumplanung geht hervor, dass die Bahnsteige einen „hohen Servicelevel“ nur dann erreichen, wenn jeweils bloß ein voll besetzter Zug am Bahnsteig ankommt und niemand am Perron wartet. Bei zwei zur selben Zeit ankommenden Fernzügen, bei denen noch viele Personen zusteigen oder abgeholt werden, befinde man sich schnell an einer „unzumutbaren“ Grenze. Großes Gedränge ist zu befürchten. Mit Staus an den Abgängen sei bei Ankunft eines voll besetzten Zuges, der den Hauptbahnhof zum Zielbahnhof hat, auf jeden Fall zu rechnen. „Die Simulation der Fahrgastströme zeigt, dass Rolltreppen und Stiegen den entscheidenden Engpass darstellen.“

Dass Reisende, die von Wien aus in ferne Länder wollen, Hürden überwinden müssen, hat hierzulande eine gewisse Tradition. „Nach Ägypten wär’s nicht so weit. Aber bis man zum Südbahnhof kommt!“, stöhnte schon der Dichter Karl Kaus. Lange Zeit war Reisen ein Luxus der Reichen, die mit der Droschke vorfuhren. Auf eine Pferdetramway zum Bahnhof mussten weniger Begüterte jahrzehntelang warten.

Knapp vorbei.
In der Zweiten Republik wurde die U1 im Jahr 1961 am Südbahnhof knapp vorbeigeführt. Der sozialdemokratischen Stadtverwaltung waren die Favoritner wichtiger als die Pendler aus dem Süden oder Osten Wiens. Heute ist das Pendleraufkommen im Vergleich zu den fünfziger Jahren freilich zehnmal so groß.

Der neue Bahnhof liegt näher an der U1 als der alte Südbahnhof. Doch wird man auch in Zukunft einen Fußweg von sechseinhalb Minuten zurücklegen müssen.

Nach Berechnungen von Stadtplanern wird die U1 in Spitzenzeiten das höhere Personenaufkommen selbst bei einem erhöhten Intervall von zweieinhalb Minuten nicht bewältigen können.

Als Alternative zur U-Bahn stehen am Hauptbahnhof allerdings acht Schnellbahnen, drei Straßenbahnen und drei Buslinien zur Verfügung.

Mit Gedränge wird man Prognosen nach in der U6 rechnen müssen. Jeder, der nicht mit einem Bummelzug anreist, fährt in Zukunft über die Südbahn in die Stadt. In Wien Hütteldorf kann er nicht mehr umsteigen, da der Zug schon vorher im Lainzer Tunnel verschwindet. Die erste Möglichkeit, mit einer U-Bahn ins Zentrum zu kommen, ist die U6 in der Station Meidling, an die ab 2012 auch die Regionalzüge vom Westbahnhof angebunden werden. Doch die U6 ist von ihrer Anlage her nicht in der Lage, in verdichteten Intervallen zu fahren.

Privilegierte Bedingungen hat sich die Erste Bank, die an der Stelle der alten Bahnhofshalle ihre Europazentrale errichtet, herausgeschlagen. Die ÖBB verpflichteten sich 2006 vertraglich, einen neuen Aufgang der Schnellbahnstation Südbahnhof oder eine Schwebebahn zu bauen, was der Rechnungshof heftig kritisiert. „Die Verknüpfung wichtiger Infrastrukturentscheidungen mit privatrechtlichen Verträgen ist problematisch, da sich dadurch Zwangslagen ergeben.“ Die 50 Millionen teure Schwebebahn wird wohl doch nicht kommen. Im vorwöchigen Verkehrsausschuss des Parlaments wurde ein Antrag der Grünen, auf die Schwebebahn zu verzichten, allerdings vertagt. Offiziell heißt es, man habe für eine Entscheidung Zeit bis in den Herbst. Reisende werden den Cable Liner, der eine viel zu geringe Kapazität in Stoßzeiten hätte, nicht vermissen.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling