One and a Half Men

ORF. Wie sich Wrabetz mit Fügsamkeit und Geschick eine zweite Amtszeit als Generaldirektor sicherte

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Angriffe kann man abwehren, gegen Lob ist man bekanntlich machtlos. Alexander Wrabetz dürfte das wissen. Zum Abschluss des Berichts des ORF-Generaldirektors vor dem ORF-Stiftungsrat am 30. Juni vermerkt das Sitzungsprotokoll: „Beifall.“ Das Wort ergreift Nikolaus Pelinka, Chef des SPÖ-Freundeskreises im ORF-Aufsichtsgremium. Originalzitat aus dem Protokoll: „Pelinka gratuliert dem Generaldirektor sehr herzlich zu diesem Bericht. Er habe ihn sehr beeindruckend gefunden. Er empfehle ihm auch, öfter solche Videoeinspielungen in die Präsentation einzubauen, weil sie diese sehr eindrücklich machten, da man ja doch der Stiftungsrat eines Medienunternehmens sei.“

Der Jugend gehört die Zukunft, dem 24-jährigen Pelinka im ORF sogar die Gegenwart. Wenn Dienstag dieser Woche der Stiftungsrat im Sitzungssaal des ORF-Zentrums in der Wiener Würzburggasse zusammentritt, ist es für Pelinka und Wrabetz gleichermaßen ein Freudentag. Mit einfacher Mehrheit – zumindest 18 von insgesamt 35 Stimmen – wird Wrabetz für weitere fünf Jahre zum ORF-Generaldirektor gewählt werden. Regie: Nikolaus Pelinka. Produktion: Laura Rudas nach einer Idee von Werner Faymann.

Die Leistung des 51-jährigen Wrabetz ist bemerkenswert:
In der Geschichte des ORF gelang es zuletzt Gerd Bacher zwischen 1978 und 1986, sich im Amt zu halten. Damals war der Monopolist ORF die „größte Medienorgel des Landes“ (Bacher). Im Satelliten-Digitalzeitalter mit Hunderten Kanälen kämpft der alte und neue ORF-Boss um die Existenzberechtigung des Nationalsenders. Der fügsame Überlebenskünstler von roten Gnaden muss nun beweisen, nicht nur die eigene Karriere, sondern auch den ORF reanimieren zu können.

Bis zuletzt hatte die ÖVP versucht, einen Gegenkandidaten für Wrabetz zu rekrutieren. Doch das schwarze Headhunting blieb erfolglos – eine krachende Niederlage. Zu lang hatte die ÖVP unter dem Kommando von Klubobmann Karlheinz Kopf auf RTL-Boss Gerhard Zeiler gesetzt. Nach dessen Absage (profil 23/2011) fehlte der ÖVP, was in jedem Strategie-Vademecum als unverzichtbar gilt: ein Plan B. Alternativkandidaten wie der Ex-Chef der Telekom Austria, Boris Nemsic, und der frühere Geschäftsführer des Holtzbrinck-Verlags, Michael Grabner, sagten ab. In ihrer Notwut erwogen schwarze Hardliner sogar radikale Trotzreaktionen: Der einzige ÖVP-Verbinder in der aktuellen ORF-Geschäftsführung, Finanzdirektor Richard Grasl, könnte abgezogen, der marode ORF Wrabetz und der SPÖ überlassen und im Gegenzug ein Volksbegehren gegen eine Erhöhung der ORF-Gebühren gestartet werden.

Doch die besonnenen Kräfte setzten sich durch. Einige der zwölf schwarzen Stiftungsräte dürften am Dienstag Wrabetz wählen. Im Gegenzug rechnet man mit Entgegenkommen des ORF-Generals bei Personalbesetzungen in der Rundfunkzentrale und den Landesstudios. Bis September muss Wrabetz sein Vorstandsteam nominieren. Fixstarter sind Karl Amon als Hörfunk- und Richard Grasl als Finanzdirektor.

Technikvorstand wird aus heutiger Sicht der ORF-Betriebsrat Michael Götzhaber – mit kleinem Schönheitsfehler: Götzhaber ist selbst Stiftungsrat und stimmt damit am Dienstag auch über sein eigenes Schicksal ab. Der bisherige Online-Direktor Thomas Prantner behält operativ seinen Job, wird aber im neuen, um zwei Vorstandsposten abgeschlankten ORF-Organigramm stellvertretender Leiter der Technik- und Online-Direktion. Als Favoriten für den Posten des TV-Direktors, der künftig Unterhaltung und Information leitet, wurden Ingrid Deltenre, Direktorin des Dachverbands der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten EBU, und die WDR-Fernsehdirektorin Verena Kulenkampff gehandelt. Außenseiterchancen haben die ORF-Journalistinnen Waltraud Langer und Ingrid Thurnher sowie Kathi Zechner. Die Wahl der Intendatin der Vereinigten Bühnen Wien hätte aus Wrabetz’ Sicht einen angenehmen Nebeneffekt: Zechner gilt als Vertraute von Gerhard Zeiler, dessen Sympathisanten damit ein wenig versöhnt wären.

Zwischen Parteien und ORF ist Dankbarkeit eine politische Kategorie. Und so werden in den kommenden Jahren ein formal starker Mann, Wrabetz, und ein real zumindest halbstarker, Pelinka, die Geschicke des ORF bestimmen: „One and a Half Men“ auf dem Küniglberg. Denn trotz Dementis gilt es als nahezu fix, dass Pelinka nach einer Cooling-off-Phase in einflussreicher Funktion in der ORF-Führung eingebettet wird. Selbst wenn es Wrabetz nicht wollte – zu sehr steht er in der Schuld des SPÖ-Chefs Werner Faymann und dessen ORF-Verweserin Laura Rudas. Ohrenzeugen überrascht regelmäßig der resolute Umgangston der SPÖ-Bundesgeschäftsführerin gegenüber dem Chef des bedeutendsten Medienunternehmens des Lands: „Alex, damit sind wir nicht zufrieden“; „Alex, so haben wir das nicht ausgemacht“; „Alex, das hätten wir uns anders erwartet“. Nikolaus Pelinka erzählt in kleinem Rahmen gern, der ORF-General stimme Einladungslisten zu Polittalks mit ihm ab. So jung Faymanns „Politsäuglinge“ (Gerd Bacher) auch sind, so wenig zimperlich gehen sie vor. Potenzielle Gegenkandidaten zu Alexander Wrabetz wurden mit Hinweis auf negative Karriereentwicklungen unter Druck gesetzt, Gerhard Zeiler, Sekretär in den Kanzlerkabinetten von Fred Sinowatz und Franz Vranitzky, wurde gar als schwarz-blauer Amtsdiener denunziert.

Als hilfreich für Wrabetz erwies sich, dass der General seit der Abwahl Elmar Oberhausers im November 2010 in Personalunion auch Infodirektor ist. Vor allem im TV-Flaggschiff „ZiB 1“ häuften sich Deckungsgleichheiten zwischen Berichterstattung und roten Bedürfnissen. Ein von der Redaktion zunächst ignorierter Kanzler-Termin beim Visegrad-Treffen europäischer Regierungschefs ging nach SPÖ-Intervention mit Verspätung doch noch über den Äther. Drohten Banker im ORF mit der Überwälzung der von der SPÖ durchgesetzten Bankenabgabe auf die Konsumenten, wurden krampfhaft gegenteilige Stellungnahmen gesucht und in Beiträge nachmontiert. Vor, während und nach diversen EU-Gipfeln zur Eurokrise kam Werner Faymann auch bei News-Mangel stets umfangreich zu Wort. Die atemberaubende Kehrtwende der SPÖ beim Thema Wehrpflicht fand medial, abgesehen von der „Kronen Zeitung“, nur im „ZiB 1“-Kommentar anerkennendes Lob.

Unerschrockener im Umgang mit den SPÖ-Machthabern agiert die „ZiB 2“-Redaktion. Und auch das Magazin „Report“ gilt in der roten Freund-Feind-Kennung als Widerstandsnest. Die Folge: Seit Jahren weigert sich Werner Faymann, dem „Report“ ein Live-Interview zu geben. Und auch Einladungen ins „ZiB 2“-Studio werden seit Jänner ignoriert.

Alexander Wrabetz nimmt Kritik cool:
„Ich kenne keine Interventionsfälle. Aber wenn es in neun Monaten meiner Tätigkeit als Informationsdirektor bei mehr als 3500 Informationssendungen selbst in der Gerüchteküche nicht mehr als zwei oder drei behauptete und nicht verifizierte Fälle gibt, zeigt das schon, dass hier alles sehr sauber abläuft.“ Dass seine beeindruckendste Managementleistung die Karrierefortsetzung sei – selbst die SPÖ wollte ihn vor zwei Jahren ablösen –, bucht Wrabetz zumindest öffentlich nicht aufs Erfolgskonto: „ORF-Generaldirektor zu sein ist kein Selbstzweck. Das Wichtigste war in den vergangenen Jahren, das Unternehmen solide in die Marktöffnung und durch die Weltwirtschaftskrise geführt zu haben.“

Tatsächlich gelang es Wrabetz, den ORF zu stabilisieren. In den vergangenen Jahren zog er mit Finanzdirektor Grasl ein rigoroses Sparprogramm durch. Die Mitarbeiterzahl – bei Amtsantritt 3700 – wurde um 500 verringert. Im Generaldirektoren-Wahlkampf zappte der ORF-Boss freilich von Spar- auf Spendermodus. Bis Mitte 2012, so Wrabetz’ Signal gegenüber den Betriebsräten im Stiftungsrat, werde der laufende Personalabbau abgeschlossen, dann müsse man wieder „neue Leute an das Unternehmen heranführen und binden“.

Will er den ORF nachhaltig sanieren, wird Wrabetz derartige Wahlversprechen brechen müssen. Denn der ORF ist alles andere als nachhaltig saniert. Aufgrund der hohen Inflation drohen schon in den kommenden Jahren Fehlbeträge von bis zu 50 Millionen Euro jährlich. Wrabetz’ Gegenrezepte: längere Werbezeiten, Aufweichung von Werbebeschränkungen, Steigerung der Programmentgelte, dauerhafte Gebührenrefundierung. In Wirklichkeit sind dies fromme Wünsche – selbst die SPÖ signalisierte bereits Ablehnung.

Das Kerngeschäft des ORF entwickelte sich zuletzt so erfreulich wie das Sommerwetter. Im Juli landete der ORF mit einem Marktanteil von 33,4 Prozent auf einem historischen Tiefpunkt. Gerechnet aufs erste Halbjahr, pendelte sich der ORF mit 38,1 Prozent knapp unter dem Vorjahreswert (39,2 Prozent) ein. Die TV-Information konnte aufgrund weltbewegender Ereignisse wie der Revolution in Ägypten und der AKW-Katastrophe in Fukushima sogar ein Quotenplus verzeichnen.

Laut Beschwerden aus dem ORF sei es freilich mühsam gewesen, derartige Sondersendungen gegen die von Wrabetz unterstützten Programmplaner um Hauptabteilungsleiter Werner Taibon durchzusetzen, die im Zweifel den Quotenerfolg von US-Comedys über den öffentlich-rechtlichen Auftrag stellen. Nachdem etwa die Privatsender ProSieben und ATV den Publikumsheuler „Two and a Half Men“ („Mein cooler Onkel Charlie“) im Hauptabendprogramm ausgestrahlt hatten, platzierte auch der ORF die US-Serie in der Samstags-Primetime auf ORF eins – Titel einer Folge vorvergangene Woche: „Der kleine Furzmeister“.

Die Hungerkatastrophe in Ostafrika schaffte es trotz entsprechender Überlegungen abseits der Nachrichten nicht ins Hauptabendprogramm. Die im März gefeierte Neuprogrammierung des Dienstagabends in ORF eins mit Dating-Soap, peppigem Magazin und angriffigem Talk wurde nach nur einem Monat rückgängig gemacht – ein Nachhall der gefloppten großen Programmreform 2007. Eigenproduktionen wie eine geplante „Menschen & Mächte“-Folge zum Thema „Umbruchsjahr 1986“ (Waldheim-Wahl, Jörg-Haider-Machtübernahme, Amtsantritt Kanzler Vranitzky) werden kurzfristig gecancelt. Und Zukäufe vom TV-Markt gestalten sich aufgrund der klammen ORF-Kassen immer schwieriger. So schnappte der finanzstarke Neuling Servus TV dem ORF zuletzt so manche Dokumentation vor der Nase weg.

In schwarzen Rundfunkreihen hat man sich mit dem Start-Ziel-Sieg von Alexander Wrabetz abgefunden – und arbeitet bereits an dessen struktureller Entmachtung. In einem APA-Interview forderte der Leiter des ÖVP-Freundeskreises im ORF-Stiftungsrat, Franz Medwenitsch, die Abschaffung der Alleingeschäftsführung durch den Generaldirektor und die Aufwertung der Direktoren: „Bei einem Konzern mit Tausenden Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von einer Milliarde Euro ist das heutige Prinzip nicht die beste Lösung.“ Eine wohl unbeabsichtigte Ironie: Ein allein geschäftsführender Generaldirektor mit Weisungsrecht gegenüber den Direktoren war zentraler Bestandteil der ORF-Reform 2001. Damalige Chefaushecker: Wolfgang Schüssel und Wilhelm Molterer.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.