Österreichs EU-Politik wird zur Lachnummer

Lachnummer: Kopfschütteln in Brüssel nach mühseliger Kür von Johannes Hahn

Kopfschütteln nach mühseliger Kür von Hahn

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Am vergangenen Donnerstag lud Noch-Wissenschaftsminister Johannes Hahn einen kompetenten Ratgeber in sein Büro auf dem Minoritenplatz. Der ehemalige EU-Kommissar Franz Fischler informierte seinen Nach-Nachfolger über wichtige Weichenstellungen. So sollten in Hahns künftigem siebenköpfigem Kabinett nicht mehr als drei Österreicher sitzen. Wichtig sei es, Experten aus anderen Generaldirektionen der EU-Kommission vor allem für Wirtschaftsthemen zu engagieren. „Schließlich muss ich als EU-Kommissar in allen Bereichen mitentscheiden“, erklärte Hahn nach dem Treffen mit Fischler.

Im Gespräch mit profil nannte Fischler „Gelassenheit“ als wichtigsten Rat für Hahns Arbeit in Brüssel. Und wie sollte Hahn mit Interventionswünschen aus Österreich umgehen? „Am besten so, wie ich es gehalten habe“, feixte Fischler, der Zurufe aus Wien gerne überhört hatte. Hahn hätte schon früher Grundwissen über die EU büffeln sollen. Dann wäre er vielleicht nicht gleich ins erste Fettnäpfchen gestiegen, indem er erklärte, er werde als EU-Kommissar weiterhin ÖVP-Chef von Wien bleiben können. Dezent wies der Chefsprecher der Kommission den Neuling darauf hin, ein solches Parteiamt sei mit dem Job als EU-Kommissar unvereinbar.

„Leider ist Hahn schlecht gestartet“, kritisierte der frühere ÖVP-Chef Erhard Busek die Panne. „Das wird ihm im Europäischen Parlament noch Schwierigkeiten machen. Wenn wir in der Folge das bedeutungslose Bildungsressort bekommen, sind wir selbst schuld“. Der Bestellung des neuen EU-Kommissars aus Österreich ging eine ganze Serie von Pleiten, Pech und Pannen voraus. „Wir haben uns total blamiert“, klagte ein österreichischer EU-Diplomat verbittert. „Wir schicken jetzt einen vom Koalitionsstreit angepatzten EU-Kommissar nach Brüssel und haben obendrein den Kommissionspräsidenten Barroso verärgert. Zur Strafe könnten wir ein bedeutungsarmes Ressort kriegen.“

Die Kür des EU-Kommissars war in Österreich tatsächlich zur peinlichen Posse geraten. Statt über den bestgeeigneten Kandidaten zu entscheiden, wurden die Konflikte zwischen Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler Josef Pröll in aller Öffentlichkeit ausgetragen. Schlimmer noch: EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso wurde bei seinem Besuch in Wien in den innenpolitischen Streit hineingezogen. Barroso habe Österreich das Agrarressort fix versprochen, hieß es aus dem Büro von Pröll. Tatsächlich hatte Barroso gar nichts versprochen – der Finanzminister hatte bloß versucht, doch noch seinen Lieblingskandidaten, den agraraffinen Wilhelm Molterer, durchzuboxen.

Bundeskanzler Faymann wiederum sprach sich plötzlich für eine zweite Amtsperiode für Benita Ferrero-Waldner aus – wohl nicht wirklich aus echter Wertschätzung als vielmehr, um Molterer zu verhindern und die ÖVP zu ärgern. Dass Barroso tatsächlich Ferrero-Waldner gerne für eine zweite Amtszeit in seinem Team gehabt hätte, beeindruckte wiederum Pröll nicht.
Das Duell zwischen SPÖ und ÖVP endete mit einem Kompromiss, der am vergangenen Dienstag beim üblichen Frühstück von Faymann und Pröll vor dem Ministerrat paktiert wurde. Hahn, der mit den anderen Ministern im Sitzungssaal wartete, wusste erst beim Eintreffen von Kanzler und Vizekanzler, dass er nach Brüssel übersiedeln muss. „Als ich Faymann mit ausgestreckter Hand auf mich zukommen sah, war mir klar: Das kann nur einen Grund haben“, so Hahn. Unklar bleibt, welches Ressort er von Barroso zugeteilt bekommen wird. Die Entscheidung soll bei einem EU-Sondergipfel in der zweiten Novemberhälfte fallen.

Farblos. Das Dossier Wissenschaft und Forschung hat bisher der Slowene Janez Potocnik geleitet, der für eine zweite Amtszeit in Brüssel bleiben wird, gern auch als Forschungskommissar. Insider in Brüssel befürchten nun, dass Barroso Hahn das Ressort Bildung und Kultur zuteilen könnte – eines der unbedeutendsten Dossiers, da die Kompetenzen dafür hauptsächlich den Mitgliedsländern verbleiben. Jan Figel, der slowakische Politiker, der dieses Amt bisher innehatte, galt als einer der farblosesten EU-Kommissare. Kulturschaffende und Bildungsexperten erinnern sich mit Schrecken an einen Auftritt Figels während der österreichischen EU-Präsidentschaft 2006 in Salzburg. Dort musste Figel bei jeder zweiten Frage darauf verweisen, dass nicht er, sondern die Kultusminister in den EU-Hauptstädten zuständig seien.

Hahn selbst sieht im Gespräch mit profil das Bildungsressort als durchaus ausbaufähig an. „Man kann dort für die europäische Idee sicher viel bewerkstelligen. Trotz der nationalen Kompetenz für das Bildungswesen gibt es ja viele europäische Programme – vom Studentenaustausch bis zum ­lebenslangen Lernen.“ Ferrero-Waldner hatte dagegen signalisiert, im Falle einer zweiten Amtszeit einige Ressorts unter gar keinen Umständen übernehmen zu wollen, darunter Bildung und Kultur. In der ÖVP verstärken sich daher Sorgen, Faymann könnte sich zu wenig für ein gewichtigeres Ressort einsetzen. Denn dieser machte beim EU-Gipfel in Brüssel am vergangenen Freitag klar, dass er bei der Bestellung von Top-Positionen Namen wie Wolfgang Schüssel oder Alfred Gusenbauer nicht gehört habe. Und musste sich prompt von Journalisten fragen lassen, warum er denn selber nicht diese oder andere Österreicher ins Spiel gebracht habe.

Defizite. „Es ist äußerst unerfreulich, wie sehr man europapolitische Notwendigkeiten mit kurzsichtigem innenpolitischem Geplänkel verwechselt hat“, kritisierte der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Markus Beyrer. Gerade wegen der Finanzkrise sei der Kampf um die Wettbewerbs­fähigkeit der EU vorrangig, dafür seien die „besten Köpfe“ in Brüssel notwendig. Beyrer: „Da wäre Wilhelm Molterer ein hervorragender Kommissar gewesen. Jetzt weiß der Kommissionspräsident: Von Österreich wird in Zukunft nicht allzu viel Druck zu erwarten sein, wenn sich die Regierung schon bei der Nominierung des EU-Kommissars streitet.“

Die grüne Europaabgeordnete Ulrike Lunacek glaubt, dass nur Ressorts für Wirtschaft, Klima und Energie „eine Mitgestaltung in den wichtigsten Zukunftsfragen“ zulassen würden. Bei den Anhörungsverfahren im Europäischen Parlament werde Hahn zudem kritische Fragen zu seinem Vorhaben, aus dem Forschungsprojekt CERN auszusteigen, beantworten müssen. Dass ausgerechnet ein Kommissar aus Österreich für nukleare Forschung zuständig sein könnte, stört Hahn nicht. „Da geht es hauptsächlich um Reaktorsicherheit, wo wir uns ja immer eingebracht haben. Beim Programm ITER wird die Kernfusion erforscht, also eine andere unumstrittene Technologie.“

Die mühselige Kommissarswahl reiht sich in eine lange Liste von Defiziten in der heimischen Europapolitik. Schon 1995 sorgten heimische Bräuche für Gelächter. Damals gab es bei der Besetzung von höheren EU-Posten peinliche Proporzlisten mit jeweils einem roten und schwarzen Kandidaten. Für das später für österreichische EU-Beamte reservierte Aufnahmeverfahren („Concours“) meldeten sich viel zu wenig Kandidaten an. Die Regierung hatte die Meldefrist für die Prüfung absichtlich geheim gehalten, um Konkurrenten für die von Parteien nominierten Kandidaten abzuhalten.

Das ehrgeizige Ziel eines atomenergiefreien Mitteleuropas musste rasch aufgegeben werden. Beim Lkw-Verkehr gelang es nicht, eine nennenswerte Verlagerung auf die Schiene zu erreichen. Der Transitvertrag lief 2004 ohne Nachfolgeregelung aus. Bei der Gentechnik wurde zu lange auf nationale Alleingänge gesetzt. Erst spät gelang ein Schulterschluss mit anderen Ländern, womit heuer im Frühjahr ein drohendes Verfahren der EU-Kommission gegen Österreich abgewendet werden konnte.

Beim Konflikt mit der EU-Kommission um den freien Hochschulzugang schaffte es Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer nicht, die Folgen des ungehinderten Zustroms aus Deutschland klarzumachen. Er erreichte bloß ein auf fünf Jahre befristetes Moratorium. Ironie: Künftig könnte ausgerechnet Hahn als zuständiger EU-Kommissar gezwungen sein, Österreichs Sonderwünsche abzulehnen. Und beim Bankgeheimnis setzte Österreich selbst dann noch auf Widerstand, als die letzten Verbündeten wie Belgien oder Luxemburg längst einlenkten.

Generell wurde von Österreichs Politikern oft ein EU-Prinzip missachtet, nämlich sich rechtzeitig Verbündete für nationale Anliegen zu sichern. Seit den Sanktionen der EU-Partner gegen die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2000 werde Österreich den Ruf eines alpinen Eigenbrötlers nicht los, weiß der Europarechtsexperte Waldemar Hummer von der Universität Innsbruck. „Man spricht in Brüssel sogar schon von einer ‚österreichischen Lösung‘.“ Der zweifelhafte Ruf bewirke bereits, dass Entscheidungsgremien der EU „im Bedarfsfall Interessen Österreichs nicht ausreichend berücksichtigen“. Erhard Busek beklagt die „Absenz der österreichischen Regierung in der EU“. Es fehle an Initiativen. „Wenn Österreich nicht weiß, was es mit der EU anfangen will, dann werden wir auch nichts davon haben. Nicht die EU ist schuld an der kritischen Stimmung, sondern die handelnden Politiker.“

Mitarbeit: Josef Barth