Vorboten der Krise

Reportage. Der Taxifahrer als Seismograf der Gesellschaft

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"Wann s’ wenigstens a Standheizung erlaubn tätn!“, schimpft Jimi, der in diesen Tagen besonders unter der Kälte leidet. Die Autos stehen am Taxistand, niemand kommt, das Gästeaufkommen ist seit der Einführung des nächtlichen U-Bahn-Betriebs im September 2010 stark zurückgegangen. Und nicht nur deswegen. Die Krise ist nun endgültig auch in Österreich angekommen. Fast jeder spart zuallererst beim Essengehen und Taxifahren. So warten die Taxler an den Standplätzen, frieren und dürfen noch nicht einmal ihre Motoren laufen lassen zum Heizen. Bis zu 40 Prozent beträgt der Einkommensrückgang. Wer, wenn nicht sie, hat Grund zum Klagen. Zum Glück haben sie eine lange Tradition dabei. Das menschliche Schimpfen wurde vom Taxifahrer erfunden, möchte man meinen, und Hiob war nur ein harmloser Vorläufer dieser Kunstform.

Jimi, 47 Jahre alt, gebürtiger Wiener, heißt in amtlichen Dokumenten Dzemail Rasimovic. Seit zwei Jahrzehnten ist er als Taxler unterwegs. Nur in der Nacht fährt er nicht mehr. Es ist ihm zu mühsam geworden, mit Kindern im Komarausch, besoffenen Spaßvögeln und habituellen Rüpeln über den Fahrpreis zu streiten. Seine Augen waren früher besser, seine Nerven auch. Richtig lebensgefährlich sei das Taxifahren nicht. Die drohen nur oder rempeln einen an, wollen halt nicht zahlen. "Was soll man da machen, um das geregelt zu kriegen? Gewalt darfst keine anwenden.“

Einer feschen, jungen Frau würde er das Geschäft in der Nacht auch nicht empfehlen. Die menschliche Niedertracht kenne keine Grenzen. Es sei in dieser Hinsicht ziemlich egal, ob ein Kunde bei der Oper oder am Gürtel zusteige.

Rund 4800 Taxifahrer sind derzeit in Wien zugelassen. Dazu kommen Schwarzfahrer, die am Flughafen nach Kunden jagen und in der Stadt um Altersheime herumschleichen.

Früher war der Beruf noch angesehen, klagt Rasimovic. "Herr Chauffeur“ hatte es geheißen, und man sei mit Würde behandelt worden. Elegant sei es zugegangen. Die Leute hätten noch Geld für das Taxi gehabt. Heute raunzten sie über jeden Cent, den sie dafür ausgeben müssen. Die Fahrzeuge würden auch immer älter und schrottiger, weil sich kein Taxler mehr einen Neuwagen leisten könne.

Raubüberfälle oder Neonazis?
Das ganze Neonazi-Ding sei doch eher eine Sache der Medien. "In der Wirklichkeit kommen Neonazis praktisch nicht vor. Also in meinem Taxi hat sich noch keiner mit, Heil Hitler‘ verabschiedet, obwohl ich schon 25 Jahre fahre. Aber wenn ein neuer Hitler käme, wer weiß. Schlechter kann es jedenfalls nicht werden, das steht fest“, meint Jimis Kollege.

Mit der Einführung des Rauchverbots vergangene Woche ist der Ärger noch angeschwollen. In Trauben stehen die Taxler am Schwedenplatz und echauffieren sich. "Ändern kann das alles nur der Bürgermeister oder besser der Strache.“

In den Sozialdemokraten Michael Häupl haben die Taxler noch Vertrauen, der spricht zur Not noch ihre Sprache. Aber er tue nichts. Bisher. Die Grünen mit ihrer Autofeindlichkeit führten ihn wie einen Tanzbär durch die Manege. Häupl müsste als Erstes den Pensionisten unter den Taxlern die weitere Berufsausübung untersagen. Ein Machtwort sprechen. Inzwischen sei fast jeder zweite Taxilenker ein Rentner zwischen 65 und 80, der sich etwas dazuverdiene. So verdoppelten sie ihr Vermögen, während die Jungen nicht mehr wüssten, wie sie ihre meist zahlreichen Kinder durchbringen sollten. Hier im Taxigewerbe könne man schon heute den Konflikt der kommenden Jahrzehnte erleben, den Krieg zwischen den reichen Alten und den betrogenen Jungen, sagen sie.

Seltsamerweise schimpfen die Fahrgäste aber über etwas ganz anderes, nämlich den Euro. Als wäre der Euro eine handelnde Person, eine finstere Macht. Und weil ein Taxler naturgemäß ein Opportunist und Widerspruch geschäftsschädigend ist, singen sie das Lied im Chor: "Der Euro ist an allem schuld. Der Euro hat uns alles eingebrockt. Der Euro ist der Teuro. Schon bei seiner Einführung wurde schlagartig alles um ein Drittel teurer, und seitdem noch um ein Vielfaches. Die Statistiken lügen ja alle. Und die Politiker, der Grasser, der Strasser, der Scheibner - und der Deutsche, na, wie heißt er nur? Und die Griechen! Die normalen Menschen kann man verarschen, aber nicht uns Taxler. Wir haben das Ohr direkt am Volkskörper. Spätestens seitdem alle am Handy plappern, kriegen wir alles mit. Weghören geht ja gar nicht. Der Gesellschaft geht es schlecht. Alle sind mitten in der Depression. Das System an sich ist korrupt heute, total verrottet, am Ende.“

Am Standplatz Neuer Markt hätte man auch viel zu sagen, doch nur anonym. "Früher hat man verdient. Wer in der dritten oder vierten Generation in Österreich lebt, hat es zu etwas gebracht. Mindestens zum eigenen Haus. Wer heute nichts hat, wird nie etwas haben, der lebt von der Hand in den Mund. Jeder putzt sich an uns ab. Wenn du dich über Fahrgäste aufregst, hast du sofort eine Beschwerde am Hals und stehst als Ungustl in der Zeitung. Und erst die Ausländer! Früher waren sie Kameltreiber. Jetzt wollen sie Droschke reiten, ha, ha. Der Strache hat bei uns schon ein Wort.“

Es gibt offenbar immer öfter Ärger mit den Fahrgästen. Die Leute seien nervös und ungeduldig. "‚Da schau her‘, nicht viel mehr hab ich g’sagt, als mir einer den Weg diktieren wollt. Ausg’flippt ist er. Aussteigen hat er müssen.“

Am Standplatz in der unteren Mariahilfer Straße:
"Die Kaufkraft ist gesunken. Die Arbeitslosigkeit steigt und steigt und steigt. Sie sagen uns, dass sie knapp über null liegt, bei drei Prozent oder so, aber das stimmt nicht. Wahnsinnig viele sind arbeitslos. Früher gab es ein einziges Arbeitsamt in Wien, in der Herbststraße, und dieses eine Haus reichte vollkommen aus für alle Arbeitslosen. Heute gibt es in jedem Bezirk eines, und vor jedem bilden sich lange Schlangen. Man nennt das Arbeitsamt, aber es ist keines, denn es gibt keine Arbeit.“

Heute fahre nur noch der einsame Single, der die letzten Meter zu seiner traurigen Wohnung nicht zu Fuß gehen mag, mit dem Taxi. Die Gesellschaft habe sich auseinandergelebt. "Früher hat am Standplatz der erste Taxler die Wagen weitergeführt, und die anderen saßen im Lokal und haben Karten gespielt. Das spielt’s nicht mehr. Jeder schaut nur noch auf sich“, sagt Wolfgang Lenz, seit 30 Jahren auf der Straße. Früher war viel Spaß auf der Rückbank. Nicht dieses aggressive Schweigen wie heute. Manche fahren übrigens auch Taxi, weil sie jemanden zum Reden brauchen.

Das Taxi ist zum Beichtstuhl der Moderne geworden. Es ist der geschlossene, intime Raum, der dazu animiert, hemmungslos zu gestehen, was sonst kaschiert werden muss.

"Man spürt es im Rücken, diese negative Energie. Man merkt sofort, wenn den Kunden was drückt“, sagt Said Baghestanian, der seit 18 Jahren in Wien Taxi fährt. "Kaum sitzen sie, geht es auf wie ein Wimmerl, und sie fangen an zu beichten: Dem einen hat die Bank keinen Kredit gegeben, dem anderen ist die Frau davongelaufen, der Dritte hat einen schlechten Befund. Wir sind Seelentröster, Lebensberater, Psychiater. Man braucht Menschenkenntnis, um das durchzustehen. Man darf halt nie Öl ins Feuer gießen. Es ist ein toller Job, auf seine Art. Aber am Abend brauch ich mindestens zwei Stunden, bis ich wieder ich bin.“

"Die Menschen sind aggressiver geworden. Durch das System. Sie haben Angst um ihre Zukunft, obwohl man in Österreich wirklich noch sehr gut lebt. Und der Taxler: verdient wenig, wartet Stunden über Stunden, sitzt in einem beweglichen Sarg, die einzigen Freunde sind das Handy und das Radio. Und alles kann passieren. Durch das Taxifahren wird man zum Philosophen“, sagt Baghestanian.

Cuma Halefoglu thront in weißem Hemd und Krawatte hinter dem Steuer. Er ist bessere Gäste gewöhnt, Geschäftsleute, Diplomaten und Touristen, die er für eine Pauschale vom Flughafen abholt. "Die weite Welt kommt zu mir herein, nicht nur Wiener.“ Der Scheich von Katar hat ihn zu Silvester acht Stunden vor dem Sofitel warten lassen und pro Stunde bezahlt.

Sonst haben es seine Kunden meist eilig. Sitzen auf der Rückbank mit einem Handy an jedem Ohr. "Immer keine Zeit. Jeden Verkehrsstau, jeden Fiaker muss ich auf meine Kappe nehmen.“

Einer seiner Kollegen hätte eine Idee: "Man sollte all die Fabriken, die nach China abgewandert sind, wieder zurückholen nach Österreich. Dann wäre wieder Arbeit da. Aber das wird nicht kommen, nicht mit den Wienern, denn die kämpfen nicht. Wenn einem Wiener einer auf den Rücken schlägt, sagt er, Entschuldigung‘. Und so werden die großen Unternehmer immer größer, und die kleinen werden zerdrückt. Das ist der Lauf im Zeitalter der Globalisierung. Alles geht den Bach runter, alle beschweren sich, aber nicht bei den Verantwortlichen, sondern ausgerechnet bei uns Taxlern.“

Christa   Zöchling

Christa Zöchling