Verbotene Zone

Verbotene Zone

Prostitution. Was hat sich auf dem Wiener Straßenstrich geändert?

Drucken

Schriftgröße

"Freisinnige und Klerikale sieden die Moral in einem Topf. Und Rot ist die Farbe des sozialdemokratischen Schamgefühls“, echauffierte sich der Schriftsteller Karl Kraus vor ziemlich genau einem Jahrhundert in der "Fackel“.

An den ideologischen Fronten hat sich seitdem kaum etwas verändert. Leidenschaftliche Anrainerproteste haben die rot-grüne Stadtregierung veranlasst, den Straßenstrich neu zu regeln. Die bisher gültige Bannmeile rund um Schulen, Kindergärten, Kirchen und Friedhöfe wurde abgeschafft und durch ein Verbot der Straßenprostitution im gesamten Wohngebiet ersetzt. Doch sollen bis zum Inkrafttreten des neuen Gesetzes am 1. November Ausnahmen definiert werden, so genannte "Erlaubniszonen“.

Auf der Straße arbeiten seit jeher die Ärmsten. Sie verrichten ihre Dienste unter elenden Bedingungen. Auf der Wiener Felberstraße hinter dem Westbahnhof posieren sie im Lichtkegel der Laternen, um gesehen zu werden, aber auch um zu sehen, wer da hält, zu wem sie gleich ins Auto steigen und auf einen nahe gelegenen Parkplatz fahren oder - wenn sie Glück haben - auf ein Zimmer gehen, das der Kunde bezahlt.

Die Konkurrenz ist groß, Gratis-Internetpornos haben die Wünsche ins Unerfüllbare getrieben, die Preise sind ins Bodenlose gefallen. Eine der jungen Felber-Frauen aus Rumänien, sie nennt sich "Anna“, hat ein Kleinkind zu Hause im Banat und verlangt für einen "Fick ohne Kondom“ gerade einmal 20 Euro. Im Prater sei es noch billiger. "Sie verlangen alles. Sie wollen Zärtlichkeit, Exotik und manchmal auch grausliche Sachen“, sagt die 22-Jährige. Nur das triste Ambiente eines Hauseingangs, in dem oft genug auch dem Kunden die Lust vergeht, rettet vor dem großen Versprechen, und man will die Sache schnell hinter sich bringen. Was den Frauen am liebsten ist. Die meisten kaufen hier ein Mädchen für eine Viertelstunde.

Dauert es länger und weigert sich der Kunde, die Mehrleistungen zu bezahlen, steht die Frau schlecht da. Daran hat auch das neue Wiener Prostitutionsgesetz nichts geändert. Das Geschäft mit sexuellen Dienstleistungen gilt nach einem Spruch des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahr 1989 als "sittenwidrig“. Prostitution ist demnach in Österreich nicht verboten, aber auch nicht erlaubt. Prostituierte sind nicht vertragswürdig. Sie dürfen ihre Dienstleistungen legal anbieten, wenn sie sich bei der Polizei registrieren lassen, wöchentlich einer Gesundheitskontrolle unterziehen und ihre Einkünfte versteuern, aber sie können ihr Honorar nicht einklagen. Macht sich der Kunde ohne Bezahlung davon, ist das rechtlich nicht zu ahnden.

Die meisten Straßenprostituierten hier haben einen Zuhälter, an den sie einen Teil ihrer Einnahmen abliefern, oder einen "Schutzherrn“, wie sich der Betreiber des Bordells "Club 28“, Alfred Kreuzer, gern titulieren lässt. Sein Lokal sieht er als "Schutzhütte für die Mädchen“, und die Neonreklame in einem finsteren Abschnitt der Felberstraße wirkt auf den ersten Blick tatsächlich wie eine rettende Insel.

Die Autofahrer sind hier rasant unterwegs, um ebenso schnell abzubremsen und an den Frauen vorbeizuschleichen. Immer wieder kommen sie vorbei. Zum Ärger der Anrainer, die sich zuweilen auch am Gestöckel der hochhackigen Schuhe, am Lachen und Handygeklingel stoßen.

Kreuzer lässt zwei Dutzend Frauen im Pornstyle vor seinem Club paradieren. Sein prüfender Blick genügt, und schon wird die Hüfte noch etwas weiter herausgestreckt, das Dekolleté geöffnet, und Kreuzer macht das Victory-Zeichen.

Das neue Gesetz bereitet ihm Sorgen. Schon bisher hätten ihm Razzien das Leben sauer gemacht. Seit 27 Jahren ist er im Geschäft, und nun soll der Straßenstrich generell verboten werden. Bisher war die Felberstraße teilweise erlaubte, teilweise verbotene Zone. Es kam vor, dass seine Mädchen auf dem Weg zu einem Zigarettenautomaten die Zone wechselten und eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von einigen hundert Euro kassierten. Kreuzer hofft auf die Ausnahme.

Es gibt Männer, die sich nicht gern in ein Lokal begeben. "Da fühl ich mich unfrei und verpflichtet, eine von dort zu nehmen. Ich gustiere lieber auf der Straße, rede mit dieser und jener, vergleiche das Angebot und suche mir die Preisgünstigste“, sagt ein Kunde auf der Felberstraße. Das kann der Kellner des "Club 28“ nur bestätigen. "Es ist ein Sport geworden, möglichst billig davonzukommen. Selbst betuchte Gäste drücken den Preis.“

Frau Silvia, die in der Nähe seit 20 Jahren ein Stundenhotel betreibt, spricht vom "Katastophengewerbe: immer billiger, immer riskanter, ein Verbot wäre das Schlimmste“. Man solle in jedem Bezirk, auch in den besseren, gewisse Straßen öffnen. Man könne nicht alle an den Stadtrand abschieben, meint Frau Silvia.

Legal ist die Straßenprostitution in Wien derzeit auch in einigen Straßenzügen in der Pratergegend. Dort hat sich der Strich der Schwarzafrikanerinnen etabliert, auf dem etliche Asylwerberinnen tätig sind. Prostitution ist - empörend genug - die einzige Einnahmequelle, die Asylwerbern vom Gesetz her erlaubt wird.

Im Stuwerviertel wurde nach Protesten der Anrainer, die sich beklagten, dass die Kunden jede Hausfrau und jedes Schulmädchen ansprachen, das Cruisen mittels Aufstellung von Bollern unterbunden. Im Messegelände kam es zu Ärger mit einem Hotelbetreiber, dessen Gäste immer wieder Prostituierte mit auf das Zimmer nehmen.

Gerhard Kubik, Bezirksvorsteher im zweiten Wiener Gemeindebezirk und sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter, geht davon aus, dass es auch künftig im Prater "Erlaubniszonen“ geben wird. Doch könne der Prater nicht die Straßenmädchen von ganz Wien beherbergen. Menschenleere Gegenden wie am Wiener Hafen, in denen zwar keiner wohne, könne man den Frauen auf keinen Fall zumuten, sagt Kubik. Dort gebe es weder Licht noch Toiletten und schon gar keine Sicherheit. "Da hätten wir jede Woche eine Tote, und auch Prostituierte haben ein Recht, ihren Beruf ohne Angst auszuüben“, sagt der Stadtpolitiker.

"Wir haben das bestmögliche, nicht das beste Gesetz beschlossen“, sagt die grüne Landtagsabgeordnete Birgit Hebein. Die ehemalige Sozialarbeiterin redet häufig mit den Frauen und versucht, deren Erfahrungen in die Debatte um "Erlaubniszonen“ einfließen zu lassen. Sie ist Mitglied jener Kommission, in der rot-grüne Stadtpolitikerinnen, Bezirksvorsteher, Magistratsbeamte, Polizisten, Sozialarbeiterinnen und NGO-Vertreterinnen in diesen Wochen nach Plätzen und Straßen für den Straßenstrich suchen.

Wenn eine Prostituierte bisher zweimal in einer Verbotszone aufgegriffen wurde, verlor sie den Aufenthaltstitel und konnte abgeschoben werden. Kein Wunder, dass sich die Mädchen gejagt fühlen. Im vergangenen Jahr wurden Wiens Prostituierte - 2200 sind registriert, die Dunkelziffer wird auf das Doppelte geschätzt - insgesamt zu rund einer Million Euro an Verwaltungsstrafen verdonnert. 700.000 Euro davon sind noch offen. Im Rahmen der Neuregelung des Straßenstrichs soll es zu einer Generalamnestie kommen.

Das neue Gesetz bringt kleine Verbesserungen. Minderjährige, die bei der Ausübung des Gewerbes ertappt werden, kommen erst einmal mit einer Verwarnung und einer verpflichtenden Beratung davon. Einschlägige Etablissements unterliegen künftig einer behördlichen Meldepflicht, Neueröffnungen müssen eine ganze Reihe von Auflagen erfüllen. Nach Wegfall der Bannmeile können sie allerdings überall angesiedelt sein, was bereits einige Hausgemeinschaften auf den Plan gerufen hat. Bei der Erstregistrierung einer Sexarbeiterin wird künftig eine Vertreterin einer Hilfsorganisation beigezogen. Bei der Geschäftsanbahnung in verbotenen Zonen wird nicht nur die Prostituierte, sondern auch der Kunde bestraft.

"Unser Ziel ist die Verlagerung der Prostitution in sichere Häuser und die Entkoppelung von Straßenstrich und Wohngebiet“, erklärt die zuständige Stadträtin der SPÖ, Sandra Frauenberger. Sie werde freilich nicht zulassen, dass die Prostituierten ins Niemandsland abgeschoben werden, "nur weil dort keiner wohnt und dies dem Buchstaben des Gesetzes am ehesten entspricht“. Es werde nicht leicht sein, die Vertreter der Bezirke zu überzeugen, dass es bei ihnen Straßen und Plätze dafür geben soll.

"Wenn es um die eigene Lebensqualität geht, hört die Toleranz schnell auf“, sagt Frauenberger.

Aus feministischer Sicht ist Prostitution eine Geißel, doch Verbote schadeten nur den Frauen, so die Stadträtin.

Nach der Kriminalstatistik sind Straßenzüge, in denen Frauen auf den Strich gehen, sicherer als andere. Es gibt dort weniger Einbrüche und weniger Überfälle. Die betroffenen Anrainer rüsten sich dennoch schon vor einer möglichen offenen Zone in ihrem Bezirk und sammeln Beweise. Vergangenen Donnerstag, spätnachts, saß ein bekannter Kämpfer der "Bürgerinitiative gegen Straßenprostitution“ in einem Café auf der Mariahilfer Straße. Diskret hinter einer Zeitung versteckt, notierte er die Anzahl der leicht bekleideten Mädchen, deren er in der lauen Spätsommernacht auf der Mariahilfer Straße ansichtig wurde.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling