Grenzüberschreitung

Extremismus. Heimische Neonazis agieren im Schutz der etablierten Rechten

Drucken

Schriftgröße

In der vergangenen Woche waren über die stillgelegte Alpen-Donau-Homepage ein paar Stunden lang Hitler-Reden in Endlosschleife zu hören. Diese wurden inzwischen wieder vom Netz genommen, und Neonazis müssen sich mit der Nachfolgeplattform "Stolz und frei“ zufriedengeben, auf der, wie könnte es anders sein, gegen den Vorsitzenden der Israelitischen Kultusgemeinde, Ariel Muzicant, gehetzt wird. Dort erhalten sie auch Tipps, wie man sich gegenüber der Polizei am besten verhält, wenn es zu einer Hausdurchsuchung kommen sollte.

Nach dem Bekanntwerden der deutschen Neonazi-Mordserie ist die Szene, wenn man den Postings auf den einschlägigen Seiten folgt, schwer beunruhigt. In Kompaniestärke waren heimische Neonazis in den vergangenen Jahren zu Demonstrationen nach Sachsen oder Thüringen gefahren; in die Slowakei, nach Tschechien oder auch in Wehrsportcamps nach Ungarn. Auf der Alpen-Donau-Homepage wurde dafür geworben, auf Neonazi-Seiten waren Fotos zu finden, auf denen die "Ostmärker“ im Block marschierten. Häufig war Gottfried Küssel, der gealterte Anführer, ein Handlungsreisender in Sachen Rechtsextremismus, mit dabei, meist als Gastredner. Seit April 2011 sitzt Küssel am Wiener Landesgericht in Untersuchungshaft. Küssel und zwei weitere Kameraden stehen unter dem Verdacht, die neonazistische Alpen-Donau-Homepage ins Leben gerufen oder mitgestaltet zu haben.

Die Homepage war im Frühjahr 2009 online gegangen, hatte politische Gegner und Journalisten bedroht, deren Privatadressen ins Netz gestellt und unverhohlen dazu aufgefordert, dort doch etwas zu deponieren. Sympathisanten wurden ermutigt, Hetzparolen gegen Ausländer an Hauswände zu schmieren. In ihrem Forum wurde leidenschaftlich diskutiert, wie weit man die Strache-FPÖ unterstützen könne, ohne ihr zu schaden, auf welche FPÖ-Funktionäre man setzen könne (der oberösterreichische FPÖ-Stadtrat Detlev Wimmer galt als Zukunftshoffnung) und dass das NS-Verbotsgesetz zu pragmatischer Zurückhaltung zwinge.

In diesem Geist haben sich einzelne Sympathisanten zu Wirtshausschlägereien, einschlägigen Facebook-Auftritten und besoffenem Krakeelen ermutigt gefühlt. Aber es gab auch Tote. Im vergangenen Sommer wurde in der oberösterreichischen Kleinstadt Traun ein Anschlag auf eine rumänische Familie verübt. Der Vater starb, Mutter und Kind überlebten. Was zuerst nach einem Streit unter Nachbarn aussah, stellte sich als hasserfüllte Aktion gegen Ausländer heraus. Der vermutlich geistig verwirrte Täter, der sich in der Gefängniszelle erhängte, wollte Österreich "ausländerfrei“ schießen.

Ein Jahr zuvor hatte ein Hooligan mit Verbindungen zur Neonazi-Szene am Wiener Schwedenplatz einen Arbeitslosen zu Tode geprügelt.

Im Jahr 2008 kam ein afrikanischer Asylwerber bei einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim in Klagenfurt ums Leben, 19 Menschen wurden verletzt. Die Kärntner Polizei hatte behauptet, das Feuer sei durch achtlos weggeworfene Zigaretten verursacht worden. Nach Ermittlungen des Bundeskriminalamts handelte es sich jedoch um Brandstiftung.

Zehn Jahre zuvor hatte im oberösterreichischen Wels ein junger Neonazi in einem Ausländerwohnhaus Feuer gelegt: ein Toter, zehn Schwerverletzte.

Es gab keine Mordserie wie in Deutschland, wenngleich die Wiener FPÖ im Wahlkampf einen erbitterten Kampf gegen Kebab-Buden führte ("Rettung des Wiener Würstelstands“), doch die Gewaltbereitschaft in der rechtsextremen Szene ist in den vergangenen Jahren gestiegen, wie Verfassungsschützer unter der Hand zugeben.

Dennoch wurde im Jahr 2001 der jährliche Lagebericht zum Rechtsextremismus abgeschafft. Die damalige Regierungspartei FPÖ hatte darauf bestanden. In diesen Jahren wurde die rechtsradikale Szene im Schlepptau der etablierten Rechten salonfähig. Mitglieder rechter Burschenschaften zogen dutzendweise in Ministerbüros und staatliche Institutionen ein, marschierten am Wiener Heldenplatz, am Grab eines NS-Fliegerhelden und bei Sonnwendfeiern auf. Ihre Festkommerse wurden mit Ansprachen von Regierungsmitgliedern geadelt. Und immer waren Neonazis am Rande dabei.

Schon Ende der achtziger Jahre hatte sich die heimische Neonazi-Szene parallel zu den Entwicklungen in Deutschland radikalisiert, sich in so genannten Freien Kameradschaften organisiert. Die Zusammenarbeit war grenzüberschreitend. Gottfried Küssel reiste nach dem Zusammenbruch der DDR nach Brandenburg, Sachsen, Thüringen, referierte, warb Mitglieder, organisierte Wehrsportcamps, in denen der Nachwuchs lernte, wie man dem politischen Gegner die Gurgel durchtrennt oder ihn mit einem Nierenstich erledigt. Küssel und einige seiner damaligen Mitstreiter von der Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition (VAPO) waren zuvor auf den Buden der Burschenschaften aktiv gewesen; danach, als die Führungsriege wegen NS-Wiederbetätigung verhaftet und die VAPO zerschlagen war, knüpften sie dort wieder an. Auch der heutige Parteiobmann Heinz-Christian Strache war Ende der achtziger Jahre in diesem Milieu groß geworden.

Küssel wurde 1999 vorzeitig aus der Haft entlassen und stieg nach einer kurzen Schonzeit wieder in die Szene ein, um Nachwuchs zu rekrutieren. In Deutschland waren in der Zwischenzeit radikale Kameradschaften entstanden, in denen sich auch das Mördertrio umgetrieben hatte. In Österreich schlossen sich junge Radikale im Bund Freier Jugend (BFJ) zusammen. Sie organisierten Sommerlager und Konzerte mit Neonazi-Bands. Sie ließen sich vom Altherrennetz um die Aktionsgemeinschaft für eine demokratische Politik (AFP), dem im Verfassungsschutzbericht 2007 eine "ausgeprägte Affinität zum Nationalsozialismus“ nachgesagt wird, schulen und unterweisen. Auch FPÖ-Politiker referieren immer wieder beim BFJ. Einige BFJ-Mitglieder heuerten wiederum bei der FPÖ-Jugend an. In der FPÖ wird gern behauptet, die Hereinnahme der Radikalen entfalte eine erzieherische Wirkung. In der Geisteshaltung der jungen Leute ist ein zivilisatorischer Effekt nicht nachzuweisen. Mitarbeiter des FPÖ-Parlamentspräsidenten Martin Graf, die von Grafs berüchtigter Burschenschaft "Olympia“ aufgenommen wurden, sind mittlerweile noch weiter nach rechts abgeglitten.

Küssel scheute sich nicht, bei FPÖ-Veranstaltungen und BFJ-Sommerfesten aufzutauchen. Seine Propagandareden, die auf Alpen-Donau beworben wurden, hielt er allerdings nur außerhalb der Landesgrenzen. Im September 2007 war er Gastredner beim "Fest der Völker“ in Jena, einer Neonazi-Veranstaltung, die von Kameraden des Mördertrios aus dem Thüringer Heimatschutz organisiert worden war. 2008 sind Auftritte in Dortmund und in der Slowakei aktenkundig. 2009 trat er mit seinem ehemaligen VAPO-Kompagnon Hans-Jörg Schimanek, dem Sohn des gleichnamigen früheren FPÖ-Politikers, in Leipzig auf, beklagte dort den "Genozid des Deutschen“ und lobte "den Nutzen der charakterfesten Kräfte der FP֓. Im Herbst 2009 war Küssel am Kärntner Ulrichsberg, wo auch FPÖ-Funktionäre einen Kranz niederlegten. Im vergangenen Jahr trat Küssel gemeinsam mit einem ehemaligen Thüringer Heimatschützer im bayrischen Schweinfurt auf.

Neonazistische Gruppen in Deutschland richteten für den notorischen österreichischen Neonazi nach seiner Festnahme ein Spendenkonto ein. Organisiert hat es der ehemalige Anführer der verbotenen Wiking-Jugend, an deren Aktionen auch Strache einst teilgenommen hat. Dem Vernehmen nach steht eine Anklage gegen Küssel noch im November ins Haus. In der FPÖ herrscht angeblich eine gewisse Nervosität.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling